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Kein Ende beim Tram-Ausbau der BVG zum Berliner Ostkreuz
Berlin drohen Millionenkosten für Instandsetzung der Altstrecke, die stillgelegt werden soll
Die Mühlen mahlen weiterhin sehr langsam in Berlin bei der Verlegung der Straßenbahnlinie 21 zum Bahnhof Ostkreuz. »Frühestens nach den Sommerferien« sollen die Unterlagen für das Planfeststellungsverfahren zum dritten Mal ausgelegt werden, heißt es nun von den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG). Ende vergangenen Jahres verbreitete die Senatsmobilitätsverwaltung noch die Erwartung, dass die Auslage im ersten Quartal dieses Jahres erfolgen könnte.
Die Unterlagen würden »aktuell final bearbeitet«, so die BVG. Und: »Parallel wird noch eine Variante geprüft, die den Eingriff in den Baumbestand weiter reduzieren kann.« Das geht aus der noch nicht veröffentlichten Antwort der Mobilitätsverwaltung auf eine Schriftliche Anfrage des Linke-Verkehrspolitikers Kristian Ronneburg hervor, die »nd« exklusiv vorliegt.
Mit den erneuten Verzögerungen wird die zuletzt in Aussicht gestellte Inbetriebnahme der nur 1,2 Kilometer langen Neubaustrecke im Jahr 2026 zunehmend unrealistischer. Denn eine laute und wild entschlossene Bürgerinitiative aus der Friedrichshainer Sonntagstraße hatte bereits mit Hunderten Einwendungen im Verfahren gegen den Bau mobil gemacht – auch im Rahmen der dritten Auslegung dürfte mit einer Flut von Einwänden zu rechnen sein. Sollte irgendwann ein Planfeststellungsbeschluss vorliegen, muss fest mit Klagen gerechnet werden, die möglicherweise aber keine aufschiebende Wirkung haben werden. Zur Erinnerung: Ursprünglich ist mal eine Eröffnung der Strecke im Jahr 2016 angekündigt worden.
Erstmals sind die Pläne 2018 ausgelegt worden. Als sich herausstellte, dass bei der Betrachtung der Schallbetroffenen nicht alle berücksichtigt worden sind, mussten 2021 die Pläne ein weiteres Mal ausgelegt werden. Online wurden, angeblich durch ein Versehen des Dienstleisters, jedoch nicht alle Unterlagen veröffentlicht. Nun wird eine dritte Auslage nötig.
Zwischenzeitlich ist ein damals noch nicht gelöster Konflikt mit der Feuerwehr wegen Rettungswegen im Brandfall für einige Häuser in der Sonntagstraße bekannt geworden. Immerhin hier scheint es im Prinzip eine endgültige Lösung zu geben. »Aktuell sind zwei technische Varianten zur Gewährleistung der Rettungswege mit der Berliner Feuerwehr abgestimmt. Eine Variante beinhaltet eine Portallösung im Bereich der zukünftigen Haltestelle mit einer festen Stromschiene. Die zweite Lösung basiert auf einer fest verspannten Fahrleitung mit einer Abschaltautomatik«, teilt die BVG mit. Der Senat präferiert die Abschaltautomatik. »Eine abschließende Unterlage liegt noch nicht vor«, heißt es allerdings dazu.
Es wird von einer Bauzeit von anderthalb Jahren ausgegangen. Wann der Bau im direkten Bereich des Bahnhofs Ostkreuz tatsächlich beginnen kann, hängt auch davon ab, wann die Wasserbetriebe mit ihren geplanten umfangreichen Arbeiten im Zuge der endgültigen Gestaltung der Vorplätze fertig sind.
Das ist nicht nur misslich, weil damit Fahrgäste noch länger auf die direkte Anbindung an den S-Bahn- und Regionalverkehrsknoten Ostkreuz warten müssen – immerhin der Bahnhof mit der höchsten Zahl von Zughalten deutschlandweit mit täglich 250 000 Ein-, Aus- und Umsteigenden. Sondern auch, weil die noch zu DDR-Zeiten das letzte Mal grunderneuerten Gleise auf der stillzulegenden Bestandsstrecke der Linie 21 langsam an das Ende ihrer Lebensdauer kommen.
Laut Auskunft der BVG sei »nach heutigen Einschätzungen durch zustandsbezogene Instandhaltungsarbeiten in den kommenden drei Jahren die Betriebssicherheit gesichert«, heißt es in der Antwort der Mobilitätsverwaltung. Geschätzt 50 000 Euro pro Jahr wird das kosten. Das gelte jedoch nur, »soweit nicht Materialermüdungen beziehungsweise andere Faktoren diese Zeitspanne verkürzen und größere und zeitaufwendigere Instandsetzungsmaßnahmen schon dann erforderlich machen, um den Betrieb aufrechtzuerhalten«. Für die möglicherweise nötige »abschnittsweise« Grunderneuerung könnten schnell mehrere Millionen Euro an Kosten auflaufen.
