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Kai Wegner in Berlin: Unsere Stadt hat auch Probleme
Berlins neuer CDU-Senatschef verliert sich in seiner ersten Regierungserklärung in Allgemeinplätzen
Natürlich ließ das alte Lied der Taiga aus dem Wahlkampf der Berliner CDU nicht lange auf sich warten. »Wir werden hart daran arbeiten, dass Berlin jeden Tag ein wenig besser funktioniert«, versprach Kai Wegner (CDU) am Donnerstag in der ersten Regierungserklärung seiner Amtszeit. »Wir brennen für Berlin«, versuchte sich der vor vier Wochen mit Hängen und Würgen ins Amt gewählte Regierende Bürgermeister in Leidenschaft.
Nach einleitenden Worten mit Be- und Erkenntnissen wie »Berlin ist eine großartige Stadt«, »Berlin ist für viele Menschen ein Zuhause« und »Berlin hat auch Probleme« hangelte sich Wegner in seiner gut einstündigen Rede einmal reihum durch die Riege der Senatoren von CDU und SPD, um jeden mindestens einmal persönlich zu loben.
So dankte er dann auch Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) für den beherzten Entschluss, den zur Fußgängerzone umgewidmeten Abschnitt der Friedrichstraße ab Juli wieder für den Autoverkehr freizugeben. »Berlin ist eine Weltmetropole, nicht Bullerbü, meine Damen und Herren, und das beenden wir«, bediente sich Wegner auch hier eines in dem Fall explizit gegen die Grünen gerichteten CDU-Wahlkampfschlagers. Wobei sich der Satz bei genauer Lesart auch ganz anders verstehen lässt. Aber geschenkt.
Eher an die große Hofpause in der Schule erinnerte die Art und Weise, wie der Regierende den Einsatz von Innensenatorin Iris Spranger (SPD) für Recht und Ordnung und eine bessere Ausstattung von Polizei und Feuerwehr hervorhob. Wörtlich sagte Wegner: »Wer Berlin beschützt, den beschützt Berlin. Und wer sich mit der Feuerwehr oder Polizei anlegt, der legt sich mit uns an.«
Ein großes Versprechen gab der Senatschef selbstredend auch für den Bereich von Bausenator Christian Gaebler (SPD): »Wir werden schneller bauen, wir werden alle Flächen nutzen und wir werden Hemmnisse überwinden.« Wer wollte, konnte hier eine Kampfansage an all jene heraushören, die für den Erhalt grüner Innenhöfe und gegen die weitere Versiegelung der Stadt durch immer neue Bauvorhaben kämpfen.
Tatsächlich verzichtete Wegner auch hier darauf, seine hingeworfenen Ideenschnipsel zu konkretisieren. Stattdessen setzte er auf die rhetorische Kraft von durchaus einlullenden Floskelwolken. Etwa, wenn er gegen Ende seiner Rede erklärte: »Ich verspreche nicht, dass wir Wunder vollbringen, denn an Wunder glaube ich nicht. Ich glaube an harte Arbeit. Und genau das ist mein Versprechen.«
Grünen-Fraktionschef Werner Graf ließ es sich in der folgenden Aussprache in seiner Rolle als Oppositionsführer nicht nehmen, SPD-Fraktionschef Raed Saleh an seine eigenen Worte kurz vor der Wiederholungswahl zu erinnern. Die CDU reise »in 80 Phrasen um die Welt«, hatte Saleh dem späteren Koalitionspartner seinerzeit vorgehalten. Graf sagte: »Respekt, lieber Raed, dass du damals schon wusstest, wie man diesen schwarz-roten Koalitionsvertrag richtig bezeichnen kann.« Das 135-Seiten-Werk mit dem Titel »Das Beste für Berlin« sei vor allem ein »Lehrbuch des Konjunktivs für den Deutschunterricht«.
Aber auch ansonsten warte die neue Koalition vor allem mit »potemkinschen Dörfern« auf, so Graf auch mit Verweis auf die Überlegungen, die Olympischen Spiele 2036 nach Berlin zu holen und die Weltausstellung Expo gleich noch dazu. »Momentan hat man schon das Gefühl, Sie können gar nicht schnell genug neue Großprojekte, neue Phrasen, neue Luftschlösser bauen, um davon abzulenken, dass Sie keine Antworten auf die aktuellen Probleme dieser Stadt haben«, erklärte der Grünen-Politiker.
Die ebenfalls seit neuestem oppositionelle Linke machte dabei deutlich, dass sie bei Schwarz-Rot jegliches Engagement gegen Armut vermisse. In Anspielung auf den Umstand, dass sowohl Wegner als auch Saleh aus Spandau kommen, sagte Linksfraktionschefin Anne Helm: »In der Spandauer Koalition aus CDU und SPD fehlt es an einer Kraft, die für Menschen einsteht, die von der Gesellschaft ausgegrenzt und von der Politik übersehen oder sogar als Problem angesehen werden, das man beseitigen muss.«
Naturgemäß zeichnete SPD-Chef Saleh ein vollständig anderes Bild von Schwarz-Rot. Gebührenfreiheit in der Bildung, »die bezahlbare Stadt«, faire und sichere Löhne: In seiner Rede präsentierte Saleh sich, seine Fraktion und seine Partei zuvorderst als das gute soziale Gewissen der Koalition. Dazu gehörte auch, dass er beteuerte, die SPD stehe »felsenfest an der Seite der Mieterinnen und Mieter«. Und er erklärte: »Gentrifizierung ist aufzuhalten, und zwar für ganz Berlin.«
Was wiederum nicht ohne Witz ist, wenn man bedenkt, dass SPD-Bausenator Gaebler unlängst ankündigte, den Ende 2022 beschlossenen Mietenstopp für die landeseigenen Wohnungsunternehmen nicht über 2023 hinaus zu verlängern, und an anderer Stelle in einem Interview mit der »Berliner Morgenpost« erklärte, wie wichtig höherpreisige Wohnungen für die Stadt seien.
Letztlich blieb auch Saleh über weite Strecken im Ungefähren. So erklärte er unter anderem, ihm sei wichtig, dass die Berliner wieder »stolz« sagen könnten: »Meine Stadt arbeitet für mich, sie ist für mich da, wenn ich sie brauche.« Oder dass Schwarz-Rot Dinge »zum Besseren« verändern wolle. »Wir wollen diese Stadt voranbringen«, hatte Wegner zuvor erklärt. Wenigstens in ihrer Liebe zu Allgemeinplätzen agieren die neuen Koalitionspartner vorerst perfekt auf Augenhöhe.
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