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Weniger Hilfe, größere Not in Syrien
Die internationale Gemeinschaft hat in Syrien versagt. Nach dem Erdbeben ist die humanitäre Lage noch schlimmer geworden
Mehr als 15 Millionen Menschen sind nach UN-Angaben in Syrien zurzeit hilfsbedürftig. 500 000 Menschen wurden seit dem Beginn des Bürgerkriegs getötet. Über zwölf Millionen Menschen wurden in Syrien vertrieben. Von ihnen flohen knapp sieben Millionen in die Nachbarländer. Von dort aus nahmen und nehmen viele den beschwerlichen Weg nach Europa auf sich. Der Rest der Vertriebenen lebt unter meist extrem schlechten Bedingungen in Zeltlagern und ist auf humanitäre Hilfe angewiesen. Diese Zeltstädte befinden sich vor allem im Norden Syriens. Im Nordwesten, in Idlib, leben knapp vier Millionen Menschen in Zelten, die vor der Gewalt und der Verfolgung des Assad-Regimes geflohen sind. Auch im Nordosten, der unter Kontrolle der kurdisch geprägten Selbstverwaltung steht, leben hunderttausende Binnenflüchtlinge.
Hilfe zu bekommen, ist keinesfalls einfach. In der Region Idlib haben syrische Rebellen und die islamistische Miliz der Hayat Tahrir al-Scham (HTS) das Sagen. Internationale Hilfsorganisationen können die Geflüchtetenlager über die Grenzübergänge der Türkei erreichen. Diese sind jedoch – zuletzt nach dem Erdbeben im Februar – manchmal tagelang geschlossen, mit katastrophalen Folgen für die Bevölkerung. Hinzu kommt, dass inzwischen im UN-Sicherheitsrat halbjährlich über die Resolution zu grenzüberschreitender Hilfe für Syrien abgestimmt wird. Russland droht regelmäßig damit, diese zu blockieren, und spielt damit die eigene Machtposition zur Stärkung des Assad-Regimes aus – nachhaltige Hilfsmaßnahmen werden so beinahe unmöglich gemacht.
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Die syrischen Helfer*innen an Ort und Stelle wissen genau, wo und welche Hilfe benötigt wird. Zwar werden sie dabei nicht selten zur Zielscheibe der Rebellengruppen, können jedoch in ihren selbstbestimmten Räumen gezielt Hilfe anbieten. Das Frauenzentrum in Idlib-Stadt ist so ein Ort. Dennoch berichteten die Medico-Partnerinnen dort von der Verzweiflung der Menschen, als die internationale Hilfe im Februar nur tröpfchenweise im Erdbebengebiet ankam und den Bedarf bei Weitem nicht deckte.
Selbst Brot ist kaum noch erschwinglich
Zur schwierigen Situation in den Flüchtlingslagern im Norden kommt die Wirtschaftskrise in Syrien hinzu. Die Lage im Land ist katastrophal. 90 Prozent der Bevölkerung leben in Armut; Inflation und steigende Preise verstärken die Not. Die Preise für Lebensmittel haben sich in den vergangenen Jahren in Syrien verdreizehnfacht. Selbst Brot ist kaum noch erschwinglich. Einige ziehe es daher in den Nordosten des Landes, berichten humanitäre Helfer*innen. Dort sei das Leben etwas besser.
Doch auch im Nordosten wird der Alltag immer beschwerlicher. Die kontinuierlichen türkischen Angriffe und der Drohnenkrieg führen zu einer extremen psychischen Belastung der ohnehin kriegstraumatisierten Bevölkerung. Hinzu kommt, dass die türkischen Luftangriffe im November vergangenen Jahres gezielt Infrastruktur in der Region zerstört haben: Getreidesilos, Ölförderung, Stromwerke, Gasstationen und Krankenhäuser. Seitdem haben sich die Lebensbedingungen einmal mehr verschlechtert. Lange Stromausfälle und leere Gasflaschen gehören inzwischen zum Alltag der Bevölkerung.
