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Heizungsgesetz unter Feuer
Neuer Konflikt zwischen Wirtschafts- und Bauressort zum Thema Wärmedämmung zeichnet sich ab
Fast möchte man den Ampelleuten empfehlen, miteinander einmal Kaffee trinken zu gehen. Aber selbst diesen Ratschlag könnte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) inzwischen als böse Falle beargwöhnen. Nachdem die Inhaberin des Cafés »Habeck’s« in Göhren auf Rügen laut »Ostseezeitung« öffentlich die Umbenennung ihrer Location zum 1. Juni aus Protest gegen die LNG-Pläne des Spitzenpolitikers auf ihrer Insel angekündigt hat, gehört vermutlich auch die Einladung zu einer Tasse Heißgetränk zu den Provokationen, denen er sich allenthalben ausgesetzt sieht.
Mit oder ohne Kaffee: Zu einem Miteinander scheinen die Protagonisten der selbsternannten Fortschrittskoalition in dieser Legislatur nicht mehr zu finden, zumindest, was das in Habecks Ministerium entworfene und mit dem Bauministerium abgestimmte neue Gebäudeenergiegesetz, kurz Heizungsgesetz, betrifft. Es soll Teil der von der Ampel versprochenen »Klimarevolution« sein, zu der sich alle drei regierenden Parteien in ihrem Koalitionsvertrag vollmundig bekannt hatten.
Die Umsetzung der Pläne steht indes nicht nur unter Finanzierungsvorbehalt. Nach der Entlassung von Habecks Staatssekretär Patrick Graichen wegen Vetternwirtschaft wackelt vor allem der Zeitplan für das Gesetz, das eigentlich noch vor der Sommerpause vom Bundestag beschlossen werden sollte.
Ein Mangel an sozialer Verträglichkeit der Pläne wird insbesondere von der SPD moniert. Vertreter der Kanzlerpartei haben umfangreiche Änderungsanträge angekündigt. Dass die Klimarevolution droht, ihre Kinder zu fressen, konnte man am vergangenen Wochenende bei der Bürgerschaftswahl in Bremen besichtigen, bei der die Grünen heftig Federn ließen.
Und nachdem das berühmt-berüchtigte Verbot des Einbaus von Gasheizungen in Neubauten ab Januar 2024 nach mannigfaltigen Protesten von Eigenheimbesitzern, Wärmepumpenherstellern und mit dem Einbau überfordertem Handwerk, aber auch wegen der Familienaffäre im Wirtschaftsministerium vermutlich nicht durchsetzbar sein wird, tut sich neues Ungemach auf.
Dafür verantwortlich ist Bauministerin Klara Geywitz (SPD). Sie stellte jüngst die für 2025 vorgesehenen strengeren Vorschriften zur Wärmedämmung bei Gebäuden rigoros infrage. Mit ihrer offenbar plötzlich gewonnenen Überzeugung, dass der Wohnungsbau in Deutschland billiger gemacht werden muss, dürfte die Sozialdemokratin bei den Leuten vom Bau offene Türen einrennen. Zumal die Politikwissenschaftlerin aktuell routiniert mit Fachcodes wie EH55 und EH40 um sich wirft, als habe sie derlei mit der Muttermilch aufgesogen.
Die Rechnung, die die Ministerin kürzlich vor Brancheninsidern aufstellte, geht so: Sinnvoll, weil Nebenkosten sparend sei es, wenn ein Haus einen Bedarf von 55 Prozent der Energie eines bisher üblichen Standardneubaus hat – den sogenannten Effizienzstandard EH55. Demgegenüber, so Geywitz, stehe der finanzielle Aufwand für die Umsetzung der vom Wirtschaftsministerium geforderten schärferen Dämmvorschriften, die ab 2025 gelten sollen, in keinem sinnvollen Verhältnis zur eingesparten Energie. Und zwar auch deshalb, weil bei jenem Standard EH40 der Kohlendioxidausstoß bei der Produktion der Dämmstoffe nicht berücksichtigt werde.
Das, so wird die Ministerin zitiert, sei »kein ehrliches System«. Eine Begrifflichkeit, die den Vizekanzler und Wirtschaftsminister tüchtig anfassen dürfte, weil er ja immer wieder die mangelnde Ehrlichkeit beklagt, wenn es um die wirklichen Konsequenzen in Sachen Klima geht.
Die »Welt« frohlockte jedenfalls, dass Geywitz »trotz Wohnungsmisere ihre Fanbasis vergrößert«. Und auch von den Kollegen in den Ländern erhielt die Bundesbauministerin Beifall. »Was Klara Geywitz jetzt ausspricht, ist seit Langem meine Haltung«, erklärte die Vorsitzende der Bauministerkonferenz, Nicole Razavi (CDU), die Ressortchefin in Baden-Württemberg ist. Man müsse es schaffen, Bezahlbarkeit und Klimaschutz beim Wohnungsbau zusammenzubringen. »Die Fixierung der Bundesregierung auf die Dämmung«, so Razavi in Übereinstimmung mit den anderen Bauministern der Länder, führe »in eine Sackgasse. Sie treibt die ohnehin hohen Baukosten weiter nach oben und bringt dem Klimaschutz praktisch nichts«. Stattdessen solle man »die Treibhausemissionen eines Gebäudes über seine gesamte Lebenszeit in den Blick nehmen und auf Technologieoffenheit setzen«.
Mit dieser Aussage wird ein Signalwort an den Wirtschaftsminister ausgesandt, wobei das Blinken mit der Technologieoffenheit meistens von der gelben Lichtquelle in der Ampel ausgeht. Wenn Einwände dieser Art nun auch aus den Ländern kommen, könnte Habeck seine Felle innerhalb der Regierung davonschwimmen sehen. Und zieht die Kollegin im Bauministerium nicht mit ihm an einem Strang, was bei der eigentlich gemeinsam zu verantwortenden und für Anfang 2024 terminierten Wärmewende generell nur eingeschränkt der Fall war, dürfte es mit den Klimazielen der Ampel schwierig werden.
Habeck gab vergangene Woche indes gegenüber der »Zeit« zu Protokoll, für alle Bedenkenträger Verständnis zu haben. Es wäre jedoch ein großer Fehler, wenn »ich vor lauter Verständnis keine Politik mache«, betonte der Minister. »Ich kämpfe für meinen politischen Ansatz«, so sein tapferes Versprechen. Zugleich trat Habeck erneut Gerüchten entgegen und betonte: »Bestehende Heizungen können weiterbetrieben werden. Kaputte Heizungen können repariert werden. Aber mit neuen Heizungen muss die Wärmewende jetzt beginnen.«
Ins selbe Horn wie Geywitz blies erwartungsgemäß die FDP-Bundestagsabgeordnete Sandra Weeser. Gegenüber der »Welt« (Freitagausgabe) forderte sie eine Aussetzung oder wenigstens einen Aufschub des geplanten Effizienzstandards EH40 für neue Häuser. Denn dieser, so die Vorsitzende des Bauausschusses des Parlaments, sei sehr teuer, spare aber »nur marginal mehr Emissionen« ein als der EH55-Standard. Eine »Aussetzung, mindestens aber ein Aufschub des Neubaustandards EH40« sei aufgrund der Baukostenexplosion und des begrenzten Nutzens »für das übergeordnete Ziel des Klimaschutzes« sinnvoll.
Die Pläne zur Heizungsumstellung hatte das Bundeskabinett eigentlich bereits am 19. April beschlossen – inklusive der Grundzüge der Fördermöglichkeiten zur Heizungsumstellung. Seither wird jedoch weiter über die konkrete Ausgestaltung gestritten.
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