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USA: Kein Vertrauen in die Polizei
In Atlanta versuchen Menschen, ein Ausbildungszentrum der Polizei zu verhindern – aus Angst vor noch mehr Gewalt
Schon um 10 Uhr vormittags steht eine lange Schlange vor dem Rathaus in Atlanta. Eine Stunde später soll der Registrierungsprozess für die öffentlichen Kommentare während der Stadtratssitzung beginnen. Auf der soll über die städtischen Finanzmittel für ein »Trainingszentrum für öffentliche Sicherheit« abgestimmt werden. Für Menschen in Deutschland mag der Name des Projekts harmlos klingen – für viele in der Schlange ist er aber eine Provokation. Die Menschen tragen Schilder mit der Aufschrift »Stop Cop City«.
Auch Daniel Shapi steht an. Seinen echten Namen möchte er nicht verraten, weil er Angst hat vor polizeilicher Verfolgung und Einschüchterung. Erst letzte Woche seien drei Mitglieder des Atlanta Solidaritätsfonds wegen angeblicher Veruntreuung von Spendengeldern und Finanzierung illegaler Aktivitäten verhaftet worden. »Der Stadt passt es nicht, dass die Opposition zu dem Projekt wächst und wächst. Je mehr wir werden, desto größer wird der Verfolgungsdrang der Behörden.« Während er spricht, bauen Aktivist*innen neben dem Gebäude Pavillons und kleine Stände auf. Dort gibt es Wasser und was zu essen. »Es wird ein langer Tag. Und die Stadt hat uns verboten, Flüssigkeiten mit reinzunehmen«, erklärt er.
Tatsächlich dauert die Sitzung mehr als 16 Stunden. Wobei sich vor der Abstimmung, die tief in der Nacht stattfindet, weit mehr als 300 Personen mit öffentlichen Kommentaren an den Stadtrat wenden. Sie ergeben ein komplexes Geflecht rassistischer, politischer und ökologischer Argumentationen, das die Debatte über das Projekt mit dem bezeichnenden Spitznamen Cop City hervorgebracht hat. Die Sicherheitsbedenken sind groß. Dutzende Polizist*innen sind im gesamten Rathaus postiert. Sie nehmen vorübergehend sämtliche »Flüssigkeiten, Aerosole, Gele, Cremes und Pasten« in die Liste der im Gebäude verbotenen Dinge auf. Ein Helikopter fliegt stundenlang über der Gegend.
Nach der flughafenähnlichen Sicherheitskontrolle gelangt man in eine große Eingangshalle, die schon mit hunderten Aktivist*innen gefüllt ist. Stühle stehen für alle bereit, die per Fernsehübertragung die Sitzung verfolgen. An der zentralen Treppe haben sich Redner*innen und Reporter*innen versammelt. Die Aktivistin Erica Meade erklärt mir nach ihrer Rede, was es mit dem Projekt auf sich hat. »Geplant sind militärische Ausbildungseinrichtungen, eine Stadtattrappe, um städtische Kriegsführung zu trainieren, ein Sprengstofftestgelände, außerdem Dutzende von Schießständen und ein Landeplatz für Black-Hawk-Hubschrauber.« Und das alles auf 350 000 Quadratmetern – das entspricht einer Fläche von 50 Fußballfeldern.
Der Plan für das Zentrum entstand infolge der Debatte um die künftige Finanzierung der Polizei, die nach der Ermordung von George Floyd in Minneapolis angestoßen wurde. »Viele der Leute hier waren schon bei den Protesten von Black Lives Matter dabei«, bestätigt Shapi. Unter dem Motto »Defund the police« (Die Polizei abschaffen) forderten landesweit verschiedene lokale Kampagnen, die immer wieder durch Gewaltexzesse auffallende Polizei aufzulösen. Doch die Mehrheit der Abgeordneten in Atlanta, darunter auch zahlreiche Demokraten, hat andere Vorstellungen. Die Ausbildungseinrichtung werde dazu beitragen, »die Moral, die Bindung und die Rekrutierung unserer Mitarbeiter im Bereich der öffentlichen Sicherheit zu fördern«, erklärte die damalige Bürgermeisterin von Atlanta, Keisha Lance Bottoms, als der Pachtvertrag für das Zentrum genehmigt wurde. Das Zentrum werde außerdem errichtet, damit »Polizisten und Feuerwehrleute eine Ausbildung des 21. Jahrhunderts erhalten, die auf Respekt und Achtung für die Gemeinden, denen sie dienen, beruht«, so das frühere Stadtoberhaupt.