Dringend benötigte UN-Hilfe kommt in der Region, die seit 2014 von der autonomen Selbstverwaltung regiert wird, schon lange nicht mehr an. Seit Anfang 2020 ist der einzige Grenzübergang geschlossen. Dafür sind China und Russland verantwortlich, die im Sicherheitsrat gegen den Hilfszugang stimmten. Ihr Ziel ist es, die Hilfe in der Hand der syrischen Regierung zu zentralisieren. Das war besonders während der Corona-Pandemie eine Katastrophe, Schutzausrüstung oder Impfstoffe kamen verspätet oder gar nicht an.
Trotz allem stehen der Krieg und die humanitäre Situation in Syrien schon lange nicht mehr im Fokus der Öffentlichkeit. Spätestens mit dem Ukraine-Krieg hat sich die Priorität verschoben. Das schlägt sich auch in der internationalen Hilfsbereitschaft nieder. Auf der siebten Syrien-Geberkonferenz am 15. Juni in Brüssel machten die mehr als 70 Staaten und internationalen Organisationen Zusagen in Höhe von 5,6 Milliarden Euro, vergangenes Jahr waren es noch 6,4 Milliarden Euro. Deutschland bleibt weiterhin einer der wichtigsten Geldgeber und hat erneut 1,05 Milliarden Euro zugesagt. Kritik wurde auch an der Instrumentalisierung von Hilfe geübt, einen Umgang damit gibt es jedoch nicht.
Das Erdbeben hat mindestens 8000 Todesopfer gefordert
Seit Jahren steht die Vereinnahmung internationaler Hilfe durch Präsident Baschar al-Assad in der Kritik. Über internationale Hilfsgelder finanzieren sich ihm nahestehende Organisationen und sichern somit den Machterhalt des Regimes. Vertreter*innen der Weltgesundheitsorganisation und UN sitzen in Damaskus und klären von dort die Verteilung von Hilfe, statt sie direkt an die humanitären Brennpunkte zu liefern. Nach dem verheerenden Erdbeben im Februar wurde einmal mehr deutlich, was dies für die hilfsbedürftigen Menschen bedeutet. Das Erdbeben hat in Syrien mindestens 8000 Todesopfer gefordert, Zehntausende haben Häuser und Wohnungen verloren und sind immer noch obdachlos. Das Erdbeben traf besonders den Nordwesten des Landes, Afrin und Idlib, aber auch Aleppo und Gebiete unter der Kontrolle der Regierung. Assad inszenierte sich als Retter und nutzte das Erdbeben für sein politisches Comeback, indem er sich mit diversen ausländischen Staatsvertretern traf, die Hilfe und Unterstützung für die Opfer zusagten. Währenddessen warteten die Nothelfer*innen vom Kurdischen Roten Halbmond aus Nordostsyrien vergeblich an Checkpoints auf eine Genehmigung, um mit ihren Hilfskonvois Gebiete unter der Kontrolle des Regimes zu queren.
In Idlib und Afrin war die Situation noch dramatischer. Dort halfen sich in den Tagen nach dem Erdbeben die Menschen selbst, gruben in Trümmern und suchten mit bloßen Händen nach Überlebenden. Die von Assad eingeworbene Hilfe kam dort bis heute nicht an. Eine humanitäre Lösung für die Region ist nicht ohne eine politische Lösung für Syrien zu denken. Es gibt Ansätze in Syrien – wie die Selbstverwaltung im Nordosten oder selbstverwaltete Räume in Idlib, die anderen Möglichkeiten aufzeigen. Sie benötigen jedoch die praktische Unterstützung und den Rückhalt der internationalen Gemeinschaft. Sonst wird der humanitäre Verfall in der Region weitergehen.
Anita Starosta arbeitet bei der Hilfs- und Menschenrechtsorganisation Medico International in der Öffentlichkeitsarbeit. Sie ist Referentin für Syrien und bereist den Nordosten seit einigen Jahren regelmäßig.
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