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Krankenhausreform: Was von der Revolution übrig bleibt
Gesundheitsminister Lauterbach muss Abstriche an seinem Klinikreform-Projekt hinnehmen
An diesem Donnerstag findet die vorerst letzte Bund-Länder-Runde zur Krankenhausreform statt. Nach diesen Verhandlungen will Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) in der nächsten Woche auf der Gesundheitsministerkonferenz endlich die Eckpunkte zur Reform vorstellen.
Im Vergleich zum Vorschlag der Expertenkommission vom Dezember hat das Konzept schon Federn gelassen. Grundsätzlich geht das auf Anforderungen aus dem Föderalismus zurück: Die Bundesländer sind für die Krankenhausplanung zuständig; der Bund muss regeln, wie der Sektor zu finanzieren und auch zu gestalten ist. Deshalb kann es keine Reform ohne die Länder geben.
Diese haben nun offensichtlich durchgesetzt, dass es keine einheitlichen Krankenhaus-Level geben wird. Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) will dennoch bei Inkrafttreten der Reform – aus heutiger Sicht Anfang 2024 – diverse Daten veröffentlichen, darunter die Einteilung der Krankenhäuser in Versorgungsstufen. Über die entsprechenden Zuordnungen sollen Länder und Kliniken informiert werden. Die Daten will Lauterbach auch Patienten zugänglich machen, damit diese über qualitativ ausreichende Angebote besser informiert würden.
Konkreter gefasst wurden nach letztem Stand die möglichen Ausnahmen zu den vorgesehenen Leistungsgruppen. Dann können bedarfsnotwendige Gruppen auch dort angeboten werden, wo die festgelegten Qualitätskriterien nicht erfüllt werden, etwa wenn eine benötigte Diagnostik nur ambulant verfügbar wäre oder auch in Kooperation mit einem anderen Krankenhaus. Solche Ausnahmen müssten von einer Landesbehörde beim Bund genehmigt werden, und das würde nur für zwei Jahre gelten.
Wenn Bundesländer jedoch auf die Möglichkeit aktiv zurückgreifen, könnte man schnell wieder dabei sein, dass in vielen Krankenhäusern etwas angeboten wird, das medizinisch nur unzureichend abgesichert ist. Etwa eine Herzinfarktbehandlung ohne ausreichende Diagnostikmöglichkeiten, in bestimmten Fällen wäre das ein Herzkatheter. Genau derartige Mängel sollte die Reform eigentlich ausschließen.
Weiterhin vorgesehen ist für die Umsetzung der Reform eine mehrjährige Übergangsphase. In deren Verlauf sollen auch die Leistungsgruppen weiterentwickelt werden. Eingebunden wären hier zu Beginn verschiedene wissenschaftliche Institute sowie die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften. Auf dieser Basis könnten später »Akteure aus dem Gesundheitswesen« beteiligt werden. Erst danach würde von BMG und Ländern eine entsprechende Rechtsverordnung erstellt. Die Überprüfung soll später in der Praxis der Medizinische Dienst leisten, für die Schlussfolgerungen wären allein die Länder verantwortlich. Auch diese Festlegung klingt danach, dass die Bundesländer hier recht einfach Ausnahmen kreieren oder zulassen können.
All das wird indes nur in Kraft treten, wenn sich Bund und Länder über die Grundstruktur der Reform insgesamt einigen, so ein kurz vor dem Treffen bekannt gewordenes Eckpunktepapier. Diese Einigung umfasse aber auch die notwendige finanzielle Ausstattung durch Bund und Länder für die Transformation.
Auf diese Frage gibt es bislang keine Antwort. Zunächst hatte Minister Lauterbach unter anderem in der Regierungsbefragung durch den Linke-Abgeordneten Ates Gürpinar geleugnet, dass überhaupt solche Kosten entstehen würden. Die Krankenhausgesellschaft hingegen ließ sich Auswirkungen eines Basismodells der Reform simulieren – einschließlich Kapazitätsverlagerungen, Fusionen und Neubauten. Mindestens 24 Milliarden, höchstens 50 Milliarden Euro wären danach nötig – allein an Investitionen. Noch nicht mitgerechnet sind hier Mittel zur Beseitigung des seit Jahrzehnten ohnehin bestehenden Investitionsstaus, für den die Bundesländer verantwortlich sind. Auch Kosten zur Klimaneutralität kämen obendrauf oder solche für Häuser, die mit der Reform wirtschaftlich nicht mehr tragfähig wären.
