Der Streit um den Titel

Vor 30 Jahren endete die Ära der »Weltbühne«

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 6 Min.
»Weltbühne« vom 12. März 1929: polemisch einer im Trüben fischenden Politikerkaste gegenüber, feinsinnig angesichts der Kunst
»Weltbühne« vom 12. März 1929: polemisch einer im Trüben fischenden Politikerkaste gegenüber, feinsinnig angesichts der Kunst

Durch einen Zufall geriet ich in die letzte Nummer der »Weltbühne« vom 6. Juli 1993. Darum nach nun 30 Jahren ein Rückblick auf das Verlorene. Gegründet worden war sie 1905 von Siegfried Jacobsohn als »Schaubühne«, eine reine Theaterzeitschrift, die erst ab 1918 politischer wurde und sich »Weltbühne« nannte. Neue Autoren kamen hinzu wie Kurt Tucholsky (der unter mehreren Pseudonymen das halbe Heft im Alleingang bestritt) und Carl von Ossietzky, zwei wortmächtige Pazifisten, wie man sie heute vermisst. Feinsinnige Geister und radikale Polemiker in einer Person. Wie das zusammengeht? Gestern wie heute ziemlich einfach: polemisch einer im Trüben fischenden Politikerkaste gegenüber, feinsinnig angesichts der Kunst. 1933 wurde die Weltbühne verboten, bis 1939 erschien sie als »Die neue Weltbühne« im Exil.

Die »Weltbühne« war gerade wegen ihrer Intellektualität ein Hauptfeind der NS-Ideologie, Inbegriff dessen, was Joseph Goebbels einen »überspitzten jüdischen Intellektualismus« nannte, mit dem man – siehe Bücherverbrennung – 1933 ein Ende gemacht habe. Der NS-Chefideologe Alfred Rosenberg bekannte 1937: »Gegen die ›Weltbühne‹ und gerade gegen Tucholsky hat die NSDAP von Beginn an Tag für Tag einen Kampf geführt. Tucholsky war ein Gleichnis für die gesamte jüdische Schamlosigkeit und Frechheit der Novemberrepublik.« Frech gewiss, Hanns-Erich Kaminski etwa nennt Rosenberg Anfang der 30er Jahre in der »Weltbühne« einen »ziemlich spät zum Deutschtum erwachten Balten«.

Vielleicht resultiert der auf Vernichtung gehende Hass aber auch aus Sätzen wie jenen von Ossietzky in der »Weltbühne« vom 22. März 1932: »Von Wohlunterrichteten wird immer wieder versichert, im Reichswehrministerium wirtschaftete ein militärisches Banausentum, das, unberührt von Prinzipien bürgerlicher Politik, in der Privatarmee Hitlers nicht etwa eine Bedrohung des republikanischen Staates sieht, sondern eine gut gedrillte Truppe, die für den Fall des Falles schon verwendbar ist.«

Erstaunlich, wie verächtlich sich dann bundesrepublikanische Mediengrößen über die »Weltbühne« Tucholskys und Ossietzkys äußerten. »Spiegel«-Herausgeber Rudolf Augstein etwa schrieb 1978, die Zeitschrift zähle zu den »Totengräbern der Weimarer Republik« – das gehört zu den nicht wenigen Fehlleistungen bundesdeutscher Geschichtsschreibung.

1946 wurde die »Weltbühne« neu begründet, hier kommt dann auch Hermann Budzislawski ins Spiel, der bereits in der Exil-Zeit die Odyssee der Zeitschrift von Prag nach Paris begleitete und sie auf den Kurs der Moskauer KP brachte. Er wurde eine – in all ihrer schillernden Zwiespältigkeit – prägende Figur der frühen und mittleren Jahre des DDR-Journalismus, von 1967 bis 1972 stand er auch an der Spitze der »Weltbühne«. Darüber hat Daniel Siemens im vergangenen Jahr mit »Hinter der Weltbühne – Hermann Budzislawski und das 20. Jahrhundert« ein lesenswertes Buch vorgelegt.

In der DDR blieb die »Weltbühne« zweifellos hinter ihren kritischen Möglichkeiten zurück. Dabei war die Bereitschaft der Leser groß, sich intellektuell überfordern zu lassen (anders als heute, wo selbiges oft aggressive Reaktionen hervorruft). Die Auflage, die in der Weimarer Republik bei 15 000 Exemplaren gelegen hatte, verzehnfachte sich zu DDR-Zeiten. Und niemand wurde schließlich gezwungen zu lesen! Man hatte zwar keinen Tucholsky unter den Autoren, aber Heinz Knobloch, Lothar Lang oder Richard Christ, auch Jürgen Kuczynski, sie waren alles andere als Parteijournalisten. Es ging in der »Weltbühne« immer auch um die Rolle des Intellektuellen, seinen drohenden Verrat angesichts militanter Ideologien – ein unter DDR-Bedingungen gefährliches Terrain.

