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Kinostart »Medusa Deluxe«: Spieglein, Spieglein an der Wand
Thomas Hardiman inszeniert in »Medusa Deluxe« einen Frisurenwettbewerb als Jahrmarkt der Eitelkeiten und gleichzeitig als Tatort
Irgendwann geht die sehr hohe Frisur des Models Angie, eine sogenannte Fontage, mit der die aufbrausende Hairstylistin Cleve (Clare Perkins) den diesjährigen lokalen Frisuren-Wettbewerb gewinnen wollte, in Flammen auf. Angie hat beim Rauchen die Ausmaße ihrer Haarinstallation nicht bedacht. Das Kunstwerk, in das seine Erschafferin monatelang Energie und Kreativität gesteckt hat, verwandelt sich in Sekunden in Rauch und Asche, Angie wird mit Verbrennungen im Gesicht abtransportiert.
In Thomas Hardimans Debüt-Spielfilm »Medusa Deluxe« dreht sich alles um Haare und Frisuren – und um einen rätselhaften Mord. Der Film spielt fast ausschließlich in einem großen Gebäude, in dem nämlicher Wettbewerb stattfinden soll. Während also Schnitte und Schneiden die Arbeit der gezeigten High-End-Frisör*innen bestimmen, kommt der Film technisch scheinbar ohne dieselben aus.
Die Kameraarbeit von Robbie Ryan (»The Favourite«, »American Honey«) lässt den Eindruck entstehen, der Film sei komplett in einer einzigen Einstellung gedreht. Diese One-Take-Ästhetik kann einem Film eine besondere Dynamik verleihen, insbesondere wenn sich die Ereignisse in der »Echtzeit« überschlagen. Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit sind Produktionen wie »Victoria« oder »Minsk«, in denen das Vorhaben, Krimi-Action bzw. Bedrohungssituationen durch die Echtzeit-Illusion zu verstärken, recht gut gelingt.
Auch in »Medusa Deluxe« führt diese Methode zu einem interessanten, gewissermaßen theatralischen Effekt: Die Kamera folgt den Protagonisten durch lange Korridore in verschiedene Räume, in denen die Handlung dann jeweils dialogisch vorangetrieben wird. Alles bleibt so immer in Bewegung, im Fluss; allerdings ist die Handlung hier weder bedrohlich noch besonders aufregend oder eskalierend, sodass die »Echtzeit« die Erzählung eher verschleppt als beschleunigt.
Der avisierte und offenbar regelmäßig durchgeführte Frisurenwettbewerb, der die Filmfiguren in dem Haus zusammengeführt hat, fällt dieses Jahr allerdings kurzfristig aus, denn einer der teilnehmenden Friseure wird tot und skalpiert aufgefunden. Es entspinnt sich eine Schnitzeljagd nach dem Mörder, aber es findet sich kein echtes Motiv. Irgendwie sind mehrere Figuren verdächtig, wirklich klar und plausibel wird das alles jedoch nicht. Stattdessen erfahren wir allerlei über die verwickelten Beziehungen der Figuren untereinander, bekommen Einblick in ihre Abgründe und Motivationen.
Unübersehbar geht es Hardiman weniger darum, einen stimmigen oder spannenden Krimi zu produzieren, vielmehr soll der Hairdressing-Kunst ein Denkmal gesetzt werden, und gleichzeitig wird die Prekarität der überaus kreativen Kunstarbeiter*innen thematisiert, die gegeneinander antreten.
Gewalttätig-vulgär wie Cleve, auf einem esoterisch-religiösen Trip wie Cleves Konkurrentin Divine (Kayla Meikle) oder überambitioniert wie Kendra (Harriet Webb), der nachgesagt wird, René (Darrell D’Silva), den Veranstalter des Wettbewerbs, in der Vergangenheit geschmiert zu haben: Alle Charaktere sind auf ihre Art verloren, lechzen nach einem kleinen bisschen Ruhm und Bestätigung.
Das Milieu, das Hardiman uns präsentiert, ist so korrupt wie divers, die männlichen Figuren homosexuell, sodass sich der Mordfall letztlich zu einem homosexuellen Liebesdrama entwickelt. Und so sehr man sich darüber freuen darf, dass einmal in einem Film wie selbstverständlich ein schwules Paar mit Baby vorkommt, so sehr entgleiten dem Regisseur seine Figuren letztlich zu stark Richtung Karikatur. Auch die Mordgeschichte bleibt belanglos.
Die thematischen Punkte, etwa die Prekarität der Arbeiterinnen, die persönlichen Kompensationen, die Einsamkeit und Verlorenheit der Figuren, werden hingegen nachvollziehbar; und gerade die Tatsache, dass der Film eine affirmative Figurenbindung erschwert, indem die Protagonist*innen keine starken Sympathieträger*innen sind, macht »Medusa Deluxe« zu einem schwer zugänglichen, aber vielschichtigen Werk.
Hardiman ist da schon auf der richtigen Spur, denn solche Versuche, Geschichten filmisch zu erzählen, ohne allzu große Zugeständnisse an die Seherwartungen eines möglichst großen Publikums zu machen, stattdessen ambivalente, von den Verhältnissen zu amoralischen Handlungen getriebene, korrupte beziehungsweise korrumpierte Figuren auftreten und Wege aus der Misere suchen zu lassen, sind durchaus lobenswert und kommen der spätkapitalistischen Realität sehr nahe. Allerdings will »Medusa Deluxe« zu viel, und zwischen Krimi, Milieustudie, Hommage ans Friseurhandwerk und schwuler Liebesgeschichte verliert er sich letztlich doch zu sehr in Oberflächlichkeiten.
»Medusa Deluxe«, Großbritannien 2022. Regie: Thomas Hardiman. Mit: Clare Perkins, Kayla Meikle, Harriet Webb. 101 Min. Läuft im Kino.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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