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Fassade aus der Fabrik
Im thüringischen Greiz wird ein vierstöckiger Wohnblock mit seriell gefertigten Modulen klimaneutral umgebaut
Das Mietshaus ist schon in die Jahre gekommen. 1969 wurde es von der Wohnungsgenossenschaft Textil erbaut. 16 Haushalte leben eigentlich in der Schmidtstraße 12-14, zurzeit aber niemand mehr, denn der Wohnblock ist eine umfassende Baustelle. Innen werden die Grundrisse der Wohnungen neu aufgeteilt und an die geänderten Bedürfnisse der Bewohner angepasst. Im Erdgeschoss steht Ralf Strunz, Mitarbeiter der Wohnungsgenossenschaft, und blickt auf den Schacht, der gerade gemauert wird. »Das hätten wir nicht gedacht, dass der Einbau der Lifte so aufwendig ist«, sagt er und lässt seinen Blick über die Baustelle schweifen. Mit den beiden Aufzügen soll das Haus barrierefrei werden und damit auch für Senioren geeignet sein.
Der Innenausbau ist sicherlich der konventionellste Teil des Umbaus. Das Innovative an der Sanierung geschieht draußen an der Fassade. Hier bringt die Berliner Firma Ecoworks gerade eine neue Außenhaut an das bestehende Gebäude an – und zwar mit vorgefertigten Elementen, die aus einer Fabrik in Nordrhein-Westfalen mit dem Tieflader angeliefert werden. Diese Bauteile bestehen aus Holzrahmen mit einer Zellulosedämmung, zum Wetterschutz sind außen fünf Millimeter dicke Faserzementplatten aufgeschraubt. Die Elemente mit einem Höchstgewicht von 1,8 Tonnen sind an die acht Meter lang und drei Meter hoch. Durchbrochen wird die Fassade von dreifach verglasten Wärmeschutzfenstern, die bereits eingebaut sind.
An der Ostseite ist die neue Fassade bereits komplett. An der Westseite sind Arbeiter gerade dabei, das Erdgeschoss zu ummanteln. Dafür verantwortlich ist Bauleiter Jonas Goebel. Der 28-Jährige hat in Dresden studiert und kam im vergangenen Sommer zu Ecoworks. »Das hier ist eine Weltneuheit«, sagt er und meint damit, dass zum ersten Mal überhaupt ein vierstöckiges Wohnhaus seriell saniert wird.
Goebels Baubüro ist nur ein paar Schritte entfernt in einem anderen Wohnblock der Genossenschaft, im ersten Stock der Wettengelstraße 3. In diesem Aufgang gibt es nur noch eine vermietete Wohnung, alle anderen stehen leer, weil sich keine Mieter finden. Insgesamt 160 Wohnungen der Genossenschaft sind derzeit nicht vermietet, bei einem Bestand von 738. Mehrere Wohnblocks wurden wegen Leerstands schon abgerissen. Auch das Gebäude an der Wettengelstraße mit Goebels Büro soll dem Abrissbagger zum Opfer fallen.
Greiz ist eine schrumpfende Stadt. Heutzutage leben hier noch 20 000 Menschen, in den 70er Jahren waren es doppelt so viele. Die Stadt, durch die die Weiße Elster fließt, hatte früher viele Arbeitsplätze in der Textilindustrie zu bieten. Seit der Wende aber haben die meisten Fabriken dichtgemacht, die Bevölkerung ist mittlerweile überaltert. Während in den Großstädten und Ballungsgebieten bezahlbare Wohnungen dringend gesucht werden, stehen sie hier leer. Geht man durch die Innenstadt, fallen einem sofort die verwaisten Läden auf. Allenthalben kleben Schilder mit der Aufschrift »Zu vermieten« an den Schaufenstern. Es gibt ganze Straßenzüge mit Altbauten, die langsam, aber sicher verkommen.
Die Frau an der Imbissbude neben dem Fluss bringt ein dringendes Problem in der Stadt auf den Punkt: »Wenn du zum Diabetesarzt willst, musst du ein halbes Jahr lang auf einen Termin warten.« Während die Jungen wegziehen, wird für die Alten die alltägliche Versorgung ausgedünnt. So hat die örtliche Zeitung die Zustellung ihrer Papierausgabe eingestellt, weil das zu unrentabel ist, jedenfalls in den eher draußen und abseits gelegenen Ortsteilen. Dort erhalten die Abonnenten der »Ostthüringer Zeitung« seit Mai nur noch die digitale statt der gedruckten Ausgabe. Die Abonnements von rund 300 Lesern in dieser Region seien auf E-Paper umgestellt worden, berichtete die Zeitung. Dafür hatte sie kostenlose digitale Schulungen angeboten. Mit der Umstellung reagiert der Verlag Funke-Medien Thüringen nach eigenen Angaben auf die Preisexplosionen von Papier-, Produktions- und Zustellkosten. Vor allem der ländliche Raum ist davon betroffen, weil teils lange Strecken von Briefkasten zu Briefkasten zurückgelegt werden müssen.
