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Chantal Mouffe: Trügerische Hoffnung des Populismus
Die politische Theoretikerin Chantal Mouffe plädiert für linken Populismus und zeigt dabei, woran linke Gesellschaftskritik scheitert
Wenn über die Schwäche der europäischen radikalen Linken und mögliche Gegenmittel gesprochen wird, ist der linke Populismus nicht weit. Wenn wir nur anders reden, anders Politik machen würden, so die Idee, könnten wir das Volk doch noch auf unsere Seite bringen und im Kampf gegen Ausbeutung, Kapitalismus, Krieg vereinen. Nicht nur als Idee, sondern auch politisch entfalten linke populistische Parteien große Anziehungskraft. Waren nicht die erfolgreichsten Wahlkampagnen links der Sozialdemokratie in den vergangenen 15 Jahren vor allem jene, die als populistisch bezeichnet werden? Man denke nur an Syrizas Wahlsieg in Griechenland oder Jeremy Corbyns Wahl zum Labour-Vorsitzenden unter dem Motto »For the many, not the few« im Jahr 2015. Auch der Aufstieg von Podemos seit 2014 bis in die spanische Regierungskoalition 2020 gilt als ein populistischer Erfolg, ebenso wie die nur knappen Niederlagen von Jean-Luc Mélenchon (La France Insoumise) in der ersten Runde der französischen Präsidentschaftswahlen 2022.
In der Hochphase dieser Anläufe wurde die belgische politische Theoretikerin Chantal Mouffe zu einer zentralen Stichwortgeberin der populistischen Linken, und das während der öffentliche Diskurs den Populismus nicht selten als Bedrohung für Demokratie, politische Kultur und gesellschaftlichen Zusammenhalt beklagte. Mouffe tritt unbeirrt als entschiedene Fürsprecherin einer populistischen Politik auf und versucht, diese gesellschaftstheoretisch zu untermauern. Ein näherer Blick auf ihr Denken zeigt aber, dass dieses Projekt gescheitert ist.
Chantal Mouffe ist Professorin für Politische Theorie an der University of Westminster in London. Mit ihrem verstorbenen Ehemann Ernesto Laclau verfasste sie Mitte der 80er Jahre das Grundlagenwerk des Postmarxismus »Hegemonie und radikale Demokratie«. Seitdem hat sie in zahlreichen Büchern die antagonistische Logik des Politischen herausgearbeitet. Zu deren Konsequenz gehört schließlich die populistische Artikulation einer möglichst breiten linken Identität. Demnächst erscheint von ihr »Eine Grüne demokratische Revolution. Linker Populismus und die Kraft der Affekte« im Suhrkamp-Verlag.
Der Gegner heißt Neoliberalismus
Mouffe prangert immer wieder die Hegemonie der neoliberalen Globalisierung an, unter der die zentralen politischen Richtungskämpfe durch eine fatale post-politische Konsensdemokratie ersetzt worden seien. Zwischen den großen Mainstream-Parteien in den europäischen Demokratien bestehen demnach kaum mehr relevante politische Unterschiede. In dieser Situation kann laut Mouffe nur eine neue, antagonistische Spaltung zwischen »uns«, also »dem Volk«, und »ihnen«, das heißt »der Elite« oder der »Oligarchie«, überhaupt wieder eine emanzipatorische Mobilisierung ermöglichen. Anders als der rechte Populismus, der diese Spaltung als Kampf zwischen dem ethnisch oder kulturell homogenen Volk und (vermeintlichen) Migrant*innen sowie verschwörerischen Eliten versteht, macht Mouffe dabei die »Kräfte des Neoliberalismus« als Gegner aus.
Mit diesen Stichworten traf sie den Nerv von Teilen der Antiausteritätsbewegungen wie den spanischen Indignados, den Aganaktismenoi in Griechenland und Nuit Debout in Frankreich, die als Bewegungen der »Empörten« vor allem in Südeuropa ab 2011 den Erfolgen der populistischen linken Parteien vorausgingen. Insbesondere durch Vertreter*innen von Podemos und Syriza wurden Mouffes Konzepte zwischenzeitlich gar als Grundlage der Parteitaktik inszeniert.
