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Ukraine-Krieg: Zwischen Weltbild und Wirklichkeit
Trotz genereller Ablehnung gibt es in der Linken Stimmen für Waffenlieferungen an die Ukraine
Einschneidende Erlebnisse können ein Weltbild schon erschüttern. Oder zumindest ein wenig infrage stellen. In der Linkspartei ist es weithin Konsens – und so viele Dinge, die weithin Konsens sind, gibt es dort derzeit gar nicht –, dass Rüstungsexporte abgelehnt werden. Erst recht in Kriegs- und Krisengebiete. Die Linksfraktion im Bundestag lehnt seit vielen Jahren in schöner Regelmäßigkeit Geld für Rüstungsprojekte ebenso ab wie Auslandseinsätze der Bundeswehr. »Wir wollen einen sofortigen Stopp aller Waffenexporte«, heißt es im Wahlprogramm der Linken zur letzten Bundestagswahl. »Die Linke (…) will, dass ein Rüstungsexportverbot im Grundgesetz verankert wird«, ist im Parteiprogramm der Linken zu lesen. Die Dokumente stammen aus den Jahren 2021 und 2011.
Doch nun tobt seit fast eineinhalb Jahren der Krieg Russlands gegen die Ukraine – und kürzlich war Fraktionschef Dietmar Bartsch in der Ukraine, in Kiew sowie in Charkiw und Umgebung. Er besuchte Orte, die umkämpft waren, sah Zerstörungen, erlebte russische Luftangriffe. »Seit ich selbst die nächtlichen Sirenen miterlebt habe, die Raketenalarme, die hier Alltag sind in fast jeder Nacht, hat sich meine Ansicht in Bezug auf Abwehrschirme gewandelt: Sie sind hilfreich und hier in der aktuellen Situation unentbehrlich«, sagte er im Mai in einem Interview. Die westlichen Staaten, auch Deutschland, hatten der Ukraine diverse Luftabwehrsysteme geliefert, unter anderem vom Typ Patriot. Sie tragen entscheidend dazu bei, dass die fast jede Nacht stattfindenden russischen Drohnen- und Raketenangriffe auf ukrainische Städte weitgehend abgefangen werden können.
Dieser Tage äußerte sich Bartsch, der stets auch die Bedeutung diplomatischer Lösungsversuche betont, im ZDF erneut zu seiner veränderten Sicht auf die Dinge. Man sei jetzt in einer Situation, »dass man der Ukraine nicht sagen kann: Gebt alle Waffen ab. Dann ist die Ukraine am Ende.« Er habe gesehen, welche Gefahr von den russischen Attacken ausgeht. »Dann ist man froh, dass es diesen Abwehrschirm gibt.« Er sei überzeugt, so Bartsch, »dass wir hier Übergänge brauchen«.
Das sind keine ganz neuen Töne in der Linken. Schon im letzten Jahr gab es Politiker, die aus dem Nein zu Waffenlieferungen ausscherten. So fasste der Landesvorstand Bremen Mitte Juni 2022, also vier Monate nach der Kriegserklärung Putins gegen die gesamte Ukraine, einen Beschluss, in dem es heißt: »Wir können uns nicht dagegenstellen, dass die Ukraine bei der Verteidigung gegen den russischen Einmarsch Waffenlieferungen in Anspruch nimmt.« Allerdings dürften keine Waffen »mit sehr großer Reichweite« geliefert werden, die russisches Territorium erreichen könnten.
Zwei Wochen später tagte der Bundesparteitag in Erfurt. In einem der Beschlüsse heißt es unmissverständlich: »Rüstungexporte und Waffenlieferungen lehnen wir vollständig ab, insbesondere in Krisen- und Kriegsgebiete.« Und: »Statt Rüstungs- und Waffenlieferungen (…) müssen nichtmilitärische Möglichkeiten erweitert werden«, beispielsweise Sanktionen.