Angesichts dieses Ausdünnens von Angeboten ist man in Greiz froh, ein derartiges innovatives Bauprojekt vorweisen zu können. Das Energieministerium von Thüringen spricht gar von einem »Leuchtturmprojekt« und einer »Premiere in Ostdeutschland«. Bei einem Baustellenbesuch im März sagte Energieminister Bernhard Stengele (Grüne): »Hier in Greiz zeigen wir, was ökologisch, technisch und sozial der neue Standard sein kann: ein klimaneutrales Wohnhaus zu 100 Prozent versorgt aus erneuerbarer Energie und zu bezahlbaren Mieten.« Greiz könne ein Muster sein für rund 6000 baugleiche Wohnblöcke in Thüringen – und wesentlich mehr in ganz Deutschland.
Bei diesen Umbauten will sich die Berliner Firma Ecoworks einbringen, die immer mehr Sanierungen übernimmt. Bisher hat sie neben der Baustelle in Greiz drei weitere Modellprojekte in Hameln, Bochum und in Mönchengladbach betreut. Dieser Tage soll in Erlangen die serielle Sanierung von 276 Wohneinheiten der städtischen Wohnungsbaugesellschaft Gewobau beginnen. Dabei wird den alten Mehrfamilienhäusern wie in Greiz eine neue Außenhaut verpasst, die mit Lasertechnik vermessen und anschließend in einer Fabrik hergestellt wird. Die Bauteile müssen dann nur noch an der Außenwand befestigt werden. Klimaneutrales Wohnen wolle Gewobau schnell ermöglichen, erläutert Geschäftsführer Gernot Küchler, und somit dauerhaft niedrige Nebenkosten für die Mieter erreichen. Besonders praktisch sei dabei, dass die Belästigung für die Mieter während der Bauphase überschaubar sei.
Ob die Mieter aber während der Sanierung wirklich in den Häusern wohnen können, wird sich erst noch zeigen. Denn in Greiz wurde die Sanierung ohne Bewohner durchgeführt, und die Erfahrungen haben gezeigt, dass es in der Realität durchaus zu erheblichen Belastungen für die Mieter kommen kann.
Die Fassadenarbeiten sind in Erlangen auch nur ein Teil der Sanierung. Die Mieter sollen darüber hinaus ein neues Bad bekommen, ebenfalls aus serieller Herstellung. Teile dafür seien bereits vorgefertigt, der Einbau dauere ungefähr einen Arbeitstag, heißt es. Weil die neuen Leitungen von außen kommen, müssen die Wände in den Wohnungen nicht aufgestemmt werden. Auch die Gasetagenheizungen werden ausgetauscht. Künftig sollen die Häuser mit Erdwärme beheizt werden. Dafür wurden in der Siedlung mehrere Löcher gebohrt, die 30 Meter tief in die Erde reichen, um die dortige Wärme zu nutzen. Die notwendigen Wärmepumpen werden durch Strom betrieben, der von Solaranlagen kommt, die auf den Dächern installiert sind. Insgesamt will das Wohnungsunternehmen einen Großteil seiner 8800 Wohneinheiten in den nächsten Jahren seriell und klimaneutral umbauen und damit zu einem Vorzeigeobjekt werden.
Ecoworks hat als Kooperationspartner den Großteil der Arbeit von der Baustelle in eine Fabrik in Nordrhein-Westfalen verlegt. Dort werden die neuen Fassadenelemente vorproduziert. Grundlage dafür sind die Messdaten eines 3D-Scans von dem Gebäude, von innen und von außen. Die so entstandene Punktewolke wird am Rechner modelliert und nach diesen Daten werden die Elemente produziert – jedes ein Einzelstück, das nur an eine bestimmte Position der Außenwand angebracht werden kann. Innerhalb weniger Wochen kann das Unternehmen Gebäude sanieren und dämmen.
Die kurze Bauzeit kann ein echter Vorteil sein. Denn um die Klimaziele der Bundesregierung zu erreichen, müssen dreimal so viele Gebäude saniert werden wie derzeit, und bei dem aktuellen Fachkräftemangel ist das Vorhaben nicht zu erreichen. Da sind sich alle einig. Schließlich fehlen im Baugewerbe in den nächsten Jahren rund 100 000 Fachleute. Mit den ausschließlich in der Fabrik gefertigten Fassaden- und Dachelementen sowie vormontierter Haustechnik könne der notwendige Arbeitsaufwand in einem Projekt um bis zu 80 Prozent reduziert werden, verspricht Ecoworks.
Noch aber passten Theorie und Wirklichkeit auf der Baustelle in Greiz nicht ganz zusammen, sagt Kati Stein, die im Vorstand der Wohnungsgenossenschaft sitzt. Sie bemängelt, dass es Differenzen zwischen den Fenstermaßen in den vorgefertigten Elementen und den Fensterlöchern in der alten Außenwand gebe, dadurch würde weniger Licht ins Zimmer fallen als berechnet, was einen erheblichen Verlust an Wohnqualität bedeute. Und dann ist da noch die Finanzierung: 2,3 Millionen Euro zahlt das Land Thüringen für das Projekt. Ohne diese Förderung wäre eine Sanierung der Schmidtstraße 12-14 wohl nicht möglich gewesen. »Die Kosten und die Planungsgeschwindigkeit müssen noch optimiert werden«, meint Stein. Aber grundsätzlich halte sie die serielle Sanierung für zukunftsfähig, auch wenn bislang nicht alle einzelnen Schritte ausgereift seien.
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