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  • Antifaschismus in der Weimarer Republik

Antifaschismus in Berlin: Straßenkämpfe auf dem Lausitzer Platz

Im Kreuzberg Ende der 1920er Jahre wehrten sich kommunistische Cliquen gegen Nazis

  • Darius Ossami
  • Lesedauer: 5 Min.
Vor dem von Nazis betriebenen Geschäft am Lausitzer Platz 17 wurden 1931 mehrere Hitlerjungen angegriffen.
Vor dem von Nazis betriebenen Geschäft am Lausitzer Platz 17 wurden 1931 mehrere Hitlerjungen angegriffen.

Was würde passieren, wenn mitten im linken Kreuzberg eine Nazikneipe eröffnen würde? Das gab es schon einmal: 1929 konnte die Sturmabteilung (SA) der NSDAP in der Wiener Straße 10 im damals roten Kreuzberg eines ihrer Sturmlokale etablieren. Das Sturmlokal »Wiener Garten« war verwinkelt, unten in der ehemaligen Kegelbahn war ein Versammlungsraum mit Platz für bis zu 400 Menschen. Für die zahlreichen kommunistischen Jugendgruppen im Kiez war das ein Dorn im Auge. Nationalsozialistischen Besuchern wurde aufgelauert, mehrfach wurden die Scheiben eingeworfen, doch das Lokal konnte sich halten.

Das alles erfährt man bei dem Stadtrundgang »Rote Jungfront, wilde Cliquen vs. die SA« durch Kreuzberg, der vom Verein Helle Panke e.V. und dem Friedrichshain-Kreuzberg Museum organisiert und vom Historiker Johannes Fülberth geleitet wird. Gut 30 Menschen nehmen daran teil, ausgerüstet mit Empfangsgeräten und Kopfhörern. Die Gäste in den zahlreichen Restaurants schauen belustigt auf die seltsame Truppe, während Fülberth mit Mikrofon vorausläuft und seine historischen Fakten mit zahlreichen Anekdoten garniert.

Berlin war in den 1920er Jahren eine Hochburg von SPD und KPD. Die Kommunistische Partei Deutschlands war besonders in den Arbeiterbezirken wie Kreuzberg stark. Obwohl Nazis hier schlechte Karten hatten, gründete sich die Berliner NSDAP nach ihrem vorübergehenden Verbot 1925 in der Wiener Straße neu. Ein Jahr später wurde Joseph Goebbels Gauleiter von Berlin. Seine Strategie war »hemmungsloses Lügen und massive Gewalt«, erklärt Fülberth. Das Sturmlokal in der Wiener Straße gehörte zu der Strategie der NSDAP, systematisch Stützpunkte in den traditionellen Arbeitervierteln Berlins zu errichten. Gegen Widerstand ging die SA brutal vor.

Fülberth veranschaulicht seine historischen Geschichten immer wieder mit Hinweisen auf das damalige Straßenbild, die politischen Gesamtumstände und die propagandistisch aufgeheizte Stimmung. Der kurzweilige Stadtrundgang geht nun durch den Görlitzer Park. Früher lagen hier die Gleisanlagen des Görlitzer Bahnhofs, unter denen ein Fußgängertunnel entlangführte, dessen Reste heute noch in der »Kule« zu bewundern sind. Auf der anderen Seite des Parks, an der Görlitzer-/Ecke Sorauer Straße, lag »Bei Helmuth«, ein »Verkehrslokal« der Kommunisten. Hier traf man sich zu Demonstrationen oder Gerichtsprozessen, um Plakate zu kleben oder Flugblätter zu verteilen. Der Fußgängertunnel mit seinen bemalten und beklebten Wänden war ein Nadelöhr, in dem man befürchten musste, vom politischen Gegner entdeckt zu werden.

