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  • Ausstellung »Martha Rosler: In one Way or Another«

Besuch aus Abu Ghraib

Immer politisch, ohne das Ästhetische aufzugeben: Die Frankfurter Schirn würdigt das Werk der US-Künstlerin Martha Rosler

  • Georg Leisten
  • Lesedauer: 5 Min.
Martha Rosler, »USA Deli«, Fotografie, 2015.
Martha Rosler, »USA Deli«, Fotografie, 2015.

Draußen herrscht Krieg: Fahrzeuge brennen, Menschen sterben. Aber Hauptsache, die Wohnung ist schön. Flauschige Decken und Designer-Sessel sind für die strahlende Hausherrin Grund genug, das Elend vor den Panoramafenstern zu vergessen – eine von vielen grotesken Szenen aus »House Beautiful: Bringing the War Home«. Die gleichnamige Collagenserie von Martha Rosler entstand von 1967 bis 1972 und kombiniert Aufnahmen aus dem Vietnamkrieg mit zeitgenössischen Trendmagazinen zur Innenarchitektur. Krieg als Heimkino. Weil sich auch Geschichte wiederholt, hat die US-Künstlerin das Thema über dreißig Jahre später ein zweites Mal aufgegriffen. In der Neuauflage (2004–2008) nutzte sie Material aus Afghanistan und dem Irak. Wie sich die Bilder gleichen!

Die Gegenüberstellung der beiden Werkzyklen ist gewiss einer der Höhepunkte in der Retrospektive, mit der die Schirn-Kunsthalle in Frankfurt am Main der New Yorker Künstlerin zum 80. Geburtstag gratuliert. Geboten werden vor allem Fotografien und Collagen, dazu Videos sowie installative Objekte aus fünf Dekaden kreativen Engagements. All das konzentrieren Schirn-Chef Sebastian Baden und Co-Kuratorin Luise Leyer auf vergleichsweise wenig Ausstellungsfläche. Mitunter bedecken die Bild- und Textkonglomerate in dichter Petersburger Hängung die Wände, was die Informationsaufnahme etwas anstrengend macht.

Doch die Workshop-Atmosphäre passt zum Charakter einer Künstlerin, deren frühe Arbeiten aus Flugblattaktionen gegen den Vietnamkrieg hervorgingen. Die Studentenrevolution und linke Theoretiker wie der in den USA lehrende Herbert Marcuse haben Martha Rosler politisch sozialisiert. Ästhetisch wiederum durchlief sie die visuelle Schule der Pop Art. Von dort hat sie das Interesse an Alltagskultur und ein Gespür für plakative Zuspitzungen übernommen. Obendrein war es Pop-Art-Mitbegründer Richard Hamilton, der sich dem Motivbereich Interior Design als einer der ersten über die Collage angenähert hat.

Längst gilt Rosler selbst als Pionierin, die der Konzeptkunst eine sozial- und geschlechterkritische Wendung gegeben hat. Dabei nutzt ihr Oeuvre zwar stets das Tagesgeschehen, weist aber darüber hinaus ins Allgemeingültige. So ist es wohl kein Zufall, dass sich in »House Beautiful« die geografischen Bezugsräume verwischen. Sind es verwüstete Bauerndörfer aus Südostasien oder Bagdads zerbombte Vorstädte, die da auf westliche Einrichtungsträume zwischen Couchgarnitur und freistehendem Küchenblock treffen? Vor dem Hintergrund des Ukraine-Konflikts entfaltet die sarkastische Kombinatorik sogar heute, weitere zwei Jahrzehnte später, eine aktuelle Relevanz. Stellt die zweimalige Documenta-Teilnehmerin doch die unerledigte Frage nach dem Umgang mit Krieg in der Mediengesellschaft. An der Verdrängungsmentalität derer, die von Bomben- und Raketenterror nicht betroffen sind, hat sich seit Vietnam, dem ersten »Fernsehkrieg« der Geschichte, nicht so viel geändert. Ob man das Grauen nun an einem flimmernden Röhrenbildschirm oder auf dem Smartphone verfolgt. Das Kriegsbild der Medien, sei es manipuliert oder nicht, ist immer nur ein Ausschnitt, der alles andere wegschneidet. Mehr noch: Die Wirklichkeit wird virtuell. Sie kommt aus denselben Geräten, über die auch Spielfilme oder Streamingserien in die Wohnzimmer gelangen. Rosler dagegen entlarvt die stille Komplizenschaft zwischen den politisch Verantwortlichen und den Gleichgültigen in ihrer bürgerlichen Konsumblase. Bald stapeln sich Leichen vor der Haustür, bald bekommt jemand Besuch von der Foltersoldatin aus Abu Ghraib – und niemand regt sich auf.