Mouffe war damals jedoch keineswegs neu in der intellektuellen linken Diskussion. Schon seit den 1980er Jahren kämpft sie in der europäischen Linken für einen Strategiewechsel und ein anderes Politikverständnis. In ihrem einflussreichsten Werk, dem gemeinsam mit ihrem Ehemann Ernesto Laclau verfassten »Hegemony and Socialist Strategy. Towards a Radical Democratic Politics« (auf Deutsch erschienen als »Hegemonie und radikale Demokratie. Zur Dekonstruktion des Marxismus«) argumentierte sie 1985 gleichermaßen gegen die orthodox-marxistische Konzeption von Sozialismus sowie gegen die Nachkriegs-Sozialdemokratie.
Dekonstruktion des Marxismus
Damals zeichnete sich einerseits der moralische und politische Niedergang des Staatssozialismus bereits deutlich ab. Andererseits ließen die Neuen Sozialen Bewegungen erkennen, dass emanzipatorische Kämpfe sich längst auf Felder jenseits des Klassenkampfes ausgeweitet hatten. Der Feminismus und die Umweltbewegung, antisexistische, antirassistische sowie antikoloniale Bewegungen traten gegen verschiedene, miteinander verschränkte Herrschaftsverhältnisse an und grenzten sich dabei von der alten Arbeiter*innenbewegung ab.
Mouffe und Laclau sahen dadurch nicht weniger als die gesamte politische Theorie des Sozialismus infrage gestellt. Sie kritisierten die von ihnen als »jakobinisches Imaginäres« bezeichnete Vorstellungswelt des klassischen Sozialismus, also dessen Fixierung auf die Arbeiter*innenklasse und die Hoffnung auf einen einheitlichen, kollektiven sozialistischen Willen, der im Kommunismus jede Politik letztlich überflüssig machen würde. Aber auch die Gesellschaftstheorie des Marxismus sahen Laclau und Mouffe als gescheitert an, vor allem weil der Marxismus stets daran festgehalten habe, politische und kulturelle Phänomene von der ökonomischen Basis abzuleiten.
Anhand des Wandels des Begriffs der »Hegemonie« in der sozialistischen Theorie – von der Sozialdemokratie vor dem Ersten Weltkrieg bis zu den Überlegungen Antonio Gramscis während des italienischen Faschismus – zeichneten sie nach, wie schon im klassischen Marxismus die Frage nach der Rolle des Politischen immer drängender geworden war. Damit ist die Frage gemeint, wie politische Identitäten und politische Einheit überhaupt entstehen. Vor allem: Was macht die Arbeiter*innenklasse zu einem politischen Subjekt? Und was sind ihre historischen Aufgaben?
Sowohl in der westeuropäischen als auch in der russischen Sozialdemokratie hatten sich schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts theoretische Probleme ergeben, weil die gesellschaftlichen Entwicklungen nicht den marxistischen Erwartungen entsprachen. Im deutschen Kaiserreich etwa wurde die Einheit der Arbeiter*innenklasse etwa durch neue Berufshierarchien und unterschiedliche Lohnkategorien zusehends untergraben. In Russland hingegen brachte die Schwäche der Bourgeoisie das marxistische Stufenmodell des historischen Fortschritts ins Wanken.
In beiden Fällen aber wurde die Erweiterung und Neuausrichtung der sozialdemokratischen Politik als Wiederherstellung der eigentlich richtigen Bedingungen gedacht. So setzten etwa Eduard Bernstein und Leo Trotzki weiterhin voraus, dass die Arbeiter*innenklasse als das Subjekt der Geschichte durch den Kapitalismus selbst erschaffen worden sei und von ihm auch zur Macht gebracht werde. Die politische Arbeit der Partei sollte dieses Subjekt beziehungsweise seine historischen Aufgaben lediglich unter »anormalen« Bedingungen stützen und anpassen.