Mit dem Erstarken von NSDAP und SA ab 1929 nahmen die Auseinandersetzungen zu. Während das Zentralkomitee der KPD einen »organisierten Massenselbstschutz« predigte und die SPD fast immer auf die Polizei vertraute, entwickelte sich an der Basis ein regelrechter Kleinkrieg zwischen der SA und kommunistischen Organisationen sowie Basisgruppen und »wilden Cliquen«.

Der erste Tote dieser Auseinandersetzungen war in der Nacht auf den 29. Dezember 1929 zu beklagen. Ein SA-Trupp überfiel das Lokal »Bei Helmuth« und schoss etwa zwanzig Mal, der Kommunist Walter Neumann starb später an seinen Verletzungen, vier weitere Menschen wurden verletzt. Die Polizei fand die Täter kurz danach im »Wiener Garten«. Sie wurden später wegen gefährlicher Körperverletzung mit Todesfolge verurteilt, die Gerichtsurteile danach jedoch abgemildert.

Der Rundgang geht weiter zum Endpunkt, dem Lausitzer Platz. Der »Lausi« galt als rotes Herz des Viertels, erklärt Fülberth, SA-Leute in Uniform konnten sich nicht drüber trauen. Allerdings befand sich im Haus Nummer 17 das Geschäft der Eheleute Schmidt. Sie gehörten der NSDAP an, ihre Kinder waren bei der Hitlerjugend.

Am Abend des 21. Juli 1931 standen mehrere Hitlerjungen vor dem Haus Nummer 17. Gegen 21.30 Uhr kamen etwa zehn Leute, sprachen diese an und schlugen dann auf sie ein, so Fülberth. Schließlich fiel ein Schuss, dem Hitlerjungen Hans Hoffmann wurde in den Rücken geschossen, er starb zwei Wochen später.

Die Polizei fahndete aufwendig im Umfeld der kommunistischen Jugendorganisationen und der »wilden Cliquen« und konnte schließlich mehrere Verdächtige präsentieren, denen der Prozess gemacht wurde.

Die Richter, überwiegend nationalkonservativ eingestellt, sahen bei Prozessen gegen SA-Männer meist eine Notwehrsituation, bei Kommunisten jedoch nicht. Bei der Attacke am Lausitzer Platz habe es sich um »einen brutalen Überfall auf politisch Andersdenkende« gehandelt, so das Gericht, »der scharf zu verurteilen und hart zu bestrafen ist, da derartige Terrorakte eine schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit bilden und in steigendem Maße zunehmen«.

Der erst 17-jährige Fritz Käsling wurde als Schütze ausgemacht und zu sechs Jahren Zuchthaus verurteilt. Kurz nach seiner Freilassung wurde er von der Gestapo verhaftet und in Sachsenhausen interniert.

Mehrere weitere angeklagte Kommunisten wie Kurt Gersing wurden zu 1,5 Jahren Haft verurteilt. Gersing war ein überzeugter Kommunist und im Viertel bekannt. Über die gesamten 1930er Jahre saß er mehrfach in Haft und war nach seiner Freilassung sofort wieder politisch aktiv. 1941 wurde er erneut verhaftet und kam ins KZ. Gersing sei »ein unbelehrbarer und unverbesserlicher Kommunist (...), der für die Volksgemeinschaft endgültig verloren ist«, befand der Volksgerichtshof. Gersing wurde 1943 in Plötzensee ermordet.

Die Arbeiterbewegung war der SA deutlich unterlegen, schließt Fülberth seinen Rundgang. Der kommunistische Widerstand war in verschiedene Gruppen aufgespalten und sei nicht so diszipliniert gewesen. Zudem wandte sich die KPD-Führung Ende 1932 in einem Beschluss gegen »individuellen Terror«. Sie lehnte individuelle Verteidigung als »terroristische Ideologie und Praxis« ab und setzte auf »organisierten Massenselbstschutz«. Diese Strategie scheiterte bekanntlich.

Am 17. Juni findet eine Tour zur »Köpenicker Blutwoche« statt. Der nächste Kreuzberger Stadtrundgang ist am 8. Juli.

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