Auf der Sitzung im Rathaus soll jetzt die Finanzierung für das Projekt beschlossen werden. 67 Millionen Dollar an städtischen Geldern wird an den Träger des Projekts, die Atlanta Police Foundation (APF) gehen. »Anfangs hieß es noch 30 Millionen«, erzählt Meade. Im Januar 2023 hat die Stadt die Kosten dann auf 32 Millionen Dollar und zwei Monate später auf 33,5 Millionen Dollar erhöht. In den letzten Wochen wurde jedoch bekannt, dass die Steuerzahler von Atlanta am Ende sogar bis zu 85,4 Millionen Dollar für das Projekt zahlen könnten. »Auch deswegen sind wir hier«, sagt Meade.
»Wir sind nicht gekommen, um nichts zu tun, sondern um eine Revolution zu starten!«, heizt die Pfarrerin Keyanna Jones die versammelte Menge vor der Treppe ein. Den Polizist*innen prophezeit sie, dass sie ihren Job verlören und es kein Cop City geben werde. Währenddessen füllen immer mehr Leute die Empfangshalle, und bald blockieren Polizei und Sicherheitsmitarbeiter die Treppen zum Sitzungssaal. »Wegen Überfüllung, sagen sie«, erläutert Shapi. »Aber wir wissen ja von den Leuten, die schon drin sitzen, dass noch Plätze frei sind.« Die Stimmung spitzt sich zu. In Richtung Ausgang, wo immer mehr Menschen auf Einlass warten, skandiert die Menge: »Lasst sie rein!«, und in Richtung Sitzungssaal: »Lasst uns reden!«.
Als die Sitzung beginnt, ist die Atmosphäre noch immer angespannt. Die große Mehrheit der Redner*innen aus dem Publikum erhebt Einspruch und wiederholt Argumente, die schon seit Monaten auf den Demonstrationen vorgebracht wurden: Die Anlage koste Geld, das an anderer Stelle besser eingesetzt werden könne; sie würde die Polizei der Stadt auf eine stärkere Militarisierung vorbereiten; und sie würde eine wertvolle Grünfläche in einer wachsenden Metropole zerstören. Gruppen wie »Defend The Atlanta Forest« (Verteidigt Atlantas Wald) warnen schon lange, dass das Ausbildungszentrum Auswirkungen auf die Wälder haben werde. Atlanta hat im Vergleich zu anderen Großstädten in den USA einen hohen Anteil an Baumbeständen. Und am Red River Forest, der von den Indigenen Weelaunee Forest genannt wird, gibt es Feuchtgebiete, die für den Vogelzug wichtig sind.
Seit fast zwei Jahren protestieren Menschen bereits gegen die Pläne für die Anlage und haben eine vielfältige, dezentralisierte Koalition von Organisationen aufgebaut. Der Widerstand gegen das Projekt vereint Umwelt- und LGBTQ-Aktivist*innen sowie Menschen, die sich für die Rechte von Indigenen einsetzen und linke Gruppen, die sich dagegen wehren, dass die Polizeiarbeit wichtiger sein soll als andere öffentliche Bedürfnisse.
