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Die Schattenseiten der »Betonwut«
54 Millionen Kubikmeter werden allein hierzulande pro Jahr produziert. Das hilft vor allem dem Kapitalismus
Auf dem Schauinsland im Schwarzwald werden im August die beiden bestehenden Windräder gesprengt. Sie sollen durch ein Riesenwindrad ersetzt werden. Da solche Anlagen häufig auf einem schmalen Betonturm stehen und auf einem dicken Fundament aus Beton ruhen, sind sie für Betonhersteller hochinteressant. Allein für das Fundament können durchaus 1000 Kubikmeter des Baumaterials benötigt werden. Was gleichbedeutend mit der Ladung von mehr als 125 Fahrmischern ist – fahrbare Betonmischer, die sogenannten Frischbeton zur Baustelle transportieren.
Solche Ereignisse dürfte Anselm Jappe mit Grausen sehen. Beton verkörpert für den deutschen Kulturkritiker »die kapitalistische Logik und stellt die konkrete Seite der Warenabstraktion dar«. Wie diese lösche auch Beton alle Unterschiede aus.
Die wirtschaftliche Bilanz der Branche wirkt angesichts dieser Generalkritik eher harmlos. Zuletzt erzielte die deutsche Betonindustrie einen Jahresumsatz von 4,5 Milliarden Euro. In 1900 Betonwerken beschäftigen rund 500 Unternehmen etwa 11 000 Menschen. Beeindruckender ist da schon die Produktionsmenge von über 54 Millionen Kubikmetern, weit mehr, als der Stausee der bekannten Okertalsperre im Harz fassen kann. Eine Rundfahrt auf dem See mit dem Motorschiff »Aqua Marin« dauert 90 Minuten.
Massenproduktion und Industrialisierung bedeuten unweigerlich vertikale Integration und Konzentration, Bürokratie und Zusammenarbeit zwischen dem Staat und den großen Betrieben, ist Jappe überzeugt. Er macht vier Hauptprobleme des Betons dingfest: die Schädlichkeit für die menschliche Gesundheit, die Folgen des massiven Abbaus von Sand und Schotter auf ihre natürliche Umgebung sowie deren Bewohner und den hohen Energieverbrauch mit entsprechendem CO2-Ausstoß.
Für sich genommen noch recht harmlos, ergibt sich die schädliche Wirkung des Betons vor allem aus der heute eingesetzten Menge. Zwischen 1950 und 2019 ist die Weltproduktion von weniger als 200 Millionen auf 4,4 Milliarden Tonnen pro Jahr gestiegen. Mittlerweile tobe die »Betonwut« im wirtschaftlich aufstrebenden Fernost noch heftiger als anderswo, schreibt der Professor an der Kunsthochschule Rom. Seit 2003 hat China alle drei Jahre mehr Beton verwendet als die Vereinigten Staaten während des gesamten 20. Jahrhunderts.
Dabei wurde schon das Pantheon in Rom mit Beton gebaut. Wenn man weiß, dass Beton lediglich aus einer Mischung von Kalk – also in Öfen gebranntem Kalkstein –, Sand, verschiedenen Zusätzen wie zerstoßene Steine und Ziegel sowie Wasser besteht, verwundert das nicht. Und warum sollte man heute darauf verzichten? Jappe gibt eine überzeugende Antwort: Ein derartiger Einwand beruhe auf der gängigen Verwechslung von Beton und Stahlbeton. Das vor 2000 Jahren errichtete Pantheon ist aus Beton – wie nahezu alle modernen Bauwerke besteht der Fahrbahnträger der 2018 eingestürzten Morandi-Brücke im italienischen Genua hingegen aus Stahlbeton, also ausgeführt mit Verstärkungen aus Eisen oder Stahl.
Stahlbeton gilt jedoch als tückisch. Wie dick die Ummantelungen auch sein mögen, im Beton tauchen im Lauf der Zeit Risse auf und erlauben dem Wasser, bis zum Eisen vorzudringen. Dieses oxidiert, bläht sich mit Rost auf und kann das Gebäude teilweise oder ganz zum Einsturz bringen. Darüber hinaus haben das Gestein und das Metall nicht denselben Ausdehnungskoeffizienten und verhalten sich sehr verschieden.
Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs war der Stahlbeton ein Baustoff unter anderen. Selbst die Wolkenkratzer waren nicht notwendigerweise darauf angewiesen. Das Empire State Building in New York, bis 1972 das höchste Gebäude der Welt, besteht aus einem Metallskelett, das mit verschiedenen Baustoffen ummantelt ist, hauptsächlich Ziegel, Stein und nicht armierter Beton. Doch getrieben von den Profiten der Bauwirtschaft reizte das programmierte Verfallsdatum der modernen Stahlbeton-Bauten.
Auch die Architektur-Avantgarde setzte darauf: Jedes Gebäude »wird hinfällig und vergänglich sein«, schrieb Antonio Sant’Eli, der Generationen von Architekten und Stadtentwicklern inspirierte, Anfang des 20. Jahrhunderts in einem Manifest. »Die Dinge dürfen nicht so lang halten wie wir. Jede Generation muss ihre Stadt bauen.« Das Auslöschen architektonischer Vielfalt und die globale Uniformierung wurden »internationaler Stil« genannt.
Jappes bitteres Fazit weist weit über die Bauwirtschaft hinaus: »Hier wie anderswo trugen die emanzipatorischen Bestrebungen der Avantgarden am Ende nur zur Modernisierung des Kapitalismus bei«, schreibt er. Beton habe die traditionellen Bauweisen verdrängt und alle Orte einander gleichgemacht. Monotonie des Materials, Monotonie der damit seriell, nach wenigen Modellen erstellten Bauten und geplante Unbrauchbarkeit wie auf dem Freiburger Schauinsland unterscheiden ihn von allen anderen Baumaterialien. Beton verwandele Gebäude in Waren und trage so zu einer Welt bei, in der wir nicht mehr zu Hause sind.
Anselm Jappe: Beton. Massenkonstruktionswaffe des Kapitalismus. Mandelbaum-Verlag, 160 S., br., 20 €.
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