Genau Letzteres gehört zu den gravierenden offenen Fragen der Reform: Wie viele Standorte werden die Reform nicht überleben? Wie vielen kleineren Kliniken bleibt nur ein Fortbestehen als 1i-Einrichtung? Diesem umstrittenen Level wären aktuell 358 Häuser zugeordnet, die meisten davon in Bayern, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg. Hier sollte zwar noch stationär versorgt werden, aber nur im Rahmen einer »interdisziplinären Grundversorgung wohnortnah mit ambulanten fachärztlichen als auch mit medizinisch-pflegerischen Leistungen«.
In der ersten Reformphase war diese Stufe von Kritikern vehement abgelehnt worden: »Es steht Krankenhaus drauf, es ist aber kein Krankenhaus mehr drin.« Vergütet werden diese Grundversorger mit Tagespauschalen, es würde hier keine Vorhaltekosten und kein Pflegebudget geben. Hingegen ist die Rede davon, dass Angehörigenpflege möglich sei. Das mutet abenteuerlich an, um nicht zu sagen, dass 1i eigentlich nur eine Art fünftes Rad am Wagen sein könnte – mit dem Zweck, tatsächliche Klinikschließungen zu tarnen.
Eine sinnvolle 1i-Einrichtung für kommunale Grundversorgung ist durchaus vorstellbar. Dazu müssten jedoch Gruppen in die Reform einbezogen werden, die bis jetzt ausgeschlossen sind, etwa die niedergelassenen Ärzte und deren Kassenärztliche Vereinigungen. Kritiker wie Linke-Politikerin Kathrin Vogler sehen hier umfassende Versäumnisse: »Richtig wäre es, vor Ort, in den demokratischen Gremien der Kommunen und Regionen zu entscheiden, welche Versorgungsstrukturen gebraucht werden. Dabei müssen diejenigen, die vor Ort konkret die Leistungen erbringen, also das Fachpersonal, ihre Gewerkschaften und die Betriebsräte in den Krankenhäusern, und vor allem auch die Patient*innen, die Bevölkerung, in transparenten Prozessen beteiligt werden.«
Ein Ziel der Reform soll sein, das vorhandene Personal, an der Spitze die Pflegekräfte, effektiver einzusetzen. Wie aber die Umsetzung und Lenkung dieser Beschäftigten gelingen kann, ist völlig offen, zumal große Teile in nur wenigen Jahren das Rentenalter erreichen. Außerdem ist nicht auszuschließen, dass die bisherige Belastung in allen Berufen auch unter den neuen Bedingungen nicht geringer wird.
- Änderung des Vergütungssystems:
Die Fallpauschalen sollen an Kraft verlieren, indem Kliniken einen größeren Anteil der Vergütung für das Vorhalten von Leistungsangeboten erhalten. Geld soll also schon dafür fließen, dass Personal, Betten und Technik nur bereitgehalten werden, ohne dass ein Patient behandelt wurde. Die Fallpauschalen bleiben trotzdem, aber der Ertrag aus diesen sinkt, der Anreiz auf hohe Fallzahlen sollte ebenso sinken. - Neuordnung mit Versorgungsstufen:
Ursprünglich drei, später ein paar mehr unterschiedliche Level – von wohnortnahen Grundversorgern bis hin zu Maximalversorgern wie Universitätskliniken. Aber: Gegen das System sperren sich die Bundesländer. - Einführung von Leistungsgruppen:
Über diese soll die Qualität verbessert werden. Nur wenn Kliniken bestimmte Anforderungen erfüllen, dürfen sie zum Beispiel Schlaganfälle oder Herzinfarkte versorgen. uhe
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