Antifa-Ost: Lange Haft für Lina & Co

Gericht sieht Leipziger Antifaschisten als kriminelle Vereinigung

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 4 Min.

In einem Gerichtsverfahren, das sich über 97 Verhandlungstage erstreckt, nimmt es nicht Wunder, dass es auch kurz vor dem Ende zu Verzögerungen kommt. An diesem Mittwoch um 10 Uhr wollte das Oberlandesgericht Dresden das Urteil gegen die Leipziger Antifaschistin Lina E. und drei Mitangeklagte sprechen. Doch zunächst verschob sich der Auftakt, weil weitere Zuschauer durch die aufwendigen Sicherheitskontrollen geschleust werden mussten. Als der Vorsitzende Richter Hans Schlüter-Staats dann zum Urteil ansetzte, wurde er von Sprechchören des Publikums unterbrochen: »Wir sind alle 129a«, skandierten diese, später auch: »Feuer und Flamme der Repression«.

Gemäß Paragraf 129a des Strafgesetzbuches wird den vier Angeklagten zur Last gelegt, ab 2018 eine kriminelle Vereinigung gebildet zu haben. Deren Ziel seien brutale Überfälle auf Rechtsextreme gewesen. Es geht um sechs Vorfälle, darunter zwei Angriffe auf eine Eisenacher Nazikneipe und deren Inhaber, Attacken auf einen NPD-Mann aus Leipzig und Teilnehmer einer rechten Demo in Wurzen. Den Angeklagten werden gefährliche Körperverletzung und Landfriedensbruch, Sachbeschädigung und räuberischer Diebstahl zur Last gelegt, darüber hinaus und stark strafverschärfend aber die Bildung der kriminellen Vereinigung. In Lina E. sah die Bundesanwaltschaft sogar eine Rädelsführerin, weswegen sie für die junge Frau eine Haftstrafe von acht Jahren beantragt hatte.

Dieser Forderung folgt das Gericht nicht: Lina E., die seit November 2020 in U-Haft sitzt, wurde zu fünf Jahren und drei Monaten verurteilt, und zwar nur wegen »mitgliedschaftlicher Beteiligung« in der Vereinigung. Die Vertreterin der Bundesanwaltschaft hatte zuvor behauptet, der »prägende Einfluss« von Lina E. in dem Zusammenschluss stelle ein »Regelbeispiel« für eine Rädelsführerschaft dar. Nun senkte das Gericht das von ihr geforderte Strafmaß um ein Drittel. Ein weiterer Angeklagter wurde ebenfalls wegen Mitgliedschaft, die zwei anderen wegen Unterstützung der Vereinigung verurteilt. Sie erhielten Haftstrafen zwischen 30 und 39 Monaten, drei bis sechs Monate weniger als von der Anklage gefordert.

Die Begründung dafür, warum das Gericht die Bildung der kriminellen Vereinigung für erwiesen sieht, die Führungsrolle von E. aber verneint, stellte Schlüter-Staats zunächst zurück. Stattdessen ging er ausführlich auf Vorwürfe ein, es handle sich um ein politisches Verfahren. »Das ist richtig«, sagte er und verwies auf die politische Motivation der Straftaten, die, wie es im Prozess formuliert wurde, in der »Bekämpfung des Faschismus« bestanden habe. Das sei zunächst »ein achtenswertes Motiv«, sagte Schlüter-Staats. Allerdings mache das gewalttätige Angriffe auf Rechtsextreme »nicht zu Bagatellen«.

Zudem sei Kritik an einem zu zögerlichen Vorgehen von Staat und Sicherheitsbehörden gegen den Rechtsextremismus, wie sie die Verteidiger geäußert hatten, zwar »nachvollziehbar«, es gebe aber in der Bundesrepublik keine »notwehrähnliche Situation«, die es rechtfertige, das Recht in die eigenen Hände zu nehmen. Ein Komplettversagen der Justiz gebe es nicht; allein der Senat, dem er vorstehe, habe in den letzten Jahren gegen Rechtsextreme 88 Jahre Gefängnis verhängt. Schlüter-Staats sagte, das staatliche Gewaltmonopol sei »Grundlage der demokratischen Gesellschaft«, und auch gewalttätige Nazis würden durch ihre Taten »nicht vogelfrei«. Zudem verwies er auf Taten wie den Überfall auf einen Kanalarbeiter im Leipziger Stadtteil Connewitz, der nur angegriffen wurde, weil er eine Mütze eines rechten Modelabels trug. Er erlitt schwerste Gesichtsverletzungen. Das zeige, »wohin der militante Antifaschismus führt«.

Der Vorsitzende Richter erhob zudem Vorwürfe gegen die Verteidigung. Deren »propagandistische Begleitmusik« habe dazu beigetragen, dass aus dem Prozess ein politisches Verfahren geworden sei. Sie habe die Angeklagten als »Opfer eines Repressionsstaates« und den Prozess als »Testballon« für die Kriminalisierung von Antifaschismus dargestellt. Das sei ebenso unzutreffend wie die von der Verteidigung geäußerte Behauptung, die Verhandlung sei als »Terrorprozess« inszeniert worden. Die Sicherungsvorkehrung entspreche der vergleichbarer Gerichtsverfahren. Deutliche Kritik äußerte er aber an Begleitumständen wie der Behandlung von Lina E. bei der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe. Nach ihrer Verhaftung in Leipzig wurde sie im Helikopter dorthin vorgeführt und von schwerbewaffneten Polizisten sowie Pressefotografen empfangen. Die Umstände stellten eine »erhebliche Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte« dar, die strafmildernd berücksichtigt worden seien.

Danach schilderte Schlüter-Staats, wie das Gericht die einzelnen Überfälle bewertet. Weil das sehr ausführlich erfolgte und zudem immer wieder Zwischenrufe aus dem Publikum für Unterbrechungen sorgten, war unklar, ob die Urteilsbegründung am Mittwoch abgeschlossen werden konnte: »Ich fürchte«, sagte Schlüter-Staats am Nachmittag, »wir werden heute nicht fertig.«

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