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Armenien und Aserbaidschan: Endlich Frieden im Südkaukasus?
Armenien und Aserbaidschan könnten ihren Konflikt nach über 30 Jahren beilegen
Am 22. Mai hat Armeniens Premierminister Nikol Paschinjan erklärt, Bergkarabach als Teil Aserbaidschans anzuerkennen. Allerdings unter einer Bedingung: Die dort lebende armenische Bevölkerung soll von Baku eine Sicherheitsgarantie erhalten.
So überraschend Paschinjans Aussage erschien, absolut neu war sie nicht. Schon früher hatte der Premier erklärt, Jerewan sei bereit, das Gebiet, das zum Zankapfel der beiden Nachbarn wurde, als aserbaidschanisch anzuerkennen. Als im vergangenen Oktober in Prag die Europäische Politische Gemeinschaft gegründet wurde, erklärten die beiden Kaukasusrepubliken, sich gegenseitig in den Grenzen von 1991 anzuerkennen.
Ein Aspekt ist jedoch interessant: Betonte Paschinjan früher stets die territoriale Souveränität Armeniens auf 29 800 Quadratkilometern (ohne Bergkarabach), sprach er nun von 86 600 Quadratkilometern, dem international anerkannten Gebiet von Aserbaidschan, inklusive Bergkarabach.
Was riskiert Paschinjan?
Paschinjans neue Politik, so scheint es, müsste in Armenien zu Massenprotesten und zu seinem Rücktritt führen. Tatsächlich wurden bereits während der Pressekonferenz Sicherheitskräfte am Regierungsgebäude zusammengezogen, als Dutzende Angehörige gefallener armenischer Soldaten mit Bildern der Verstorbenen dorthin kamen. Massenproteste wurden daraus allerdings nicht.
Das Protestpotenzial in Armenien ist bereits seit Ende 2020 erschöpft, als Paschinjan, der aserbaidschanische Präsident Ilham Alijew sowie Russlands Staatschef Wladimir Putin die trilaterale Vereinbarung unterzeichneten, mit der Jerewan seine Niederlage im Krieg um Bergkarabach 2020 eingestand.
Selbst damals führten die Unruhen und Auseinandersetzungen am Regierungsgebäude nicht zum Rücktritt Paschinjans. Bei der vorgezogenen Parlamentswahl im Juni 2021 verlor seine Partei »Zivilvertrag« zwar viele Stimmen, verteidigte mit 54 Prozent aber die Mehrheit. Das Ergebnis zeigt, wie ermüdet die Gesellschaft vom Krieg ist und wie sehr eine Alternative zum aktuellen Regierungschef fehlt. Paschinjan will offensichtlich nicht als Kriegsverlierer in die Geschichtsbücher eingehen, sondern als derjenige, der den Frieden erreicht hat.
Verlässt Russland den Südkaukasus?
Die alte Ordnungsmacht Russland hat mit seinem Krieg in der Ukraine auch seine Position im Südkaukasus geschwächt. Das hat vor allem Aserbaidschan ausgenutzt, hinter dem die Türkei steht. Immer öfter verweist man in Baku darauf, dass die russischen Friedenstruppen, die 2020 für fünf Jahre in Bergkarabach stationiert wurden, das Land nach 2025 (oder möglicherweise bereits vorher) verlassen sollen, auch wenn die trilaterale Vereinbarung durchaus eine Verlängerung des Einsatzes vorsieht.
Als Aserbaidschan Ende April am Latschin-Korridor, der einzigen Verbindung zwischen Bergkarabach und Armenien, einen Kontrollpunkt einrichtete, kam von Russland keine Reaktion.
In Jerewan suchen diejenigen, die mit Moskaus Passivität unzufrieden sind, bereits eine Alternative zum Kreml. Nachdem bei Spannungen an der Grenze im September 2022 auf beiden Seiten mehr als 300 Menschen starben, lud Armenien die Beobachtermission der Europäischen Union ein. Der Kreml reagierte darauf nervös.
Im Januar sagte Jerewan schließlich eine Übung des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS) ab. Im Mai erklärte Paschinjan, dass Armenien die OVKS verlässt, wenn sie sich als »handlungsunfähige Organisation« entpuppen sollte.
