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Pro-Palästina-Demos: Problemverschiebung durch Verbot
Peter Ullrich über Verbote von pro-palästinensischen Demonstrationen
Am 15. Mai erinnerten Palästinenser*innen und ihre Sympathisant*innen weltweit an die Schattenseite der israelischen Staatsgründung vor 75 Jahren: die Flucht und Vertreibung vieler arabischer Familien aus ihrer Heimat während des Krieges. Für sie ist dieses Gedenken nicht nur Sache der Vergangenheit, sondern Ausdruck andauernden Traumas und vor allem eine fortgesetzte Realität. Denn seit 75 Jahren ist das Leben vieler Palästinenser*innen von Flucht, Staatenlosigkeit und israelischer Besatzung geprägt. Diese wird durch die aktuelle rechtsextreme israelische Regierung derzeit noch weiter vertieft; die Gewalt national-religiöser Siedler weitet sich immens aus und wird von der Regierung unterstützt.
Die Berliner Polizei freilich setzte ihre schon im vergangenen Jahr deutlich gewordene Linie fort, sämtliche Demonstrationen zum sogenannten Nakba-Tag zu verbieten. Begründung: Bei »vergleichbaren Versammlungslagen« sei es zu volksverhetzenden Vorfällen gekommen. Das ist nicht falsch, judenfeindliche Vorfälle wurden bei Pro-Palästina-Demos immer wieder dokumentiert. Die Polizei verweist beispielsweise in einer der Verbotsverfügungen, die sage und schreibe 14 Seiten und längere zeitgeschichtliche Diskurse umfasst, auf ein Transparent mit dem Text »Juden = Kindermörder«. Auch der Forschungsstand ist eindeutig: Es gibt Antisemitismus wie in der ganzen Gesellschaft auch und gerade im Kontext von »Israelkritik«.
Moralisch ist das eine schwierige Situation. Es gibt legitime Anliegen der Palästinenser*innen und die Maßgabe, volksverhetzende Vorfälle zu unterbinden. Der symptomatische Umgang der Berliner Polizei ist dem Spannungsverhältnis unangemessen und rechtlich fragwürdig. Er zeigt, dass es offensichtlich nur ein kleiner Schritt von der ebenso verbreiteten wie verkürzten Symbolpolitik der Sonntagsreden gegen Antisemitismus hin zum Versuch ist, das Problem administrativ (per Versammlungsverbot) einer Scheinlösung zuzuführen und damit demokratische Grundrechte massiv zu gefährden.
Der Kampf gegen Antisemitismus hat eine hohe Symbolbedeutung in der politischen Kultur Deutschlands. Das ist an sich gut, auch wenn man wünschte, er wäre nicht so exklusiv. Doch der glühende deutsche Anti-Antisemitismus neigt dazu, mittels unklarer Kriterien jedwede harsche Kritik an Israel (die antisemitisch motiviert sein kann!) als per se antisemitisch zu werten. Der reale Nahostkonflikt wird aus dieser Perspektive als Quell von Hass und immer neuer Gewalt systematisch ausgeblendet. In diesem Zusammenhang wird dann schon die (natürlich partikulare) Konfliktsicht einer Seite als »Nakba-Erzählung« (so jüngst in einer Publikation der durchaus einflussreichen, radikal pro-israelischen Amadeu-Antonio-Stiftung) als solche zum Antisemitismusfall, die ebenfalls partikulare Sicht der anderen Seite dagegen als angeblicher Forschungsstand verbreitet.
Angesichts der Verbotsorgie der vergangenen beiden Jahre zeichnet sich immer klarer ab, dass das Eintreten für palästinensische Interessen massiv eingeschränkt wird – selbst dann, wenn es linke Jüdinnen*Juden sind, die entsprechende Veranstaltungen anmelden. Niedrigschwelligere Interventionen (Auflagen, Eingriff im konkreten Deliktsfall vor Ort) werden als gebotene Alternative zum Verbot nicht genutzt. Dabei ist die Gefahrenprognose mehr als abstrakt. Die Polizei bestimmt die Gefahr mit der Betrachtung »vergleichbarer Versammlungslagen« nicht einmal über konkrete Erfahrungen mit spezifischen Anmelder*innen, sondern primär über das Thema. Das ist illiberal, illegitim und in seiner Konsequenz kaum mit der Rechtsprechung zum Versammlungsgrundrecht des Artikel 8 des Grundgesetzes zu vereinbaren. Dass dafür noch rassistische Stereotype mobilisiert werden, insbesondere die durch Herkunft und Religion zu erwartende Emotionalität der Teilnehmenden, macht die Sache noch schlimmer – und die spezifisch anti-palästinensische Konstellation umso deutlicher. In die gleiche Richtung weisen die sich mehrenden Berichte über willkürliche Kontrollen von Menschen mit sichtbaren palästinensischen Symbolen in Berlin-Neukölln.
Die Entwicklungen sind ein weiter Schritt im Prozess der Versicherheitlichung des Diskurses über Nahostkonflikt und Antisemitismus. Anstelle des notwendigen Austragens von Debatten mit all ihren inhärenten Widersprüchen gibt es eine ordnungsbehördliche Problemverschiebung. Das kann nur ein Pyrrhussieg des Kampfes gegen Antisemitismus werden.
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