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Karikaturist Henry Büttner - Wo ist das Böse geblieben?

Der ewig heutige Zeichner Henry Büttner stellt eine »Eigene Auswahl« aus seinem Lebenswerk in Greiz aus

  • Harald Kretzschmar
  • Lesedauer: 6 Min.
Büttners Komik ist wortlos. Ein Mensch und noch ein Mensch. Was geschieht da mit ihnen im endlichen Raum?
Büttners Komik ist wortlos. Ein Mensch und noch ein Mensch. Was geschieht da mit ihnen im endlichen Raum?

Es gibt eine ganze Welt, übermächtig groß strotzt sie von ernster Bedeutung. Die wahre Komik nistet erst im Abseits, in den Nischen von Lebenswelten, in den Vierteln, in denen die Kleingeister groß zur Geltung kommen. Es ist eine Viertelwelt. Wenn er dort schon lebt, dann kann einer wie Henry Büttner auch zeichnen. Wenn er sie denn so generös (um das Wort genial zu vermeiden) zeichnen kann wie er: als Menschen an und für sich. Wie er sie halt erlebt.

Henry Büttner, HB genannt, ist Jahrgang 1928. Putzmunter wie eh und je. Seine immer um die Ecke gedachte Strich-Geradlinigkeit ist moderner als je zuvor. Als satirischer Zeichner des Jahrgangs 1931 sage ich: Das Etikett des Ewiggestrigen passt für uns nicht. Dann schon ewig heutig.

Büttner hat sein komisches Lebenswerk der Staatlichen Bücher- und Kupferstichsammlung Greiz geschenkt: 1600 Blatt. Daraus hat er das Beste ausgesucht, eine »Eigene Auswahl« getroffen – unter diesem Titel ist es nun als Ausstellung im Satricum in Greiz zu sehen.

Je tiefer Büttners Durchblick und je enger der Radius seiner Betrachtung, desto genauer erfasst er den Punkt, den wir die Pointe nennen. Denn was nützt allein ein In-Augenschein-Nehmen? HB ist dazu da, Gesehenes mit seiner Hand aufs Papier zu bringen. In Kürzeln und Chiffren. Hinreißend umreißt er etwas. Dürr bewegte Gestalten: eine uralte Sache.

Die Uraltvorderen aus frühester Urzeit ritzten Striche und Linien an die Felswände. Die frühen Kulturen der Inka und Maya, der Ägypter und Hellenen pflegten Gestalten und Gebilde in hinreichend komischer Einfachheit linear zu umreißen. Wie man schreibt, so zeichnet man. Zeichnerische Handschrift hält etwas fest oder gibt es wieder frei für das Gelächter, für schmunzelnde Übereinstimmung oder für das erschrockene Erkennen – je nachdem.

»All in line« forderte im 20. Jahrhundert der begnadete Linienkünstler Saul Steinberg in New York. Der trockene Humor braucht nur ein Tröpfchen schwarze Tusche. Die Feder taucht ein und zieht ihre Spur über das Blatt Papier. Schnurgerade Lebenslinien, zitternd gespannt biegsam. Die Gerade des aufrechten Ganges: Die Figuren schreiten, bleiben stehen, bücken sich – und finden sich gebrochen am anderen Ende der Welt wieder.

HB kommt aus Wittgensdorf, am Rand von Chemnitz. Wittgensdorf grüßt New York. Wer weiß, dass dort in den kleinen Häusern im Sächsischen der HB-Mensch zu Hause ist? HB steht hinter den Zäunen – und sieht durch. Er muss nichts erfinden. Er findet: Sie und Ihn. Und vor allem Es – das Komische. Das uns lächeln lässt.

»Pst!«, möchte man flüstern, wenn man jetzt vor all den Blättern im hellen Greizer Gartensaal zum Lachen kommt. Hat man diese Wesen oft genug gesehen? Ich glaube nicht. Sie sind doch so hell und durchsichtig. Fast körperlos – und doch ganz und gar nicht schemenhaft. Wieso leben sie da auf der weißen Fläche? Gut, wir müssen sehen können, was da los ist. Ganz realistisch muss das sein. Sonst kann der Witz nicht blitzen.

Aber ist da nicht mehr? Der Baum, der Zaun, die Leiter, das Bett, die Wand, der Teich, die Straße. Liniensystem Komik. Gerüst für Gefühle und Hemmungen, Geltungsdrang und Fürsorglichkeit, Genaunehmerei und Ehrpussliges, Rechthaben und Übelnehmen. Von ihr und ihm.