Konstruktion der Hegemonie
Diese Festlegung ist laut Mouffe und Laclau auch der Kern der autoritären Entwicklung im Sozialismus: die Arbeiter*innenklasse und ihre politische Führung verträten hier nicht nur die universellen Interessen der Menschheit, sondern hätten auch als Einzige Einblick in die wahren historischen Bewegungsgesetze. Widerspruch aus den »Massen« und abweichende politische Forderungen seien daher mit Verweis auf diese historische Mission unterdrückt worden.
Erst der italienische Kommunist Antonio Gramsci erweiterte in den während seiner Haft in den 1920er und 1930er Jahren geschriebenen »Gefängnisheften« das marxistische Verständnis von Hegemonie entscheidend. Er verstand darunter nicht mehr nur eine bestimmte politische Strategie der Klassenbündnisse, sondern auch, dass es den herrschenden Klassen in kapitalistischen Staaten, vor allem in Demokratien, gelingt, in den unterdrückten Klassen politische Zustimmung zu erzeugen. Neben der Bündnispolitik ermöglichen demzufolge auch politische Zugeständnisse und kulturelle, also intellektuelle und moralische Führung, die Einwilligung der Beherrschten.
Dass eine bestimmte Klasse hegemonial wird, setzt demnach voraus, dass sie als Identitätsangebot eine Ideologie konstruiert, die die unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen und Weltanschauungen unter ihrem Vorzeichen und zu ihren Gunsten zusammenbringt. Politische Identität entsteht also nicht automatisch aus den Produktionsverhältnissen, sondern wird ganz ohne historische Notwendigkeit aktiv hergestellt, konstruiert. Und diese Herstellung ist umkämpft. Im Ringen um die Führung in moralischen, intellektuellen und kulturellen Fragen geht es auch darum, als welche politischen Identitäten, als welche Subjekte sich die Menschen einer Gesellschaft begreifen sollen. Und diese Identitäten sind meistens nicht Klassen, sondern Konsument*innen, Bürger*innen, Angehörige einer bestimmten Kultur und so weiter.
Die Geburt des Postmarxismus
Diesen zweifellos wichtigen Schritt Gramscis gegen Ökonomismus und Klassenreduktionismus griffen Mouffe und Laclau aber in einer sehr spezifischen Weise auf. Gestützt auf Gedanken der (post-)strukturalistischen Sprachphilosophie vor allem Jacques Derridas sahen sie in Gramscis Gedanken zur Hegemonie eine radikal neue Konzeption des Politischen angedeutet, die sie ausarbeiteten. Demnach ist »Hegemonie« nicht weniger als die Logik politischen Handelns überhaupt und damit auch die der Herstellung und Veränderung jeglicher gesellschaftlicher Verhältnisse.
Kurz gesagt: Da Bedeutungen, also die Beziehungen zwischen sprachlichen Zeichen und dem Bezeichneten, arbiträr, das heißt nicht-notwendig sind, ist jede fest erscheinende Bedeutung in Wahrheit nur eine prekäre Fixierung innerhalb permanenter Veränderung. Diese vorübergehende Stabilität kann nur durch eine mehr oder weniger willkürliche, historisch zufällige Artikulation hergestellt werden. Ebenso verhält es sich mit den politischen Identitäten, aber auch den Strukturen und Verhältnissen in einer Gesellschaft. Auch sie können nur vorübergehend, durch politische Artikulation und kontingente Schließung, als stabil hergestellt werden.
Dass diese Analogie recht bemüht klingt, liegt daran, dass sie es ist. Gramsci betrieb keine Sprachphilosophie und sah in hegemonialer Politik letztlich immer Klassen als entscheidende Akteure. Mouffe und Laclau hielten ihm das als einen letzten Rest des marxistischen »Essenzialismus« vor, mit dem endlich Schluss sein sollte. Sie wendeten sich gegen jedes Hauptwiderspruchsdenken, erkannten keine prinzipiell besseren oder schlechteren Einsatzpunkte für emanzipatorische Praxis und keine vorherbestimmten revolutionären Subjekte an. Ein neues linkes Hegemonieprojekt sollte alle Kämpfe gleichberechtigt miteinander verbinden. Es bleibt Mouffes und Laclaus Verdienst, diesen Anspruch der Neuen Sozialen Bewegungen sowie eine ernsthafte Beschäftigung mit Demokratie und politischer Theorie radikal gegen den klassischen Marxismus in Stellung gebracht und dessen Wunden aufgerissen zu haben – konsequent nannten sie ihre Position dann Postmarxismus.
