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Die Gründe für das AfD-Umfragehoch
Mit Umfragewerten von rund 18 Prozent erreicht die AfD derzeit so hohe Werte wie die Kanzlerpartei SPD
Die AfD liegt mit ihren Umfragewerten von rund 18 Prozent weit über ihrem Ergebnis bei der Bundestagswahl 2021 und erreicht derzeit so hohe Werte wie die Kanzlerpartei SPD. Längst hat die »Alternative für Deutschland« schon die Grünen überholt. Es lässt sich fragen, ob alle, die vor ihr warnen, in ihr eine Gefahr für die Demokratie sehen. Manche dürften sie eher als Konkurrenz fürchten.
Weiten wir den Blickwinkel, sehen wir, dass rechte Bewegungen nicht nur hierzulande im Aufschwung sind, sondern europa- und weltweit. Gewiss, auch Jeremy Corbyn, Bernie Sanders, Syriza, Podemos hatten Erfolge; vor Kurzem wieder Lula. Es handelt sich also um eine Polarisierung. Aber die Aufschwünge der Rechten sind stabiler. Links folgen auf Euphorie öfter Niederlagen. Die Ursache dieser Entwicklungen findet sich nicht auf der politischen, sondern auf der gesellschaftlichen Ebene. Letztlich ist es die sich weltweit vergrößernde Ungleichheit. Während die Linke sie hoffentlich bekämpft, lebt die Rechte von ihr. Die Rechte, ohne Interesse an der Beseitigung von Ungleichheit, nutzt das Ressentiment derer, die unter dieser leiden.
Am Beispiel der AfD: Sie stellt sich gegen Robert Habecks Heizgesetz. Unter den Bedingungen fortwährender Ungleichheit benachteiligt es Ärmere. Das reicht, um die AfD zu stärken. Stattdessen könnte gefordert werden: ein kompletter Lastenausgleich für alle, deren Einkommen zu klein sind, um eine klimaneutrale Heizung zu bezahlen. Finanzierbar wäre er aus den Erträgen einer wieder eingeführten Vermögenssteuer. Eine Linke, die dafür kämpft, würde Umweltschutz gesellschaftlich nachhaltig machen – ja, erst ermöglichen.
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Die zentrale Ungerechtigkeit des Heizungsgesetzes ist bislang kein Thema: die finanzielle Belastung von Mieter*innen«
Elend treibt Menschen aus dem armen Süden in den reichen Norden. Die AfD nützt die Abwehrhaltung von Menschen, die fürchten, durch Einwanderung schlechter gestellt zu werden. Eine Gesellschaft der Gleichen mit sinkender Wochenarbeitszeit braucht Immigration. Dies wäre ein linkes Gegenkonzept.
Wechseln wir von der Verteilungs- zur Außenpolitik. Die AfD macht die Mobilisierung des kollektiven Westens für einen zweiten Kalten Krieg nicht mit. Als Ursache dafür wird ihr ideologische Nähe zu Putin nachgesagt. Mag sein. Aber das ist nicht alles. Die AfD greift auf, dass viele Menschen in der gegenwärtigen Lage realistische Angst vor Krieg haben. Wer auf der Linken das Potenzial der Friedensbewegung verspielt, handelt verantwortungslos.
Wenn die AfD durch mit ihr konkurrierende Parteien mit fragwürdigen Mitteln diskriminiert wird, schadet ihr dies nicht. Es nützt ihr sogar in der öffentlichen Wahrnehmung: Im Februar 2023 hat das Bundesverfassungsgericht geurteilt, dass die Nichtberücksichtigung der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung bei der Verteilung staatlicher Mittel grundgesetzwidrig sei. Der Verdacht blieb, dass Parteien, die das Geld bisher exklusiv für sich beanspruchten, gern weiter unter sich bleiben wollen. Dass der AfD auch in der zweiten Legislaturperiode, die sie im Bundestag ist, der ihr nach dem Proporz zustehenden Posten eines Vizepräsidenten oder einer Vizepräsidentin des Bundestags vorenthalten wird, hat ein Geschmäckle. Solche Reflexe stärken diese Partei: Sie kann Fairness für sich fordern. Tino Chrupalla, Co-Vorsitzender der AfD, hat das »Manifest für Frieden« von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht unterschrieben. Daraufhin haben einige Menschen ihre Unterstützung für den Aufruf zurückgezogen: Die Bewegung sei rechtsoffen. Herr Chrupalla durfte sich freuen: Er hat wieder einmal die Linke vorgeführt und die eigene Firma als zuverlässige Friedenskraft empfohlen.
Die größte Gefahr für die Demokratie ist nicht die AfD, sondern die sich ständig vergrößernde Ungleichheit und die Einstimmung der Gesellschaft auf einen permanenten Ausnahmezustand. Die AfD gibt wie ein Stammtisch schlechter Laune zwar keine Perspektive, aber eine Stimme. Man sollte nicht Ursache und Wirkung verwechseln.
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