Das Problem heißt Rechtsextremismus

Lina E. und die linke Szene in Leipzig erlebten in den letzten Jahren wachsende Repression und Gewalt von rechts

  • Bettina Wilpert
  • Lesedauer: 4 Min.

Eine junge Frau, Studentin, gerade mal 28 Jahre alt, soll die Rädelsführerin einer linksradikalen Gruppe sein, das fasziniert die Medien und die Öffentlichkeit. Wir kennen das schon von einer anderen Frau aus dem extremen Spektrum: Beate Zschäpe. Wie Lina E. wurde sie medienwirksam nach Karlsruhe geflogen, und beide waren zuletzt in der JVA Chemnitz untergebracht. »Chaotin im Minirock« schrieb die »Bild«-Zeitung über Lina E., und in so einer Berichterstattung schwingt immer Sexismus mit und eine Faszination, weil eine Frau doch gar nicht gewalttätig sein könne. Was in diesem impliziten Vergleich mit Lina E. und Beate Zschäpe auch immer mitschwingt: die Gleichsetzung von Links- und Rechtsextremismus.

Die Bundesanwaltschaft vertritt die Hufeisentheorie, demnach Links- und Rechtsextremismus zwei Enden des gleichen Hufeisens seien und beide die Demokratie gefährden würden. Aber gefährlich ist die Hufeisentheorie selbst, denn diese zwei politischen Strömungen sind eben nicht vergleichbar. Es ist nicht das Gleiche, wenn man Menschen aufgrund einer rassistischen oder antisemitischen Weltanschauung ermordet oder wenn man sich gegen Nazis zur Wehr setzt, geschweige denn die Welt verbessern möchte, wie es die Letzte Generation tun will. Auch die steht nun unter dem Verdacht, eine kriminelle Vereinigung gebildet zu haben. Letzte Woche gab es bundesweit zahlreiche Razzien. Im Endeffekt dient der auch als Schnüffelparagraf bekannte § 129 im ersten Schritt dazu, Gruppen und Personen leichter überwachen zu können. Er ist ein politisches Verfolgungsinstrument und dient der Einschüchterung und Delegitimierung von Gruppen.

Das Problem heißt jedoch Rechtsextremismus und nicht Linksextremismus. Die Attentate von Hanau und Halle sind noch nicht lange her, bei denen insgesamt elf Menschen aufgrund rassistischer, antisemitischer und frauenfeindlicher Einstellungen umgebracht wurden. Die Jahresbilanz der Opferberatungsstellen dokumentiert einen Anstieg rechter Gewalttaten, insbesondere Körperverletzungsdelikten, von mehr als 15 Prozent im Jahr 2022, und der Vorstand spricht davon, dass rassistische Mobilisierungen und Gewalt insbesondere in Ostdeutschland ein flächendeckendes Klima von Angst und Unsicherheit schaffen würden. Laut dem Bundesamt für Verfassungsschutz gingen linksextremistische Straf- und Gewalttaten hingegen 2021 um 20,2 Prozent zurück, den größten Teil dabei machen Sachbeschädigungen aus.

Trotz dieser Zahlen, die für sich sprechen, ist die Repression gegen die linke Szene in Sachsen in den letzten Jahren gestiegen. In einem offenen Brief schreibt das Abgeordnetenbüro LinXXnet: »Wir sind uns daher bewusst, dass es in dem Verfahren niemals nur um die vier Angeklagten ging, sondern um eine antifaschistische und linke Bewegung im Allgemeinen.« 2019 gründete die CDU Sachsen während des Bürgermeisterwahlkampfes in Leipzig öffentlichkeitswirksam die Soko Linx, die auch im Antifa-Ost-Verfahren ermittelte. Seit der Gründung stand sie unter großem Druck, Ergebnisse liefern zu müssen, und immer wieder wird der Soko eine Nähe zu rechten Akteuren vorgeworfen. Interna aus der Ermittlungsarbeit wurden beispielsweise an das rechtsextreme »Compact«-Magazin weitergegeben.

Die Repression gegen die linke Szene macht sich vor allem an den zahlreichen Hausdurchsuchungen bemerkbar, die in den vergangenen Jahren in Leipzig und insbesondere in Connewitz stattfanden, zwei davon wurden im Nachhinein für rechtswidrig erklärt. Wie viele es genau gab, ist nicht gesichert. Eine Anfrage der Linken im Sächsischen Landtag blieb unbeantwortet. Auch die letzte ist noch nicht lange her und fand am 15. März statt, dabei ging es um Angriffe auf Neonazis nach einer faschistischen Demonstration in Budapest. Beteiligt soll daran auch der Verlobte von Lina E. gewesen sein. Die Gruppe Kappa spricht in einer Broschüre davon, dass die Repression in Leipzig inzwischen Normalität geworden sei.

Der Mythos Connewitz als linksradikale Hochburg hält sich hartnäckig, obwohl man darüber diskutieren kann, ob da noch so viel dran ist, weil sich das Viertel immer weniger Menschen leisten können und sich die Szene inzwischen zum Teil in andere Stadtteile verlagert hat. Doch wer in Connewitz wohnt, muss sich zwangsläufig mit Repression und rechter Gewalt auseinandersetzen. Im Rahmen des Antifa-Ost-Verfahrens wurde bekannt, dass eine Kneipe im Stadtteil observiert wurde. Und unvergessen bleibt der sogenannte Angriff auf Connewitz am 11. Januar 2016, als etwa 250 bis 300 Neonazis auf der Wolfang-Heinze-Straße randalierten und Autos, Kneipen und Geschäfte zerstörten. Bei zahlreichen Verfahren kam es zu milden Strafen für die Täter, und bis heute ist ungeklärt, wer die Drahtzieher waren.

Eine für diesen Samstag geplante Großdemonstration der linken Szene gegen Repression in Leipzig wurde am Donnerstag verboten. Ob ein Eilantrag der Organisator*innen gegen das Verbot Erfolg hatte, war bis zum Redaktionsschluss dieser Seite noch offen.

Bettina Wilpert ist Schriftstellerin und lebt in Leipzig. Zuletzt erschien ihr Roman »Herumtreiberinnen« (Verbrecher Verlag).

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