Das antagonistische Wesen der Politik
Allerdings stellte sich in den weiteren Arbeiten Mouffes (und auch Laclaus) heraus, dass dieser Postmarxismus schlicht kein Marxismus mehr war. Das gesellschaftskritische Vokabular schrumpfte bei Mouffe auf eine politische Diskurstheorie mit wenigen Begriffen zusammen. Zwar ist die Einsicht wichtig und richtig, dass alles Soziale auch sprachliche Bedeutung trägt. Aber obwohl Mouffe stets betont, dass ihr Diskursbegriff selbstverständlich auch das Materielle umfasst, verfällt sie immer wieder darauf, Gesellschaft und Politik ausschließlich als Sinnstrukturen zu deuten.
Diese Verkürzung ermöglicht ihr die Produktion leicht verdaulicher Theorie, die dennoch auf ein radikal klingendes Vokabular zurückgreifen kann. Zugleich führt sie zu sich stets wiederholenden theoretischen Abhandlungen, die sich kaum mit gesellschaftlichen Veränderungen beschäftigen. Begriffen wie »Neoliberalismus« oder »Finanzmarktkapitalismus«, mit denen Mouffe in ihren jüngeren Büchern argumentiert, liegt keine Analyse tatsächlicher politischer Ökonomie oder von Parteiensystemen zugrunde. Ebenso ignoriert sie die avancierten Debatten darüber, wie der bürgerliche Staat zu kritisieren und zu verändern ist, die gerade im Anschluss an Gramsci geführt wurden und werden. Mouffes theoretisches Projekt, die Entwicklung eines antagonistischen Politikverständnisses, ist im Wesentlichen schon mit der Veröffentlichung von »The Return of the Political« 1993 abgeschlossen und wird seitdem nur noch verteidigt und angewendet.
Der zentrale Gedanke ist auch hier der Sprachphilosophie im Anschluss an Ferdinand de Saussure entlehnt – wenngleich Mouffe ihn später meist mit Hilfe der Theorien des NS-Staatsrechtlers Carl Schmitt formuliert hat. Bedeutung, so Saussure, wird immer durch Unterschiede hergestellt. Begriffe sind nur durch Unterscheidungen von anderen Begriffen bestimmt. Mouffe überträgt das ins Politische: Politische Identitäten entstehen nur durch negative Abgrenzung von anderen Identitäten. Was Menschen politisch verbindet, sind nicht schon zuvor gegebene Gemeinsamkeiten wie eine bestimmte Weltanschauung, religiöse Überzeugung, Hautfarbe oder Klassenzugehörigkeit, sondern allein die geteilten, diskursiv hergestellten Abgrenzungen von etwas Drittem. Das Politische ist also im Kern antagonistisch, ein ewiger Kampf zwischen wandelbaren, aber unversöhnlichen, sich ausschließenden Identitäten.
Königsweg Populismus
Mouffes zentrale Kritik an der Sozialdemokratie und der radikalen Linken ist, dass sie das antagonistische Wesen des Politischen ignorieren und also schlicht missverstehen, wie Politik funktioniert. Diese Kritik sollte zunächst die Sozialdemokratie in Richtung der Neuen Linken transformieren. Mitte der 2010er Jahre brach Mouffe aber endgültig mit der neoliberalen Sozialdemokratie des »Dritten Wegs« und fordert seitdem eine (links-)populistische Alternative. Denn die in die Mitte gewanderte Sozialdemokratie sieht sie vollständig in die post-politische Konsensdemokratie integriert und unfähig zur politischen Polarisierung.