»Pleiten, Pech und Pannen im Planungsverfahren können also dazu führen, dass die Altstrecke kurz vor ihrer Stilllegung für viel Geld erneuert werden muss«, sagt Linke-Verkehrsexperte Kristian Ronneburg zu »nd«. »Die für die Fahrgäste noch schlimmere Variante wäre ein jahrelanger Bus-Ersatzverkehr zwischen Frankfurter Tor und S-Bahnhof Rummelsburg«, so der Politiker weiter.
Bisher trifft der schlechte Zustand der Großverbundplatten aus Beton, in denen die Gleise liegen, vor allem den Autoverkehr. Das Material bröckelt, Schlaglöcher entstehen. Teilweise liegt dabei die Stahlbewehrung der Platten frei. In den vergangenen Jahren ist durch die punktuellen Reparaturen ein regelrechter Flickenteppich entstanden.
Die Zuverlässigkeit des Straßenbahnverkehrs leidet, weil der Gleiskörper nicht abmarkiert ist. Undisziplinierte Kraftfahrende blockieren beim Einbiegen in die Marktstraße die Züge. Oft wird dabei das Zeitfenster für den eingleisigen Abschnitt unter den Bahnbrücken nahe dem S-Bahnhof Rummelsburg verpasst, weswegen die Linie 21 sich hier stadtauswärts auf wenigen Hundert Metern schnell mal zehn Minuten Verspätung einfängt. Ein Problempunkt, den die Mobilitätsverwaltung kennt, sich offenbar aber nicht mit einer Lösungsfindung beschäftigt. »Eine geringere Kfz-Frequenz könnte freilich Abhilfe schaffen – ob und wie hier Dosierungen zu erreichen sind, bleibt Thema«, hieß es 2021.
Lösungen sollten langsam gefunden werden, denn – und das ist die gute Nachricht für die Fahrgäste – irgendwann im Laufe kommenden Jahres soll die neue Straßenbahnlinie 22 das Angebot vom Blockdammweg in Karlshorst Richtung Friedrichshain verdoppeln. Ab dem Frankfurter Tor soll sie dem Verlauf der M10 Richtung Norden bis zur Endhaltestelle Kniprodestraße folgen. Die Linien 21 und 22 sollen dann zusammen einen Zehn-Minuten-Takt zur Anbindung der in den letzten Jahren von starkem Zuzug geprägten Gebiete entlang der Rummelsburger Bucht bis zum Neubaugebiet Parkstadt Karlshorst eines privaten Investors mit 1000 neuen Wohnungen gewährleisten.
Wobei die Realität eher mit sechs Fahrten pro Stunde beschrieben sein dürfte, denn ein regelmäßiger Takt wäre angesichts der Verkehrslage wohl kaum gewährleistet. Wie viele Bewohner der über 500 Eigentumswohnungen in der Parkstadt, deren Bezug bereits 2022 begann, angesichts der Zuverlässigkeit so masochistisch veranlagt sein werden, das BVG-Angebot auch zu nutzen, wird sich noch erweisen müssen.
Dafür braucht es eine neue Wendeanlage am Blockdammweg, denn die vorhandene Schleife ist nur aus Richtung Treskowallee befahrbar. Früher vorhandene Weichen aus Richtung Friedrichshain sind im Sparwahn vor vielen Jahren entfernt worden. Die Planungen für das zusätzliche Wendegleis sind laut BVG »in einem fortgeschrittenen Stadium«. Derzeit liefen die Abstimmungen mit der Naturschutz- und Plangenehmigungsbehörde. Noch steht die Koordination der Bauzeiten mit den Leitungsbetrieben sowie den eigenen, 2024 geplanten Baustellen im Straßenbahnnetz an.
Ob im kommenden Jahr tatsächlich das neue Kehrgleis fertig wird und damit die Tramlinie 22 ihren Betrieb aufnehmen kann, wird sich also noch erweisen müssen. Zumal Anfang vergangenen Jahres die Umsetzung der Maßnahme noch für 2023 in Aussicht gestellt worden ist. In der Antwort auf eine Anfrage von CDU-Politikern hieß es, es werde »mit hoher Priorität« daran gearbeitet.
Der Bedarf für ein adäquates Angebot ist da. Trotz des im Innenstadtbereich eher unattraktiven 20-Minuten-Takts und der hohen Unzuverlässigkeit sind die Fahrgastzahlen seit 2012 um die Hälfte gestiegen. Waren damals laut BVG zwischen Frankfurter Tor und Blockdammweg täglich pro Richtung 1200 Fahrgäste unterwegs, zählten die Verkehrsbetriebe im vergangenen Jahr je 1800. Für 2020, offenbar vor den Corona-Einschränkungen, gibt die BVG sogar 2000 Fahrgäste pro Richtung an.
Die Verdoppelung des Fahrtenangebots mit der Linie 22 dürfte jedoch die Abnutzung der Altstrecke spürbar erhöhen und noch früher eine Erneuerung nötig machen.
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