Auch installative Objekte setzen das groteske Nebeneinander von Genrebild und Schrecken fort. Etwa bei dem kleinen Beet, das aussieht, als hätte es ein Hobbygärtner zur Anzucht seiner Pflänzchen verwendet. Doch in das sprießende Grün ist die Silhouette einer amerikanischen B-52 eingeschnitten. Plötzlich erinnert die harmlose Freizeitbotanik an den Schattenwurf der Langstreckenbomber über dem vietnamesischen Dschungel.

Die Beschäftigung mit Fragen der Wohnkultur hat Rosler auch zu einer kreativen Kritikerin der Gentrifizierung werden lassen. Eine fotografische Langzeitbeobachtung aus Brooklyn klagt die Verdrängung kleiner Einzelhändler an. Dann kehrt die Künstlerin wieder zu den Collagen im Stil von »House Beautiful« zurück und legt die hohlen Glücksversprechungen der Immobilienindustrie bloß. Neben Luxus-Eigenheimen tun sich Abbruchhäuser auf.

Die Strategie, triviale Formate systemkritisch umzupolen, prägt auch Roslers feministische Interventionen. Indem die Klebekompositionen weibliche Reklamekörper verfremden, brandmarken sie eine Bildkultur, die Frauen stereotyp auf die Themenfelder Haushalt, Kosmetik oder Mode festlegt. Wo der Pop-Art-Kollege Mel Ramos Werbenackedeis sexistisch auskostet, dekonstruiert Rosler die Vorlagen. Wie Papierpuppen zergliedert sie die Models, klebt Hinterteile auf Haushaltsgeräte oder geschminkte Augen auf Badezimmerspiegel. Und ein aufreizender Akt räkelt sich unter einer Penicillinspritze gegen Geschlechtskrankheiten.

Noch einen Schritt weiter geht »Semiotics of the Kitchen« (1975). In Anlehnung an beliebte Koch-Shows stellt das Video in alphabetischer Reihenfolge verschiedene Kochuntensilien vor. Wenn Rosler Wörter wie »Messer«, »Nussknacker« oder »Fleischklopfer« ausspricht und dabei besagte Dinge in die Kamera hält, dann tut sie dies mit so strenger Miene, als sei es eine Kastrationsdrohung.

Gewiss, viele Referenzen sind mittlerweile historisch geworden. Trotzdem unterstreicht die Frankfurter Schau die Bedeutung von Roslers Position für die Gegenwart. Die Problemstellungen, die sie schon früh ins kreative Visier genommen hat, schreiben sich bis heute fort. Während neuere Künstlergenerationen die globalen Dauerkrisen bevorzugt im neutralen Genre der Dokumentation abbilden, beharrt Rosler auf den Grundkompetenzen des Ästhetischen: Sie verschiebt Kontexte und Bedeutungen, assoziiert, verrätselt oder übertreibt. Über die Irritation gewinnt diese um die Welt besorgte Kunst ihre Eindringlichkeit.

»Martha Rosler: In one Way or Another«, bis zum 24. September, Schirn-Kunsthalle, Frankfurt am Main.

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