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Hilferuf aus der Berliner Jugendhilfe: zu wenig Geld und Personal

Die Berliner Jugendhilfe schlägt Alarm: Hunderte protestierten vor der Senatsverwaltung gegen Kürzungen

  • Nora Noll
  • Lesedauer: 4 Min.
»Wir dürfen uns nicht spalten lassen«, ruft Jo vom Kollektiv Betriebskampf den Sozialarbeiter*innen und Jugendamtsmitarbeitenden entgegen.
»Wir dürfen uns nicht spalten lassen«, ruft Jo vom Kollektiv Betriebskampf den Sozialarbeiter*innen und Jugendamtsmitarbeitenden entgegen.

Kinder aus Pappkarton reihen sich am Dienstag vor der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie in Mitte auf. Bedruckte Papiere, an den Silhouetten befestigt, erzählen von ihren exemplarischen Problemen. »Mama haut Papa und ich haue die anderen Kinder in der Kita« steht da etwa, oder »Meine Mama ist gestorben, mein Papa kümmert sich nicht«. In Situationen wie diesen kommt die Kinder- und Jugendhilfe ins Spiel. Doch sie hat in Berlin mit Überlastung, Unterbesetzung und Unterfinanzierung zu kämpfen.

Hinter den Pappkindern haben sich Hunderte Jugendamtsmitarbeiter*innen und Sozialarbeiter*innen zu einer Kundgebung versammelt. »Wir tragen die Probleme dahin, wo sie hingehören: zu den politisch Verantwortlichen hinter mir«, ruft Verena Bieler vom Deutschen Berufsband für Soziale Arbeit (DBSH) Berlin der Menge entgegen. Darauf folgt ein Trillerpfeifen- und Klatschkonzert.

Seit Jahren schlägt die Kinder- und Jugendhilfe Alarm: zu wenig Personal, zu wenig Geld, zu wenige Einrichtungsplätze. »Aber dass so viele heute zusammenkommen, das ist besonders. Das zeigt deutlich, dass es brennt«, so Bieler zu »nd«. In ihren Augen habe der offene Brief des Kindernotdienstes für noch mehr Dringlichkeit gesorgt. Vor etwa einem Monat veröffentlichte Berlins zentrale Aufnahmestelle für Kinder in Notlagen einen Hilferuf: Kinder, die eigentlich nur maximal drei Nächte dort bleiben sollten, fänden keine Anschlusseinrichtung und blieben deshalb viel zu lange, was wiederum zu Selbst- und Fremdgefährdung führe.

Eine der Forderungen auf Bannern und Plakaten lautet deshalb: mehr Einrichtungsplätze. Doch da hört es nicht auf. Deja arbeitet in einer stationären Kinderwohngruppe und erzählt »nd«, dass eines der betreuten Kinder seit eineinhalb Jahren auf einen Schulplatz warte. »Wir haben alles durch, mit Schulen gesprochen, das Jugendamt auf unserer Seite, aber niemand möchte das Kind nehmen.« Denn es bräuchte eine gesonderte Begleitung – doch für eine Einzelfallhilfe stehen keine Gelder bereit. Deja und ihr Kollege nehmen zum ersten Mal an einer Kundgebung gegen die katastrophalen Bedingungen in der Jugendhilfe teil. »Wir arbeiten uns den Arsch ab und wenn wir aufgeben, landet das Kind in der Krise. Wir brauchen einfach mehr professionelle Kräfte.«

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Drei offizielle Forderungen stellen die AG Weiße Fahnen und der DBSH Berlin in einer gemeinsamen Pressemitteilung: ein Sofortprogramm, das direkt auf den im Herbst anstehenden Jugendhilfegipfel folgen soll, sinnvolle Kooperation zwischen Senat und Bezirken anstatt »Verantwortungsverschieberei« und eine Aufstockung der Jugendämter. Marianne Burkert-Eulitz, familienpolitische Sprecherin der Grünenfraktion im Abgeordnetenhaus, hält hingegen mehr Stellen nicht für die geeignete Lösung. »Bei den Jugendämtern wurde schon massiv aufgestockt, aber die Fluktuation ist enorm hoch und viele Stellen sind frei. Es macht sich der allgemeine Fachkräftemangel bemerkbar.« Insbesondere Stellen, die wie im Kindernotdienst mit hochbelasteten Kindern arbeiteten, blieben dann unbesetzt.

Burkert-Eulitz hält es für wichtiger, das Budget für Kinder mit einem höheren Betreuungsaufwand zu stärken. »Vor allem im Präventiven wird an der falschen Stelle gespart.« Doch zurzeit sieht es eher nach weiteren Kürzungen aus. Auch wenn der Doppelhaushalt noch nicht feststeht, hat die schwarz-rote Koalition bereits einen strikten Sparkurs angekündigt.

Als Reaktion auf voraussichtlich weniger Mittel für die Bezirke veröffentlichte Neuköllns Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD) eine Liste mit Punkten, auf die Neukölln verzichten müsste: Die Streichungen beträfen hauptsächlich den sozialen Sektor. Ein weiterer Grund, warum so viele Menschen zu der Kundgebung gekommen seien, meint Bieler. »Wir merken jetzt schon, dass Stellen nicht nachbesetzt werden, manche Bezirke haben bereits Haushaltssperren beschlossen. In Marzahn-Hellersdorf werden zum Beispiel keine Hilfen mehr eingesetzt.« Die Pressestelle des zuständigen Bezirksstadtrates Gordon Lemm (SPD) dementierte diese Information.

In Treptow-Köpenick herrscht ebenfalls Geld- und Personalmangel. Das berichtet Aaron, der als Sozialarbeiter in der mobilen Jugendarbeit bei Outreach tätig ist und für die Kundgebung nach Mitte gekommen ist. Um den Jugendförderplan nur ansatzweise zu erfüllen, bräuchte der Bezirk mehr als 700 000 Euro extra. »Wir sollten Ausflüge mit den Jugendlichen machen, aber das können wir uns nicht leisten. Den Kindern geht es immer schlimmer«, so Aaron. Die zur Verfügung stehenden Gelder müssten zudem kompliziert beantragt werden. »Anstatt uns mit kontinuierlichen Mitteln abzusichern, gibt es immer nur häppchenweise etwas aus den unterschiedlichen Töpfen.«

Dass es so nicht weitergehen kann, darin sind sich die Anwesenden einig. »Wir dürfen uns nicht spalten lassen«, ruft Jo, eine Sozialarbeiterin, die im Betriebskampf organisiert ist, in das Megafon. »Uns wird immer gesagt, die Jugendämter sind schuld, die arbeiten nicht richtig. Denen wird gesagt, wir stellen keine Plätze zur Verfügung. Das ist Schwachsinn, wir arbeiten alle an den gleichen Problemen.« Sie erntet lauten Applaus.

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