Kinderheilkunde in Not

Nach Schließung von Klinikabteilungen arbeiten immer weniger Ärzte in der Pädiatrie

Geht es um Kindergesundheit, erinnern sich viele an die RSV-Wellen im Laufe der Pandemie: Jede Menge Kleinkinder steckten sich mit dieser Atemwegserkrankung an und füllten die Krankenhäuser. Lieferengpässe betreffen ebenfalls die Kindermedizin: Es fehlen orale Antibiotika und weiterhin Fiebersäfte. Bestätigen kann letzteres auch Songül Yürek. Die junge Frau arbeitet als Ärztin in Weiterbildung in einer Kinderrettungsstelle der Charité. Über den gravierendem Zeitmangel der Beschäftigten dort berichtete Yürek auf einer Veranstaltung der Rapoport-Gesellschaft in Berlin im Mai. Die Zeitnot komme unter anderem daher, dass Kinder als Patienten längere Untersuchungszeiten benötigen: Man kann ihnen nicht einfach sagen, was sie machen sollen, je nach Alter und Situation brauchen sie Unterstützung und Zuspruch.

Das führt dazu, dass wegen fehlender Pflegekräfte auch Ärzte pflegerische Arbeiten übernehmen. Schon so warten Familien mit ihren Kindern in Berliner Rettungsstellen sechs bis acht Stunden. Yürek kann das verallgemeinern, weil sie und viele Kinderärztinnen und -ärzte aus Berliner Krankenhäusern sich zu einer Initiative zusammengeschlossen haben, die bessere Bedingungen in den Kinderkliniken erreichen will.

Hausgemachte Probleme kommen hinzu: So gibt es für die Versorgung schwerkranker Kinder keine berlinweite Koordinierung. »Das heißt immer: telefonieren. Wir mussten im Winter am Ende trotzdem Patienten bis nach Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern verlegen«, erklärt Yürek. Personalmangel und -abbau habe spätestens in der Pandemie begonnen, teils weil Fachkräfte auf andere Stationen versetzt worden seien. »Mehr Personal macht weniger Fehler«, so die künftige Kinderärztin über das Fazit vieler Studien. In ihrem Bereich können Fehler beim Dosieren von Medikamenten auftreten, Frakturen können übersehen werden. Die Initiative der Berliner Kinderkliniken hat für einen Brandbrief vom vergangenen Sommer die tägliche Arbeitsbelastung genau aufgeschlüsselt. Dabei fällt auf, dass am Ende für Gespräche mit den Kindern und ihren Eltern pro Tag je Fall 15 Minuten bleiben.

Die Zeit für Untersuchungen, Absprachen und Dokumentation ist jedoch auf den einzelnen Patienten gerechnet ebenfalls nicht reichlich. »Wenn wir schnell und gut sind, können wir drei Patienten pro Stunde versorgen«, sagt Yürek. Aber das wird nicht die Regel sein, weil zum Beispiel in den Kinderrettungsstellen oft Berufsanfänger arbeiten. Zusätzlicher Stress entsteht mitunter durch Polizeibeamte in der Rettungsstelle, wenn ungeduldige Eltern aggressiv werden. Da in der Kindermedizin besonders viele Frauen tätig sind, kommt es bei Schwangerschaften ebenfalls zu Ausfällen.

Yürek und die Berliner Initiative haben durchaus Vorstellungen zur Problemlösung: Es sollte feste ärztliche Versorgungsschlüssel und mehr Transparenz bei der Personalplanung geben. Mehr ärztliches Personal in den Rettungsstellen ist zudem die erste Forderung aus dem Brandbrief vom vergangenen Jahr. Fehle es, so könnten Vorgaben zur Behandlungsdringlichkeit nicht eingehalten werden. Je nach Schweregrad muss sofort oder spätestens in 120 Minuten eine ärztliche Behandlung eingeleitet werden.

Die Personalmisere in der Kinderheilkunde begann jedoch schon viel früher, nicht erst in der Pandemie. So wurde seit Einführung der Fallpauschalen 2004 ein Viertel aller Kinderkliniken beziehungsweise -abteilungen aufgegeben, 40 Prozent der Betten in Kinderkliniken wurden abgebaut. Die absolute Zahl der Kinder in Deutschland ist jedoch von einem Tiefpunkt von 9,8 Millionen im Jahr 2013 wieder angestiegen, auf 10,9 Millionen Anfang 2022.

Im Bereich der niedergelassenen Kinder- und Jugendärzte fordert die Demografie ebenfalls ihren Tribut. Bis 2025 wird ein Viertel dieser Ärzte in den Ruhestand gehen. Der Stress in unterbesetzten Krankenhausabteilungen, Rettungsstationen und Praxen schränkt zudem Aus- und Weiterbildung ein. Die Kinderheilkunde bewegt sich also immer tiefer in die Notlage hinein.

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