Was wird aus Bergkarabach?
Eine der wichtigsten Fragen ist die Zukunft der Armenier in Bergkarabach. Noch hat Baku keinen detaillierten Plan zur Integration der armenischen Bevölkerung in die aserbaidschanische Gesellschaft. Klar ist, dass Aserbaidschan auf jeden Fall darauf besteht, ihnen keine Sonderrechte oder Vergünstigungen zuzugestehen. Langzeitpräsident Alijew hat mehrfach erklärt, dass die »Armenier entweder die aserbaidschanische Staatsbürgerschaft annehmen oder sich einen anderen Ort zum Leben suchen« sollen.
Vor Kurzem hat er zudem das Parlament und andere Behörden der nicht anerkannten Republik Bergkarabach (in Armenien als Arzach bezeichnet) zur Selbstauflösung aufgefordert und mit einer Militäroperation gedroht, sollte dem nicht Folge geleistet werden. Vertreter der Republik antworteten darauf, man akzeptiere nicht, dass jemand »mit ihnen in der Sprache der Gewalt redet«.
Höchstwahrscheinlich wird ein Großteil der Armenier gezwungen sein, Bergkarabach zu verlassen. Bleiben werden wohl die Älteren, die nicht bereit sind, ihr Leben noch einmal zu verändern.
Wer wird der Vermittler zwischen Jerewan und Baku?
Russland und der Westen befinden sich derzeit in einem Tauziehen um die Frage, wer einen Friedensvertrag zwischen Armenien und Aserbaidschan vermittelt. Anfang Mai verhandelten die Außenminister beider Staaten unter Vermittlung von US-Außenminister Antony Blinken vier Tage lang in Washington. Zum Ergebnis erklärte der amerikanische Chefdiplomat lediglich, man habe »bedeutende Fortschritte beim Erreichen einer dauerhaften Friedensvereinbarung erreicht«.
Am 25. Mai lieferten sich Alijew und Paschinjan im Kreml ein Wortgefecht wegen des Sangesur-Korridors, der Straße, die Aserbaidschan mit der Autonomen Republik Nachitschewan, einer Exklave, über armenisches Gebiet verbinden soll. Die trilaterale Vereinbarung von 2020 sieht vor, dass Armenien die Sicherheit des Verkehrs zwischen Aserbaidschan und Nachitschewan garantiert.
In Jerewan befürchtet man allerdings, dass der Bau des Korridors das Land vom Iran abschneidet und Baku Ansprüche auf die Region Sjunik erheben könnte. Armenien hofft auf Unterstützung des Irans, der ebenfalls gegen den Korridor ist, weil er dadurch einen stärkeren Einfluss der Türkei in der Region befürchtet.
Wie ein Friedensvertrag zwischen Baku und Jerewan aussehen könnte, ist noch nicht bekannt. Aus offenen Quellen geht aber hervor, dass der vorläufige »Brüssel-Washington«-Text eine sofortige Lösung der Bergkarabach-Frage vorsieht. Die »Moskauer« Variante will das Problem hingegen vertagen. Offensichtlich will der Kreml den Konflikt am Leben halten, um seine Anwesenheit im Südkaukasus zu verlängern.
Schaut man sich die Zahl der Zusammenkünfte der Staatschefs bei westlichen und Moskauer Treffen an, wird deutlich, dass Jerewan und Baku dazu tendieren, die Europäer und US-Amerikaner als Vermittler zu wählen. Zuletzt kamen Alijew und Paschinjan am 1. Juni in Chisinau mit Bundeskanzler Olaf Scholz, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und EU-Ratspräsident Charles Michel zusammen. Paschinjan sprach anschließend von einem fruchtbaren Treffen. Am 12. Juni wollen die beiden Außenminister erneut in Washington zusammenkommen. Alijew und Paschinjan treffen sich am 21. Juli in Brüssel wieder. Ein Friedensvertrag rückt immer näher und wird wahrscheinlich in einer westlichen Hauptstadt unterzeichnet.
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