Eine andere Ansicht vertrat Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow. Der Krieg könne nicht mit Resolutionen gestoppt werden, sagte er, und in einem Interview am Rande des Parteitags erklärte er, man könne dem Angegriffenen nicht sagen: »Du bist jetzt ein Krisengebiet, du darfst jetzt keine deutschen Waffen anschaffen.« Katina Schubert, im letzten Sommer noch Parteivize und Berliner Landesvorsitzende, erklärte ebenfalls in einem Interview, Waffenlieferungen an die Ukraine seien ein letztes Mittel – »wahrscheinlich kommen wir nicht darum herum«, aber man müsse klar festschreiben, was es für Waffen sein sollen.
Die Reihe ließe sich fortsetzen. Die frühere Parteivorsitzende Susanne Hennig-Wellsow etwa sagte im April: »Wenn ich der Ukraine das Recht zubillige, sich gegen den Aggressor zu verteidigen, dann muss ich ihr die nötigen Mittel geben.« Der außenpolitische Sprecher der Fraktion, Gregor Gysi, hatte nach einem Ukraine-Besuch im Mai 2022 noch betont, er wolle, »dass Deutschland nie wieder an Waffen verdient«. Nach einem weiteren Jahr Krieg sagte er im Juni 2023, man könne Waffenlieferungen für die Ukraine zum Gegenstand von Verhandlungen machen: »Die Nato kann Putin doch sagen, sie liefert ab null Uhr des übernächsten Tages keine einzige Waffe mehr, wenn er ab null Uhr einem Waffenstillstand zustimmt.« Außerdem brauche die Ukraine dann Sicherheitsgarantien vom Westen. Das lässt immerhin Spielraum für Interpretationen offen.
Alle in der Linken, die angesichts der russischen Aggression nicht mehr strikt gegen jede Waffenlieferung sind, sprechen sich für mehr Diplomatie und ein möglichst baldiges Ende des Krieges aus. Dietmar Bartsch verband mit seinem Verständnis für »übergangsweise Waffenlieferungen« die Vision, »dass wir uns eine möglichst waffenreduzierte, am Ende waffenfreie Welt vorstellen«. Insofern trifft der Vorwurf der Abgeordneten Sevim Dağdelen nicht zu, in der Linken gebe es Leute, die die Partei an die Spitze der Kriegstreiber führen wollten.
Aber: Zur eindeutigen Beschlusslage der Linken passen etliche Äußerungen namhafter Politiker nicht. Nach diesen Widersprüchen befragt, sagte der Parteivorsitzende Martin Schirdewan in einem Interview, das sei »alles Binnenpluralität, weil sich die Positionen so auch in der Gesellschaft wiederfinden«. Dennoch hat Die Linke hier wohl Klärungsbedarf, zumal mit den Äußerungen von Bartsch der Konflikt in dieser Frage in der Fraktionsführung der Linken angekommen ist. Denn seine Ko-Vorsitzende Amira Mohamed Ali lehnt Waffenlieferungen generell ab.
Keineswegs zufällig taucht im kürzlich verabschiedeten Vorstandsbeschluss »Unser Plan 2025: Comeback für eine starke Linke« die Außen- und Sicherheitspolitik als eines der Themen auf, bei denen es Klärungsbedarf gibt. Man müsse die Gültigkeit beschlossener Positionen »bei veränderter gesellschaftspolitischer Ausgangslage« diskutieren. Da es in der Außen- und Sicherheitspolitik »besonderen Diskussionsbedarf gibt, gilt hier besondere Anstrengung«. Der Parteivorstand wolle politische Differenzen herausarbeiten, »die die gemeinsame Handlungsfähigkeit der Partei« blockieren, und »entsprechende Klärungsformate« entwickeln.
Die Parteivorsitzende Janine Wissler warnte im Februar dieses Jahres vor einem »gefährlichen Überbietungswettbewerb bei Forderungen nach Waffenlieferungen« und meinte damit die politische Konkurrenz. In der Linken will bislang niemand jemanden überbieten, aber die Debatte zum Thema läuft.
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