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324 Tote durch Polizeikugeln nach 1989
Mindestens sieben weitere Personen nach Einsatz von Tasern gestorben
Eine aktuelle Tabelle der Hochschule der Polizei (DHPol) zählt für 2022 insgesamt elf Tote nach Polizeischüssen, hinzu kommen sieben Suizide von Beamten.
Auch die Zeitschrift »Bürgerrechte & Polizei/CILIP« führt eine Statistik zu Toten durch Polizeischüsse. Im Unterschied zu den knappen Berichten der Polizei werden dabei Umstände der Einsätze rekonstruiert. Die Angaben dazu stammen jedoch meist aus der Lokalpresse und damit aus Pressemitteilungen der Polizei.
Zu den Opfern des polizeilichen Schusswaffengebrauchs gehörte im vergangenen Jahr der 16-jährige Mohammed Lamine Dramé. Zwölf Beamte haben den aus dem Senegal stammenden Jugendlichen im Hof einer Einrichtung für unbegleitete minderjährige Geflüchtete in Dortmund erschossen, nachdem sie ihn zunächst mit Pfefferspray und einem Taser traktiert hatten. Die Polizei war von einem Betreuer gerufen worden, da Dramé seinen Suizid angekündigt hatte. Am Ende des Einsatzes schoss ein Beamter sechsmal aus einer Maschinenpistole. Schwer verletzt von vier Treffern in den Bauch, in den Kiefer, in den Arm und die Schulter starb der Teenager im Krankenhaus.
Unter den 2022 von der Polizei Erschossenen ist außerdem ein unbekannter 36-Jähriger, der in einem Supermarkt in Leipzig zwei Flaschen Bier und Kartoffeln gestohlen und später mit einem Messer – mutmaßlich unter Alkohol- oder Drogeneinfluss – das Personal bedroht haben soll. Eine polizeiliche »Einheit für lebensbedrohliche Einsatzlagen« erschoss den Mann kurz darauf in seiner eigenen Wohnung.
Der obdachlose Jouzef Berditchevski wurde in Köln ebenfalls in seiner Wohnung erschossen, in diesem Fall von Beamten in Zivil. Diese hatten eine Gerichtsvollzieherin begleitet, um die Zwangsräumung gegen den 48-Jährigen durchzusetzen. Angeblich habe der in Köln als Musiker bekannte Mann vor dem Todesschuss ein Messer in der Hand gehabt.
Auch der 23-jährige Amin F. soll in einem Hotel im Frankfurter Bahnhofsviertel bei einem Polizeieinsatz zu einem Messer gegriffen haben. Ein Spezialeinsatzkommando hatte die Tür zu dem von dem Mann bewohnten Zimmer aufgebrochen und einen Hund auf ihn gehetzt. Der Hotelgast hat nach Polizeiangaben das Tier verletzt und Stichbewegung in Richtung der Beamten gemacht. Ein Polizist schoss daraufhin sechsmal auf die obere Körperhälfte des Mannes, darunter auch in den Kopf.
Aus den Meldungen der CILIP lässt sich auf Muster schließen, etwa dass alle der 2022 Getöteten männlich waren. Ebenfalls alle waren selbst bewaffnet, entweder mit Stich- oder Hiebwaffen und in einem Fall auch einer Pistole. Aus der Aufstellung geht auch hervor, dass sich im vergangenen Jahr mindestens fünf der Opfer in einer psychischen Ausnahmesituation befanden.
Dies sind die umstrittensten Fälle von Polizeischüssen, denn häufig wird der Einsatzleitung – wie etwa im Fall von Mohammed Lamine Dramé in Dortmund – eine solche Lage bereits beim Notruf mitgeteilt. »Dass sich fast die Hälfte der von der Polizei erschossenen Personen in psychischen Krisen und Notsituationen befanden, zeigt einmal mehr, dass die Polizei gar nicht in der Lage dazu ist, diese Probleme zu lösen«, sagte die Sozialwissenschaftlerin Vanessa Thompson zum »nd«. Deshalb sei es wichtig, für den Ausbau von alternativen Infrastrukturen zu kämpfen. »Gerade in aktivistischen Netzwerken ist oft gar nicht bekannt, wie man in psychischen Krisen unterstützend reagieren kann.«
Der Polizeiwissenschaftler Thomas Feltes übt grundsätzliche Kritik an der DHPol. So sei ihre inhaltliche Aufschlüsselung der Fälle »absolut unzureichend«. Es fehlten Angaben zur räumlichen Verteilung und dazu, welche Sondereinheiten eingesetzt waren. Auch müssten weitere, der Polizei zuzurechnende Todesfälle im Polizeigewahrsam oder Todesfälle aufgrund exzessiver Polizeigewalt von der DHPol aufgelistet werden.
Die Statistik der Polizeihochschule für 2022 ist überdies nicht vollständig. Wenn die staatsanwaltlichen Ermittlungen zur Todesursache nicht abgeschlossen sind, werden die Toten in der Rubrik »noch nicht klassifizierte Fälle (Folgen)« gezählt. Für das letzte Jahr finden sich dort zwei Einträge.
Laut »Bürgerrechte & Polizei/CILIP« wurden seit der Wiedervereinigung mindestens 324 Menschen von der Polizei erschossen. Nach einem Anstieg ab 2015 sind die Zahlen zu tödlichen Polizeischüssen seit 2021 wieder rückläufig. In diesem Jahr wurden mindestens vier Menschen von der Polizei erschossen.
Weitere sieben Menschen kamen laut der CILIP-Statistik seit 2018 nach dem Einsatz eines Tasers zu Tode. Die Opfer dieser »Elektroimpulswaffen« sterben dabei an Herz- oder Kreislaufstillstand, Organversagen oder ersticken an Erbrochenem. Fast alle Tasereinsätze erfolgten innerhalb von Gebäuden, bei allen Getöteten legen die Umstände eine psychische Ausnahmesituation oder Drogenkonsum nahe.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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