- Kommentare
- Platzverhältnisse
Klebstoff gesucht
Razzien gegen die Letzte Generation: Wer sagt eigentlich, dass die Mitte der Gesellschaft immer demokratisch ist?
Wer sich wundert, wozu Politiker fähig sind, kann weder Markus Söder noch Nancy Faeser kennen. Der eine ist einer der Lautesten, wenn es darum geht, die Letzte Generation zu kriminalisieren. In seinem Bundesland hat das Amtsgericht München ein Ermittlungsverfahren wegen »Bildung beziehungsweise Unterstützung einer kriminellen Vereinigung« angestrengt. Die andere führt für die SPD Wahlkampf in Hessen. Und hat gelernt, dass man mit dem achtsamen Gesprächskreis-Wortmüll, mit dem sie zu Beginn ihrer Amtszeit unterwegs war, nicht bei der für eine Innenministerin relevanten Instanz, der »Bild«-Zeitung, punkten kann. Also hat sie die Razzien in 15 Wohnungen gerechtfertigt. Wenn man charakterlich so strukturiert ist, kann man Klimaaktivisten ganz prima wie Schwerkriminelle behandeln und sich als Wahlkampfmotto »SPD. Sozial. Ökologisch. Gerecht« ausdenken. Comedy können sie also in Hessen.
Es gab also allen Ernstes Razzien. Bei Sprecherin Carla Hinrichs beispielsweise. Und, Achtung, kein Witz aus Hessen: »Zwei beschuldigte Unterstützer sollen der Letzten Generation bei der Einnahme von Spendengeldern geholfen haben.« Was jetzt wirklich nach einer schwer staatsgefährdenden Aktion klingt. Überhaupt: Was sucht man als deutscher Polizist mit ordentlich ausgestelltem Durchsuchungsbeschluss bei einer Klimaschützerin überhaupt: Klebstoff? Warnwesten? Den Verstand, den hier gerade offenbar einige verloren haben?
Dass Staat und Justiz noch alle Latten am Zaun haben, hat – in angemessener Sprache – im Übrigen eine Politikerin angezweifelt, die mir schon häufig positiv aufgefallen ist. Wahrscheinlich hat sie deswegen eine solch schlechte Presse: SPD-Chefin Saskia Esken hat mit der Feststellung, dass »der Beitritt zu einer Partei und der Gang durch die Institutionen nicht der einzige Weg ist, sich politisch zu betätigen« Rückgrat bewiesen. By the way: Haben die Grünen zu den Razzien eigentlich auch eine Meinung? Die prominenten, meine ich? So mancher von der Letzten Generation/Fridays for Future dürfte ja noch bei der letzten Wahl treudoof die Grünen im Glauben gewählt haben, dass die tatsächlich auf ihrer Seite stehen. Grünen-Mitglied Luisa Neubauer scheint das sogar immer noch zu denken.
Mit Interesse habe ich übrigens gelesen, dass besagte Sprecherin der Polizei vorwirft, sie mit vorgehaltener Waffe aus dem Bett geholt zu haben. Ich kenne Hinrichs nicht, wohl aber kenne ich den KSC. Und auch in Karlsruhe, der »Stadt des Rechts« (City-Marketing), gibt es Juristinnen, die allen Ernstes Razzien bei Fußballfans angeordnet haben, die im Stadion Pyrotechnik gezündet haben. Die Aktion, das bestreitet auch kein Fan, ist danebengegangen, der Rauch zog nicht ab. Und der riecht weder gut, noch ist er gesundheitsfördernd. Aber Razzien? Zertrümmerte Wohnungseinrichtungen? Ermittlungen gegen Fansozialarbeiter, die mit den Fans in Kontakt stehen, weil es ihr Job ist, mit Fans in Kontakt zu stehen? Auch in Karlsruhe berichten einige, dass bei ihnen zuerst die Tür aufgebrochen und dann geklingelt wurde. Die Polizei dementiert das. Sie wird auch die Schilderung von Hinrichs dementieren. Und sie wird damit durchkommen.
Es ist wirklich schlichtweg gruselig, was in diesem Land mit Menschen und Gruppen passieren kann, wenn sie keine Lobby haben. Ich glaube, das liegt daran, dass die Mitte der Gesellschaft (wodurch definiert sie sich eigentlich?) hierzulande per se als demokratisch gilt. Dazu eine Anekdote: Beim Pfingsttreffen des Coburger Convents, eines Zusammenschlusses schlagender Verbindungen, das auch in diesem Jahr wieder stattfand, grüßte 2018 ein Verbindungsmann einen anderen mit »Heil Hitler«. Fast fünf Jahre blieb der Name des Täters geheim, weil weite Teile der CC-Prominenz dessen Namen für sich behielten. Der ist nun dank der Freiburger Antifa bekannt, der CC hat gerade ein massives Glaubwürdigkeitsproblem. Die Antifas dürften als Outlaws gelten. Die CC-Leute zählen zu den Spitzen der Gesellschaft. Der »Heil Hitler«-Rufer selbst ist Richter an einem niedersächsischen Amtsgericht.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.