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Kindergrundsicherung: Mehr Hilfen für die Ärmsten?

Das Projekt Kindergrundsicherung stockt. Über den Zwist in der Koalition und die Frage, wer mehr Geld erhalten soll

  • Eva Roth
  • Lesedauer: 7 Min.

Die Ampel hat in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, Kinderarmut zu bekämpfen und dafür eine Kindergrundsicherung einzuführen. Das war vor gut anderthalb Jahren. Das Projekt kommt nur zäh voran, trotz großer gesellschaftlicher Unterstützung. Erst diese Woche hat die Regierung angekündigt, im August einen Gesetzentwurf vorzulegen. Wie bewerten Wohlfahrts- und Kinderschutzverbände die Pläne?

»Wir wollen mehr Kinder aus der Armut holen«, versprechen SPD, Grüne und FDP in ihrem Koalitionsvertrag. Dabei setze man »insbesondere auch auf Digitalisierung und Entbürokratisierung«. So sollen bisherige Sozialleistungen wie Kinderzuschlag und -geld, Bürgergeld für Kinder sowie Teile des Bildungspakets in einer neuen Kindergrundsicherung gebündelt werden. Diese wiederum soll aus zwei Teilen bestehen: einem Garantiebetrag für alle, der wohl in etwa dem heutigen Kindergeld entsprechen soll. Und einem Zusatzbetrag für Familien mit geringerem Einkommen.

Paus plant jetzt mit weniger Geld

Doch was heißt das konkret? Welche Kinder sollen stärker unterstützt werden, damit sie aus der Armut rauskommen? Bis heute hat Familienministerin Lisa Paus (Grüne) dazu keine Grundzüge veröffentlicht. Es gibt lediglich ein internes Eckpunktepapier vom Januar, das öffentlich wurde und viele Fragen offen lässt. Über Wochen kreiste die Debatte dann darum, ob Finanzminister Christian Lindner (FDP) die von Paus geforderten zwölf Milliarden Euro in der Finanzplanung ab 2025 berücksichtigt. Welche Kinder wie viel von dieser Summe erhalten sollen, blieb weitgehend im Dunkeln.

Diese Woche hat die Bundesregierung nun einen Finanzplan beschlossen, in dem für die Kindergrundsicherung ein »Merkposten« von nur zwei Milliarden Euro steht. Eine »präzise Kostenschätzung« gebe es noch nicht, so Lindner im »Handelsblatt«. Am Freitag sagte Paus dann dem »Spiegel«, dass sie nicht mehr zwölf Milliarden Euro an Hilfen veranschlagt: »Meine neue Hausnummer lautet zwei bis sieben Milliarden Euro.« Laut Paus existierten inzwischen auch Eckpunkte, die mit dem Kanzler abgestimmt seien. Veröffentlicht hat sie sie wieder nicht.

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Dass die Pläne weiter unter Verschluss sind, begründet Paus so: Das Projekt sei lange Zeit umstritten gewesen, insbesondere bei der FDP. »Deswegen habe ich das natürlich nicht mit allen lang und breit diskutiert, um es nicht in der Öffentlichkeit zerreden zu lassen.« Nun gab es den Zwist mit der FDP ums Geld trotzdem. Aus einem Sozialverband heißt es dazu: Hätte sich Paus für eine andere Strategie entschieden, hätte das womöglich wenig bis nichts geändert. Denn die FDP verfolge nun mal einen Sparkurs, und die Kindergrundsicherung habe für sie keine Priorität.

Zahlreiche Sozial- und Wohlfahrtsverbände sowie Gewerkschaften unterstützen dagegen eine Kindergrundsicherung, die vor Armut schützt. Dazu gehören Diakonie, AWO, Paritätischer Gesamtverband und Kinderschutzbund.

Sollen die Ärmsten mehr Geld erhalten?

Eine wichtige inhaltliche Frage ist, was die Ampel für die Ärmsten plant: Sollen die 1,9 Millionen Kinder und Jugendliche mehr Geld erhalten, deren Familien auf Grundsicherung für Arbeitssuchende angewiesen sind, also auf Bürgergeld, früher Hartz IV? Paus hat dies im April in einem SZ-Interview bejaht: »Wenn sie mit dem jetzigen Leistungsniveau bereits in Armut leben, ist es nur folgerichtig, dass sie mehr Geld erhalten müssen.«

Damit die Ärmsten mehr bekommen, gibt es folgenden Weg: Die Politik muss feststellen, dass das bisher gezahlte Bürgergeld für Kinder nicht hoch genug ist, um das soziokulturelle Existenzminimum zu gewährleisten. Denn die Grundsicherung soll nur dieses Existenzminimum abdecken, daran soll sich offenbar nichts ändern.

Sozial- und Wohlfahrtsverbände kritisieren schon lange, dass die Grundsicherung zu gering ist. Bei der Festlegung der Regelsätze für Kinder werden die Ausgaben der einkommensärmsten 20 Prozent der Haushalte zugrunde gelegt. In dieser Referenzgruppe enthalten sind beispielsweise auch verdeckt Arme, die ihre Ansprüche auf Sozialleistungen nicht geltend machen. Überdies werden nachträglich so viele Ausgaben gestrichen, dass das Existenzminimum in vielen Fällen nicht gedeckt sei, kritisiert Alexander Nöhring, Vorsitzender des Fachausschusses für Kinder, Jugend und Familie der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege.