Wo ist das Böse geblieben? Arglos sind sie, diese Wesen, die HB zeichnet. Sie ordnen ihr Leben nach ihrem Gesetz. Verhängnisvolle Zwischenfälle werden vermieden. Dieser Strich ist zu zart, um großes Unglück zu beschwören. Andererseits: Glück haben diese Leute überhaupt nicht. Zum Glück, möchte man sagen, haben sie keinen Grund, übermütig zu werden.

Schade, dass niemand merkt, wie genau diese gezeichneten Psychogramme dem sogenannten »neuen Menschen« entsprachen, den die geschlossene Gesellschaft der DDR hervorgebracht hatte. Ganz anders gedacht war das. Die Entwerfer von Zukunftsvisionen konnten nicht mithalten. HB spürte in aller Unschuld, was hier vorging. Ja, genauso komisch blieb das alles bis heute. Nun kann es nur noch böse werden.

Kollegial verbunden waren wir beide schon. Immer auf Distanz. Mehrmals sehr nahe beieinander. Etwa als wir 1987 zusammen ausstellten. Die Kulturbund-Galerie mitten im Zentrum von Karl-Marx-Stadt hatte uns eingeladen. Theaterintendant Gerhard Meyer, so populär wie legendär, hatte sich eine feinsinnig geschliffene Laudatio auf uns ausgedacht. Wir lauschten andächtig, da schlug es zwölf. Henry wartete gar nicht mehr den Beifall ab. Er war verschwunden: Seine Frau wartete zu Hause mit dem Essen. Unser beider Ausstellung sprach wortlos für sich und konnte nur als Erfolg bezeichnet werden. Denn der Staatliche Kunsthandel übernahm sie unverändert und schickte sie in den Westen.

So fand ich mich ein Jahr später bereits zur Ausstellung Henry Büttner/Harald Kretzschmar im westfälischen Siegen. Konnte ich ahnen, auf welche Weise mich die Siegener zum Sieger machten? Ich kam an und die Stadt lag mir zu Füßen. Die Stadtgeschichte samt umliegendem Siebengebirge und weiteren Höhenzügen wurde mir von einem kommunalen Abgesandten erklärt, es gab zustimmende Pressebeiträge und Willkommen-Trinksprüche. Nur die eine bange Frage konnte ich nicht überzeugend beantworten: Warum in aller Welt war Henry Büttner nicht da? Warum durfte er nicht ausreisen? Hat er Westreiseverbot, oder was war los? Die klassische Büttner-Antwort »Ich reise grundsätzlich nicht, ganz egal, wohin!« verfing überhaupt nicht. Ein Ostbürger ohne Sehnsucht nach einer Westreise – das war leider selbst angesichts dieses offensichtlichen Ausnahmemenschen nicht vermittelbar.

Dieser bodenständig sächsische Mensch wohnt zeitlebens am Wittgensdorfer Bahndamm auf eigenem Grund und Boden. Das Haus wird nur zu Spaziergängen verlassen. Frau und Tochter berichten, was passiert. Seine Leute kennt er. Als ich ihn zum 85. Geburtstag besuchte, kam er mir wie immer im grauen Arbeitsmantel die schwere Eichentreppe in der Diele herab entgegen. Wir saßen oben am schweren Ausziehtisch, den der Vater, Elektromeister, bereits sein eigen nannte. Henry meinte, der alte Herr sei im Ort zehnmal populärer gewesen als er selbst. Immerhin hatte der sich ungleich nützlicher gemacht. Mit dem Zeichnen sei es ja nun vorbei. Was da jetzt in Mode komme, diese Sprechblasen mit endlosen Texten, was soll das sein? Was wirklich passiert, geschieht doch wortlos.

Was geredet wird, gehört für ihn in die Literatur. Darin lebt HB. Auf hohem philosophischem Niveau. Seine Komik ist wortlos. Ein Mensch und noch ein Mensch. Was geschieht da mit ihnen auf einer krummen Geraden im durchaus endlichen Raum? Vielleicht ist das überhaupt eher zeichengebende Philosophie als zeichnende Kunst?

Henry Büttner plaudert es aus in einem Brief vom November 1993 an den »Eulenspiegel«: »Da ich es in jungen Jahren mit Schopenhauer hielt, konnte ich mich für den Sozialismus nicht erwärmen und schon gar nicht erhitzen. Da mir Schopenhauer auch heute noch einiges bedeutet, kann ich mich auch mit den jetzigen Verhältnissen nicht recht anfreunden. Das muss natürlich nicht ausschließlich an Schopenhauer liegen. Es fällt mir auf, dass ich nach der Wende seltener einen Schlips umbinde als vor der Wende.«

»Henry Büttner: Eigene Auswahl«, bis 31. Oktober im Satiricum, Greiz.

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