Doch während der Widerstand gegen die Anlage gewachsen ist, sind die Strafverfolgungsbehörden zunehmend mit Gewalt und Verhaftungen gegen die Bewegung vorgegangen. Der traurige Höhepunkt ist bislang der 18. Januar, als Polizisten eines Sondereinsatzkommandos den jungen Klimaaktivisten Manuel Paez Terán während einer Razzia im Wald getötet haben. Die Polizei behauptet, der 26-Jährige, der im Camp Tortuguita genannt wurde, habe zuerst auf die Beamten geschossen, nachdem diese sich geweigert hätten, dessen Zelt zu verlassen, woraufhin die Beamten das Feuer angeblich in Notwehr erwiderten.
Es sind inzwischen jedoch Beweise aufgetaucht, die an der Darstellung der Polizei Zweifel aufkommen lassen. Im Februar veröffentlichte die Polizei Aufnahmen von Bodycams, auf denen Beamte zu hören sind, die sich fragen, ob der Polizist aus Versehen von einem anderen Polizisten angeschossen worden war.
Nach der Tötung von Tortuguita haben die Waldbesetzer*innen das Camp aufgegeben. Heute ist davon nichts mehr zu sehen. Als im März Bautrupps in das Waldstück mit Kiefern und Ahornbäumen südöstlich von Atlanta einfuhren, erinnerte die Szene eher an einen militärischen Überfall als an ein städtisches Bauprojekt in einem Vorort. Polizeibeamte in gepanzerten Lastwagen eskortierten die Bauarbeiter, als sie einen Weg für schweres Gerät freimachten und Zäune installierten. Bis heute wird das Gelände stark bewacht.
Bislang wurden 42 Personen wegen ihrer Teilnahme an den Protesten gegen Cop City wegen inländischen Terrorismus angeklagt – obwohl einige von ihnen nicht direkt mit den Aktionen in Verbindung stehen. Eine der betroffenen Personen hat im Gegenzug eine Klage eingereicht, die die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes zu inländischem Terrorismus in Georgia anzweifelt.
Die Bewegung hat inzwischen schon hunderttausende Dollar Kaution für Verhaftete gezahlt. Nur wenige Tage vor der Ratssitzung wurden drei Mitglieder des Atlanta-Solidaritätsfonds durch eine martialische Polizeiaktion verhaftet. Dabei geht es lediglich um kleine Beträge, die sie angeblich veruntreut haben sollen – 115,80 Dollar für eine Campingausrüstung oder 29,70 Dollar für den Kauf eines Safes beim Internethändler Amazon. Selbst der zuständige Richter hält das Vorgehen der Behörden und die Anklage der Staatsanwaltschaft für überzogen.
Während der öffentlichen Debatte im Rathaus verurteilt ein Student der renommierten Brown University das Vorhaben und alle Ratsmitglieder, die dafür stimmen wollen. »Machen Sie sich nichts vor«, ruft der 19-jährige Garrett Brand, Atlanta habe ein Vermächtnis der Apartheid. »Das ist ein Erbe, das jeder einzelne von Ihnen antritt, wenn Sie beschließen, den einzigen öffentlichen Park, der einer Gemeinde voller Schwarzer Kinder dient, zugunsten von Schießständen und einem Bombentestgelände zu zerstören.« Er weist auf die Folgen der Anlage hin, die er erwartet: nämlich dass Blut von eben dieser Kinder vergossen wird. Trotz 14 Stunden andauernder Einsprüche stimmt der Stadtrat letztlich mit 11 zu 4 Stimmen für die Finanzierung des Ausbildungszentrums.
Die Aktivist*innen sind trotz des Beschlusses zuversichtlich, dass der Kampf weitergeht. Drei Tage später gibt es bereits einen Aktionstag, bei dem Investoren und Profiteure des Vorhabens in den Fokus gerückt werden. Und für Ende Juni lädt die Bewegung zu einer Aktionswoche nach Atlanta ein. Die Initiative Stop Cop City bleibt optimistisch. »Weil, wenn eine Masse von Menschen für eine gemeinsame Sache zusammenkommt, Magie geschieht. Neue Beziehungen werden geknüpft und bestehende Verbindungen gestärkt. Mit jedem Moment, an dem wir uns der Ungerechtigkeit widersetzen, gewinnen wir.«
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