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Lehrermangel: Schlimmer als gedacht
1500 Stellen für Lehrkräfte können nicht besetzt werden – ein Anwuchs um 50 Prozent
Mehr Schüler, nicht genügend Lehramtsabsolventen und dazu noch die Pensionierungswelle: Schon seit Jahren zeichnet sich ab, dass es eine wachsende Lücke zwischen den vorhandenen Lehrkräften und dem Bedarf gibt. Jetzt aber zeigt sich, dass das Problem offenbar noch größer ist als bisher gedacht. Etwa 1500 Vollzeitstellen für Lehrkräfte werden im kommenden Schuljahr nicht besetzt werden können. Das kündigte Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) am Dienstag bei der Pressekonferenz im Anschluss an die Senatssitzung an. Im vergangenen Jahr belief sich das Defizit noch auf etwa 1000 Stellen.
»Der sich bundesweit zuspitzende Fachkräftemangel spiegelt sich auch in Berlin wider«, sagte die Günther-Wünsch. Das unerwartet hohe Defizit führt sie auf eine höhere Zahl von Pensionierungen beim Bestandspersonal zurück. Bis zu 1600 Lehrer werden demnach in diesem Jahr altersbedingt ihren Dienst beenden.
Das Problem wird sich in Zukunft wohl weiter verschärfen. Denn bis 2030 wird erwartet, dass sich die Zahl der Schüler um 25 000 erhöhen wird, so Günther-Wünsch. Eigentlich wäre daher notwendig, dass 2000 zusätzliche Vollzeitstellen für Lehrkräfte aufgebaut werden – zusätzlich zu den bestehenden Stellen, die aktuell schon nicht ausgefüllt werden können. Dazu kommen räumliche Probleme, die trotz Schulbau- und -sanierungsoffensive wohl auch in Zukunft vorherrschen werden.
»Es wird keine schnellen oder einheitlichen Lösungen geben«, dämpfte Günther-Wünsch die Hoffnung auf einfache Antworten. Ob das Defizit mit zusätzlich ausgebildeten Lehrkräften abgedeckt werden kann, ist mindestens zweifelhaft. Ein Fünftel bis ein Viertel der Abiturienten müsste dafür laut Günther-Wünsch ein Lehramtsstudium aufnehmen und erfolgreich abschließen, mithin mehr als dreimal so viel wie aktuell. Nicht nur, dass dieses Ziel schwer zu erreichen sein wird – unweigerlich würden so auch Defizite bei anderen dringend gebrauchten Fachkräften entstehen.
Notwendig werden also auch zahlreiche Maßnahmen beim Bestandspersonal sein. Darauf, welche das sein werden, wollte sich Günther-Wünsch am Dienstag noch nicht festlegen. »Keine Denkverbote« dürfe es geben, man müsse schauen, was in anderen Bundesländern gut funktioniere und es gegebenenfalls auf Berlin übertragen. Solche »kurzfristigen Maßnahmen« liegen nun erst einmal im Fokus, so Günther-Wünsch.
Schon umgesetzt ist die Rückkehr zur Verbeamtung für Lehrkräfte. Bis zum Februar war Berlin das letzte Bundesland, das Lehrkräfte grundsätzlich nur anstellte. Eine durchaus relevante Zahl von Lehramtsabsolventen wanderte daher Jahr für Jahr in andere Bundesländer ab. Noch der rot-grün-rote Senat entschloss daher, wieder zur Verbeamtung zurückzukehren. Alle Lehrkräfte, die jünger als 52 Jahre sind, können seitdem beantragen, in den Beamtendienst übernommen zu werden.
Nach drei Monaten zog Günther-Wünsch nun ein erstes Fazit. Von den etwa 16 000 Lehrkräften, die antragsberechtigt sind, hätten bisher 8700 einen Antrag eingereicht. Das ist zumindest ein kleiner Dämpfer, erwartet worden war eine deutlich größere Zahl. Weil die Antragssteller noch Hürden wie einen Gesundheitscheck beim Amtsarzt oder das Vorlegen eines Dienstzeugnisses überwinden müssen, wird es wohl noch etwas dauern, bis die Verbeamtungen auch real vollzogen werden. 35 zusätzliche Mitarbeiter habe die Senatsbildungsverwaltung angestellt, damit der Prozess möglichst schnell abläuft, so Günther-Wünsch. Die Anträge älterer Kollegen, die Gefahr laufen, bei Verzögerungen das Höchstalter zu überschreiten, sollen nun zunächst priorisiert werden.
Für all diejenigen, die die Altersschwelle bereits überschritten haben, soll es Nachteilsausgleiche geben. Bereits beschlossen ist ein Zuschuss von 300 Euro zusätzlich zum Monatsgehalt. »Wir werden jetzt schauen, welche weiteren Nachteilsausgleiche es geben kann«, sagte Günther-Wünsch. Dabei denke sie etwa an eine Ausweitung der Altersermäßigung, die Lehrkräften erlaubt, ohne Lohnverluste weniger zu unterrichten.
4000 Lehrkräfte, die in den vergangenen Jahren in andere Bundesländer abgewandert sind, sollen dank der Verbeamtung wieder ihren Weg zurück in die Hauptstadt finden. Angesichts des Bedarfs wird das wohl nur eine kleine Erleichterung sein. Nötig bleiben daher weitere Maßnahmen. Besonders intensiv wird über sogenannte Abordnungen diskutiert. Mit diesem Instrument können Lehrkräfte für andere Aufgaben von der Unterrichtsverpflichtung ganz oder teilweise freigestellt werden. Zum größten Teil sind dies organisatorische Aufgaben oder Dozenturen bei der Aus- und Weiterbildung. Aber auch für andere, teils weniger unmittelbar notwendige Aufgaben werden Lehrkräfte abgeordnet. Aufsehen erregte zuletzt eine Lehrerin, die für vier Stunden in der Woche dafür abgeordnet wurde, Yoga-Kurse für andere Lehrkräfte an ihrer Schule anzubieten. Insgesamt summieren sich die Abordnungen auf 2500 Vollzeitäquivalente.
Für die Schulleitungen sind Abordnungen häufig eine günstige wie einfache Lösung. Auch bei der nun skandalisierten Yoga-Lehrerin wäre eine externe Gesundheitsmaßnahme wohl teurer und bürokratisch aufwendiger gewesen. Im Unterricht fehlen die betroffenen Lehrkräfte trotzdem. Bildungssenatorin Günther-Wünsch will die Zahl der Abordnungen daher deutlich reduzieren. »Bei Abordnungen für die Referendariatsausbildung oder Schulpsychologie können wir nichts beschneiden«, schränkte die Senatorin ein.
Stattdessen scheint sie vor allem an Abordnungen in der Aus- und Weiterbildung zu denken. Hier findet sich mit 1400 Stellen der größte Anteil der Abordnungen. Dafür müsste allerdings das als bewährt geltende Konzept der Weiterbildung durch Berufspraktiker mindestens eingeschränkt werden. Dass die Abordnungen keine Variable sind, an der folgenlos gedreht werden kann, wird Günther-Wünsch wohl bald auch direkt erfahren: Die drittgrößte Gruppe der Abordnungen sind Lehrkräfte, die administrative Aufgaben in der Bildungsverwaltung übernehmen.
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