Die Tendenz zum Populismus war allerdings schon 1985 angelegt. Denn, so Mouffe und Laclau, wenn Politik nur als Kampf einander ausschließender Identitäten denkbar ist, dann ist radikale Veränderung nur möglich, wenn diese Identitäten möglichst viele gesellschaftliche Gruppen umfassen. Je stärker die Gesellschaft entlang eines einzigen Gegensatzes politisch gespalten ist, desto weitreichender können die Folgen sein. Insbesondere revolutionäre Situationen kommen nur zustande, wenn die Konfrontation annähernd die gesamte Gesellschaft in zwei feindliche Lager teilt. Da allerdings in den komplexen demokratisch-kapitalistischen Gesellschaften der Gegenwart solche radikalen Spaltungen kaum mehr auftreten, lautet die zentrale Frage der politischen Linken: Wie können sie bewusst hergestellt werden?
Angesichts des Scheiterns des Marxismus wollten Laclau und Mouffe damit die radikal-demokratische Tradition der Französischen Revolution wieder aufgreifen. Den emphatischen, affektiven Bezug auf das souveräne »Volk« und die Beschwörung von Gleichheit und Freiheit hielten sie für den wahren Motor emanzipatorischer Bewegungen der vergangenen 250 Jahre. Der marxistische Versuch, die Gesellschaft durch die Politisierung von Klassengegensätzen umzustürzen, sei dagegen viel weniger radikal und ein historischer Irrweg. Populismus ist also keine Verfallsform der Linken, sondern gerade ihre höchste, radikal demokratische Form.
Von den Rechten lernen
Der größte Pferdefuß dieser ganzen Argumentation ist, dass die real existierenden populistischen Parteien damals wie heute ganz überwiegend (radikal) rechts sind. Ein Grund dafür könnte sein, dass Populismus und autoritäre Ideologie die Tendenz teilen, gesellschaftliche Verhältnisse zu personalisieren, also für Probleme bestimmten Einzelnen, Gruppen oder einer »korrupten Elite« die Schuld zu geben. Egal welchen politischen Zielen der Populismus dienstbar gemacht wird, prangert er nicht systemische gesellschaftliche Widersprüche an, sondern einen scheinbar externen Feind, der das System erst stört. Damit steht er im Gegensatz zur marxistischen Theorie, die Probleme stets als Symptom der widersprüchlichen »normalen« Verhältnisse betrachtet. Angesichts der real unpersönlichen, anonymen Herrschaftsverhältnisse in bürgerlichen Gesellschaften muss die feindliche Elite daher stets künstlich konkretisiert werden. Populismus enthält also per Definition ein gewisses Maß an Verklärung. Eben weil er soziale Konflikte stets auf den Gegensatz zwischen Volk und äußeren Feinden verschiebt, bietet er autoritärer Ideologie einen Ansatzpunkt.
Trotz dieser autoritären Tendenz gibt es durchaus unzweifelhaft linke Parteien und Bewegungen, die sich populistischer Rhetorik bedienen. Damit nehmen sie allerdings oft autoritäre Elemente auf, etwa wenn sie den nationalen Wohlfahrtsstaat gegen Migration und »Identitätspolitik« verteidigen oder statt Kapitalismuskritik die Verteufelung gieriger und »unproduktiver« Bankenchefs in den Mittelpunkt rücken – oder, wie Corbyn, Antizionismus zum wesentlichen Teil ihrer politischen Plattform machen. So handeln sie sich einen inneren Widerspruch zu ihrem Anspruch auf universelle Gleichheit und Freiheit ein.