Die Diakonie hat 2020 aufgelistet, welche Ausgaben nicht im Bürgergeld für Kinder enthalten sind. Dazu gehören etwa Ausgaben für Haustiere, Schnittblumen und Zimmerpflanzen sowie für Fahrrad-Ersatzteile. Die Ausgaben in Restaurants, Eisdielen, Imbissbuden und für Lieferdienste kürzt die Politik drastisch. »Eine auswärtige Verpflegung wird nicht als existenznotwendig angesehen«, heißt es auf der Internetseite des Arbeitsministeriums. Also kein Eisdielen-Besuch mit den Kindern.

Der Koalitionsvertrag legt nun fest, dass das soziokulturelle Existenzminimum von Kindern neu definiert werden soll. Darüber wird seit einiger Zeit offenbar auch beraten. Eine Facharbeitsgruppe befasse sich damit, teilte das zuständige Arbeitsministerium mit.

Alexander Nöhring ist dabei überzeugt: »Wenn der tatsächliche Bedarf ermittelt wird, dann kommt eine höhere Summe für das Existenzminimum heraus als bisher.« Es bestehe jetzt die Chance, »dass endlich näher bestimmt wird, was ein Kind zum Aufwachsen braucht«, sagte er dem »nd«. Umso ärgerlicher ist für viele, dass bisher offenbar kaum etwas passiert ist. Mit Ausnahme einiger deskriptiv-unverbindlicher Papiere »sind keinerlei Bemühungen des Arbeitsministeriums erkennbar«, diese Aufgabe zu erledigen, heißt es in einem Statement vom Mai, das 30 Verbände unterstützen, darunter die Volkssolidarität, Pro Familia, Bundesjugendring, AWO, Diakonie und Kinderschutzbund. Sie fordern Arbeitsminister Hubertus Heil auf, endlich mit der Arbeit daran zu beginnen.

Ob die Ampel-Koalition Kindern in der Grundsicherung am Ende tatsächlich mehr Geld gewährt, ist für Nöhring derzeit ungewiss. Das Gleiche gelte für Kinder von Familien, die nicht auf Bürgergeld angewiesen sind, aber dennoch ein sehr geringes Einkommen haben. Er bedauert zudem, dass Kinder, die Asylbewerberleistungen erhalten, nach den derzeitigen Plänen von der Kindergrundsicherung überhaupt nicht profitieren sollen.

Kinderzuschlag: Viele erhalten die Leistung nicht

Bleibt das Ziel der Ampel, »bürokratische Hürden« abzubauen, damit mehr Kinder wenigstens die Ansprüche, die sie jetzt schon haben, auch tatsächlich bekommen. Gerade der Kinderzuschlag von bis zu 250 Euro im Monat pro Kind werde oft nicht beantragt, sagt Nöhring. »Wir gehen davon aus, dass rund 60 Prozent der Berechtigten diese Leistung nicht erhalten.« Viele kennen sie nicht und der Antrag ist kompliziert. Vom Grundsatz her sollen Familien mit geringem Erwerbseinkommen diesen Zuschlag erhalten, damit sie keine Grundsicherung beantragen müssen. Auf der Internetseite der Bundesagentur für Arbeit kann man checken, ob man Anspruch darauf hat.

Wenn mehr Berechtigte die ihnen zustehenden Hilfen beantragen und erhalten, dürften sich die staatlichen Mehrkosten laut Paus auf bis zu fünf Milliarden Euro belaufen. Lindner könnte dagegen nichts tun, denn die Menschen haben darauf einen Rechtsanspruch.

Allerdings kann der Finanzminister sagen: Dann muss das Familienministerium eben anderswo sparen. Beim Elterngeld ist dies bereits geplant. Und mit Blick auf die Kindergrundsicherung insgesamt erklärte Lindner im »Handelsblatt«: »Wer etwas Neues finanzieren will, muss sagen, woher das Geld kommen soll – sprich, was nicht mehr finanziert werden soll.« Nöhring zufolge drohen bereits jetzt auch anderswo massive Kürzungen, etwa bei den Freiwilligendiensten.

Kinder aus der Armut holen und Eltern drin lassen: geht das?

Mit der Kindergrundsicherung will die Ampel explizit nur Kinderarmut bekämpfen. Aber geht das überhaupt: Kinder aus der Armut holen und ihre Eltern drin lassen? »Das ist wahrscheinlich schwierig, aber wir sollten bei den Kindern und Jugendlichen damit anfangen«, findet Nöhring. Ein Projekt in Österreich zeige, dass eine Kindergrundsicherung immerhin die Familie stabilisieren kann. Eltern hätten etwa erzählt, dass die Familie endlich einmal einen gemeinsamen Ausflug machen konnte.

Um Kinderarmut wirksam zu bekämpfen, sei indes dreierlei nötig: mehr Geld für Kinder, eine gute Infrastruktur, also etwa gute und genug Kitas, Familienzentren und Schul-Sozialarbeit. Und gute Arbeit für die Eltern, mit anständigen Löhnen und familienfreundlichen Arbeitsbedingungen, betont Nöhring. »So kommen Kinder raus aus der Armut.«

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