Weniger Wandel für Kolumbien

Die ehrgeizigen Reformen des linken Präsidenten Gustavo Petro sind gefährdet

  • Sara Meyer, Bogotá
  • Lesedauer: 5 Min.

Kolumbiens linker Präsident Gustavo Petro steht unter Druck, aber er ist nicht allein: Am Mittwoch sind Zigtausende in den größten Städten des Landes für den von ihnen gewählten Präsidenten auf die Straßen gegangen. Allein in der Hauptstadt Bogotá waren es knapp 10 000 Bürger*innen. Verschiedene Arbeiterorganisationen nahmen an dem Aufmarsch teil, denn Petros Reformvorhaben könnten insbesondere den schlechter gestellten Kolumbianer*innen eine Perspektive bieten. So soll ein neues Arbeitsgesetz informelle Beschäftigung abbauen und mehr Rechte für Arbeiter*innen garantieren. Eine moderat progressive Steuerreform hat Petro schon durch das Parlament gebracht, doch bei der Gesundheits-, Arbeits- und Rentenreform stockt es. Petro hat mit seiner eigenen Partei keine Mehrheit und ist deswegen auf sein Verhandlungsgeschick und Bündnispartner angewiesen.

Kolumbien ist ein Land mit extrem ungleicher Einkommensverteilung. Die Reformen der Regierung böten den historisch Vernachlässigten eine bessere oder überhaupt erstmals eine Möglichkeit auf soziale Absicherung.

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Am Nachmittag erwartete das Staatsoberhaupt die Massen zusammen mit seiner Vizepräsidentin Francia Márquez im Zentrum Bogotás. Er versicherte, dass er weiterhin zu dem Volk halte, das ihn gewählt habe. Um den langersehnten Frieden zu erreichen, bedürfe es einer wesentlichen Voraussetzung: soziale Gerechtigkeit, so der Präsident am Mittwoch auf dem Plaza Bolivar. Der 63-Jährige erklärte, dass die sozialen Rechte für die Bevölkerung die treibende Kraft hinter einem friedlichen Kolumbien seien. Dafür stünden seine Reformen, die nicht so »radikal sind, wie es in einigen Medien behauptet wurde«.

Präsident Petro versprach der krisengebeutelten Bevölkerung mit seinem Amtsantritt im vergangenen August einen historischen Wandel. Doch der Reformprozess stockt und die Friedensdialoge mit der ELN-Guerilla befinden sich in einer kritischen Phase. In Umfragen schneidet Präsident Petro so schlecht ab wie nie zuvor.

Das jüngste politische Erdbeben lösten die Chefin des Kabinetts, Laura Sarabia, und der Botschafter für Venezuela, Armando Benedetti, aus. Diese müssen sich unter anderem wegen Unregelmäßigkeiten bei der Wahlkampffinanzierung von Petros politischer Bewegung »Pacto Histórico« (Historischer Pakt) der Justiz stellen. Am vergangenen Freitag entließ der Staatschef sowohl Sarabia als auch Benedetti. In seiner Wahlkampagne hatte Petro versprochen, gegen die Korruption in dem südamerikanischen Land vorzugehen.

Große Teile seiner fortschrittlichen Reformen sind vorerst gefährdet: Die Abgeordnetenkammer stoppte am Montag die Debatten zur Umgestaltung des Gesundheits- und Arbeitssektors. Die angestrebte Rentenreform wurde nicht suspendiert. Der Vorsitzende der Kammer, David Racero, der Petros politischer Bewegung »Pacto Histórico« angehört, begründete die Aussetzung mit den jüngsten politischen Krisen der Regierung. Racero erklärte gegenüber der Presse, dass die Diskussionen so lange ausgesetzt werden, bis die Regierungskoalition wiederhergestellt werden könne. In den vergangenen Wochen verlor Petro die Unterstützung mehrerer Parteien wie der Partido de la U des rechten Ex-Präsidenten Álvaro Uribe.

Ende April überraschte Petro die Bevölkerung und politische Beobachter*innen mit einem Regierungsneustart: Er gestaltete sein Kabinett radikal um, sieben Minister*innen mussten gehen und wurden durch enge Vertraute des Präsidenten ersetzt. Wochen zuvor verabschiedete Petro bereits weitere Regierungsmitglieder. Dieser Schritt ist kein ungewöhnlicher und von der Verfassung gedeckt, um politische Blockaden zu lösen. Dennoch machte bisher kein Präsident so früh in der Legislaturperiode Gebrauch von dieser Möglichkeit. »Das neue Kabinett des Präsidenten steht für eine neue Strategie, die auf der Konsolidierung des progressiven Blocks basiert, zu dem auch die Grünen und die Gruppe der abtrünnigen Liberalen gehören«, sagte der Soziologe und Kolumnist Santiago Vargas dem »nd«.

Der ehemalige Guerillero Petro versprach sich mit dem Regierungs-Reset eine schnelle Umsetzung seiner bürgerfreundlichen Sozialreformen, nun muss er aber mit einer Minderheit regieren und der Gegenwind wird stärker. Vargas schätzt die derzeitige Lage der ersten Linksregierung des Andenlandes als »ziemlich angeschlagen« ein. Insbesondere die öffentliche Meinung »einschließlich eines Teils seiner Basis« sei beschädigt.

Petro baut seit seiner Amtseinführung auf die Unterstützung der zivilgesellschaftlichen Bewegungen, der Jugend und derjenige, die sich für seine Vorhaben engagieren. Zuletzt scheint er auch bei dieser Gruppe Rückschläge erlitten zu haben. Im Mai befürworteten laut einer Umfrage der Universität Rosario 46 Prozent der jungen Wähler*innen die Regierung, während im November noch 61 Prozent hinter dem Präsidenten standen. Die jungen Menschen haben das Gefühl, dass die Regierung ihre Wahlkampfversprechen nicht einhält.

Vargas vertritt die Ansicht, dass der Präsident im Hinblick auf die derzeitige Situation »keine andere Wahl hat, als zu akzeptieren, dass er eine gemäßigtere Position« bezüglich seines Reformprojektes einnehmen und Kompromisse eingehen muss. Tue er dies nicht, werde er kaum vorankommen und in den Umfragen weiter an Beliebtheit verlieren.

Ob die Umwälzung trotz des Widerstands gelingt, vermag man nach nur neun Monaten Regierungszeit nicht zu sagen. Die Regionalwahlen im Oktober gelten jedoch als wichtiger Indikator für die Zukunft des progressiven Regierungsprojekts. Zentrale Themen, insbesondere für junge Wähler*innen sind: Arbeitsplätze, Verbesserung der Sicherheit, Förderung des Unternehmertums, Absicherung in Gesundheitsfragen und die Verringerung der Korruption.

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