Bei Mouffe ist es ähnlich. Den seit Jahrzehnten zunehmenden Erfolg populistischer (radikal) rechter Parteien nimmt sie vor allem als erneuten Beleg für die postpolitische Unterdrückung von Konflikten und die Kraft populistischer Politik – nicht aber als Hinweis auf die Gefahren autoritärer Ideologie. Die Linke soll daher von den Rechten als den »wahren Gramscianern« lernen, wie Kämpfe um Hegemonie zu führen sind. Zweckoptimistisch vermutet Mouffe hinter antisemitischer Elitenkritik und rassistischen Schuldzuweisungen stets eigentlich demokratische Bedürfnisse und Interessenkonflikte. Und sicher, irgendwie ist ja selbst das härteste Ressentiment auch ein Produkt des subjektiven Leidens an herrschaftsförmigen Verhältnissen – aber dieses Leiden macht deshalb noch lange nicht für linke Herrschaftskritik empfänglich.
Mouffe macht es sich hier einfach und behauptet schlicht, radikal rechte Demagog*innen würden die ehrlichen Sorgen der enttäuschten Bürger*innen nur manipulieren. Warum aber klappt es dann eigentlich nicht, die dahinter stehenden Bedürfnisse von links zu artikulieren? Mouffe schrieb 2018 in »Für einen linken Populismus« die Erfolge Mélenchons, Corbyns und von Podemos dem Populismus gut. In ihrem jüngsten Buch »Towards a Green Democratic Revolution« (2022) muss sie zwar eingestehen, dass alle drei seit 2018 zurückgeschlagen wurden. Das aber schiebt sie auf ungünstige äußere Umstände und darauf, dass die Parteien nicht durchgehend dem linkspopulistischen Modell gefolgt seien. Angesichts der Covid-Pandemie bringt sie daher ihr populistisches Rezept noch einmal ins Spiel. Gerade die unteren Klassen wollen angeblich staatliche Souveränität, Schutz und Sicherheit. Diese Bedürfnisse und Affekte müsse die Linke ansprechen und am besten mit Natur- und Klimaschutz verbinden.
Beruhigende Gewissheiten
Die Diskussion um den linken Populismus lässt sich so als immer wiederkehrendes Laborieren an einer Wunde des (radikal) linken Politikverständnisses deuten. Was soll man tun, wenn man große, revolutionäre Veränderungen will und dafür die Massen auf der eigenen Seite braucht, zugleich aber mit dem Bewusstsein dieser Massen unzufrieden ist?
Mouffes Theorie verspricht hier beruhigende Gewissheiten: Eigentlich wollen die Leute ja das Richtige, rechte Demagog*innen verdrehen ihnen nur die Köpfe. Und wer verstanden hat, dass es in der Politik darum geht, Identitäten zu konstruieren, am besten eine linke Volksidentität, der wird nicht aufzuhalten sein. Sicher, jede Kraft, die Mehrheiten erringen will, muss an das Alltagsbewusstsein anknüpfen und mit den verbreiteten Haltungen und Meinungen arbeiten. Wenn sie aber die Verhältnisse in emanzipatorische Richtung verändern will, muss sie zugleich autoritäre Ideologie benennen und bekämpfen können. Dazu gehört anzuerkennen, dass Antisemitismus, Rassismus, Homophobie und Ähnliches nicht bloße Verirrungen sind. Sie können liebgewonnene Stützen für die Psyche sein, die undurchsichtige herrschaftsförmige Verhältnisse und die eigene Position darin handhabbar machen. Das lässt sich von der Ideologiekritik der Kritischen Theorie lernen, die ganz unstrategisch für eine radikale Kritik des Common Sense eintrat. Oder auch von den Studien Stuart Halls, der mit den Begriffen Gramscis untersucht hat, wie es dem autoritären Populismus Margaret Thatchers gelang, verbreitete Ressentiments und auch Herrschaftskritik einzuspannen.
Beide bestehen darauf, dass der Kampf um eine linke Hegemonie nicht nur bedeutet, aufzugreifen, anzuknüpfen und einzubinden, sondern auch aufzuklären, zu bilden und zu kritisieren. Das aber unterläuft Mouffes populistisches Versprechen, Elitenkritik und politische Polarisierung ließen sich mit etwas List irgendwie auf links wenden.
Felix Breuning forscht als Politikwissenschaftler zu Populismus und Politischer Theorie. Er lebt in Hamburg und arbeitet als Museumspädagoge u.a. in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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