Kreislauf der Gewalt in Tunesien

Die Fernsehbilder von den verdurstenden Vertriebenen haben die Weltöffentlichkeit alarmiert

  • Mirco Keilberth, Sfax
  • Lesedauer: 4 Min.
Nach der Tötung eines Mannes bei einer Schlägerei sind Bewohner der Hafenstadt Sfax mit Gewalt gegen Migranten vorgegangen.
Nach der Tötung eines Mannes bei einer Schlägerei sind Bewohner der Hafenstadt Sfax mit Gewalt gegen Migranten vorgegangen.

»Wir haben kein Wasser, bitte helft uns!« Der Hilferuf mehrerer unter einem Baum kauernder Menschen ist eines der wenigen Zeugnisse des Dramas, das sich derzeit an den Grenzen Tunesiens abspielt. Aufgenommen wurde die Szene von einem der 700 aus Subsahara-Afrika kommenden Migranten, die Mitte letzter Woche aus der Hafenstadt Sfax vertrieben worden waren. Mit Bussen hatten die Behörden der Hafenstadt die von einem Mob aus ihren Häusern geholten Menschen an die libysche Grenze gebracht und direkt am Kontrollpunkt Ras Jadir ausgesetzt. Ohne Wasser und Nahrung war vor allem die Gesundheit der über 30 Kinder in der Gruppe in Gefahr.

Ein auf der libyschen Seite der Grenze stehender Reporter des TV-Senders Al-Jazeera löste mit seinen Bildern von der an einem Strandabschnitt wartenden Menschenmenge eine weltweite Empörungswelle aus. Der Bericht des live von der Grenze berichtenden Malik Traina bewog die tunesischen Behörden immerhin zum kurzfristigen Umdenken: Nach sechs Tagen brachten Helfer der Hilfsorganisation Roter Halbmond die meisten in Schulen und Unterkünfte der Grenzstadt Ben Guerdane und der Oase Tataouine.

Doch die von Präsident Kais Saied im Februar begonnene Kampagne gegen die illegale Migration stößt im ganzen Land auf breite Zustimmung. Der örtliche Ableger der mächtigen Gewerkschaft UGGT forderte einen Tag nach der Rettung der Migranten aus der sengenden Sonne der Sahara ihre Evakuierung aus Ben Guerdane. Aus Furcht vor gewaltsamen Übergriffen wie zuvor in Sfax machten sich viele am Donnerstag zu Fuß auf den Weg in die 42 Kilometer entfernte Stadt Zarzis.

»200 Migranten kommen täglich am Stadtrand an«, berichtet der tunesische Journalist Noureddine Gantri. Der Gründer des TV-Senders Zarzis TV berichtet seit 2011 über das Phänomen der Migration entlang der tunesischen Küste. Er ist von der seit zwei Wochen andauernden Gewaltwelle gegen Migranten nicht überrascht. »Getrennt nach Herkunftsländern haben sich Interessensvertretungen gebildet, die ganz unterschiedlich mit der unter der Wirtschaftskrise leidenden tunesischen Bevölkerung zurechtkommen. Wenn es keine klaren politischen Vorgaben gibt, wie Tunesier und Migranten miteinander auskommen sollen, könnte es auch hier bald eskalieren«, fürchtet Gantri.

Doch anders als in Sfax gehört in Zarzis Migration seit Jahrzehnten zum Alltag. Jetzt im Sommer sind die Cafés an der lang gezogenen Hauptstraße voller Urlauber. Viele kamen mit dem eigenen Auto aus ihrer neuen Heimat Frankreich. »In den Sommerferien sehen viele in Zarzis, dass man auch nach illegaler Einreise in den Schengen-Raum wohlhabend werden kann«, sagt ein Cafébesitzer in Zarzis. Die Zahl der illegalen Abfahrten per Boot nach Lampedusa wird auch durch die vielen aus Sfax flüchtenden Migranten dramatisch steigen.

In Sfax trauen sich nach dem Abflauen der mehrtägigen Welle der Gewalt viele Migranten wieder auf die Straße. Da tunesische Vermieter nicht mehr an Migranten vermieten dürfen, bleibt ihnen auch nichts anderes übrig. Abends liegen Hunderte Menschen dicht gedrängt auf den Bürgersteigen. Auf selbst gemalten Plakaten fordern sie, in die Heimat ausgeflogen zu werden.

Ein junger Mann aus der Elfenbeinküste wartet im Schatten eines Baumes auf dem Beb-Jebli-Platz auf Hilfe. Im Krankenhaus habe man ihn trotz seiner offenen Wunde am Bein abgewiesen, sagt Mohamed Beilo. Bis vor den gewaltsamen Übergriffen trafen sich hier im Zentrum von Sfax die Fischer, Schmuggler und Migranten. Am Beb-Jebli-Platz begann für viele die Reise nach Europa. »Das soll durch die Gewalt jetzt gestoppt werden«, sagt der 21-Jährige Beilo. »Für mich kommt aber nur infrage, es über einen anderen Ort zu probieren.«

400 Migranten werde man täglich an die libysche und die algerische Grenze deportieren, sagte ein Lokalpolitiker Journalisten in der 330 000-Einwohner-Stadt, und täglich legen weitere Busse ab. Die Behörden bezeichnen die Kritik tunesischer und internationaler Menschenrechtsaktivisten an dem brutalen Vorgehen als unberechtigt.

Doch die Treibjagden auf Schwarze waren auch von den Angreifern gefilmt und in sozialen Netzwerken geteilt worden. Die Jugendgangs in Sfax begründen die Vertreibung der Migranten mit dem Tod eines 41-Jährigen, der zuvor offenbar mit einer Gruppe von drei Kamerunern aneinandergeraten war.

»Wir wurden von einer Gruppe von 50 Leuten auf die Hauptstraße getrieben. Sie hatten Knüppel, Schraubenzieher und Holzlatten bei sich und schlugen auch auf Frauen ein«, sagt Mohamed Beilo. Er fragt vorbeigehende Migranten nach den Bussen mit 250 Festgenommenen, die an die algerische Grenze bei Tataouine gefahren wurden. In einem der Fahrzeuge habe ein Freund von ihm gesessen, berichtet er. Doch seit die in zwei Gruppen aufgeteilten Menschen an der algerischen Grenze in der Wüste ausgesetzt wurden, ist der Kontakt zu ihnen abgerissen.

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