Ein dann viel zitierter Tiefschlag war 1976 die Rechtfertigung der Biermann-Ausbürgerung in der »Weltbühne« durch Peter Hacks. Er tat dies aus Hegelscher Staatsraison und reflexhafter Abneigung gegen alles plakativ Dissidentische, nicht aus SED-Konformismus heraus. Aber genauso kam es an – und im Westen kam der bis eben viel gespielte Hacks fortan nicht mehr vor. Was fehlte, waren die Gegenstimmen, jene offene Diskussion über die Unsitte des Ausbürgerns als Fortschaffen des hausgemachten Widerspruchs. Da zeigte sich der völlige Mangel an Debattenkultur in der DDR.

Die Wende brachte den Medien Aufbruchshoffnung gemischt mit Angst vor der Abrissbirne. Wie, um bei Hegel zu bleiben, wollte man die Umbruchszeit von 1990 in Gedanken fassen? Es blieb ein paradoxes Unternehmen – und manch einer ahnte, dass man hier an der eigenen Selbstabschaffung arbeitete, je besser man arbeitete. Die »NBI«, die »Wochenpost«, »Für Dich«, »Sibylle«, die »Freie Welt«, schließlich auch die »Neue Deutsche Literatur«, der »Filmspiegel«, die »FF dabei« und viele andere gingen den gleichen Weg. Vor den Zeitungen starben die Zeitschriften? Ja, aber es war ein mutwilliger Tod, denn diese Blätter waren nicht westkompatibel.

Immerhin drei Jahre blieben der »Weltbühne« noch – eine Frist für Autoren und Leser gleichermaßen, um zu verstehen, was sich im frisch vereinigten Deutschland so alles tat im Zeichen von Abwicklung und Treuhand. Überall schwanden die Orte der Selbstverständigung über die eigene Ost-Geschichte.

Wie ich in die letzte Nummer der »Weltbühne« geriet? Zwei Jahre lang veröffentlichte ich bereits gelegentlich in der sich nun auch jüngeren Autoren öffnenden »Weltbühne« – dort ließ mich Klaus Bellin, damals dort Redakteur, über Literatur und Kunst schreiben. Die Zeitschrift schien in sich gespalten. Stille Nachdenklichkeit der meisten Ost-Autoren angesichts des Scheiterns einer geschichtlichen Alternative auf der einen und unbeschwert angriffslustige linke Polemik West, die mit Interna des bundesdeutschen Politikalltags kokettierte, auf der anderen Seite.

Der kürzlich verstorbene Münchner Autor Hans Krieger schrieb in »Liebäugeln mit der Katastrophe« über Bosnien und den drohenden Krieg, die Grüne Eva Leipprand über »Achtundsechzig. Ein Scheißspiel«. Der Text hebt an: »Habe geglotzt. Hätte ich nicht tun sollen, hab ich aber.« Nun ja, Tucholsky ist das nicht gerade, eher die Einstimmung auf heute grassierende Eindeutigkeiten.

Ich selbst schrieb über Luise Rinsers »Tagebücher« und die Nordkorea-Verklärung der Autorin, nicht ohne den (allzu) gewagten Bogen zu Rudolf Bahros apokalyptischen Öko-Visionen zu schlagen, die für mich etwas Sektenhaftes hatten. Gleich nach mir kam Christine Wolter, die Autorin der »Alleinseglerin«, mit einem Text aus Mailand, wo sie bis heute lebt. Ihr Text »Avantgardia« hebt an: »Warum gibt es eigentlich so viele Kulturzeitschriften? Kein Mensch glaubt doch, daß es so viel Kultur gibt.«

Mit dem Übermaß an Kultur hat es sich in den letzten drei Jahrzehnten auch erledigt. Schlecht war diese sichtlich provisorische Gemengelage der Nachwende-»Weltbühne« keineswegs, heute würde man sagen, sie sei »entwicklungsfähig« gewesen. Unter anderen Umständen jedenfalls. Das Entscheidende aber stand auf der ersten Seite mit dem Hinweis »Nach Redaktionsschluss«. Es ist die Erklärung von Bernd F. Lunkewitz zur Einstellung der »Weltbühne«. Eine bizarre, auch nebulöse Szenerie.

Fakt ist, die »Weltbühne« war – wie jede Zeitschrift mit Niveau – hochdefizitär. Da kam dem Gesellschafter des Verlags der Weltbühne GmbH die Klage des Sohnes des Zeitschriftengründers Peter Jacobsohn auf Rückgabe der Titelrechte vielleicht nicht ganz ungelegen. In erster Instanz hatte Jacobsohn den Prozess jedoch verloren – die Chancen fürs Weitermachen der Redaktion standen gut.

Lunkewitz strebte nun überraschenderweise – so erklärte er jedenfalls – einen außergerichtlichen Vergleich mit dem 76-jährigen Jacobsohn an, der schließlich scheiterte, obwohl Jacobsohn die Titelrechte bereits zurückerhalten hatte. Lunkewitz verkündete umgehend das Aus für die »Weltbühne« nach 88 Jahren und begründete dies damit, dass er mit jemandem, der als Jude aus Deutschland emigrieren musste, »nicht streiten« wolle». Das klang für viele nach Ausflucht, denn warum sonst hatte es überhaupt einen Prozess gegeben? Helmut Reinhardt, der Herausgeber, sprach dann auch von «bösem Spiel», zu dem ihm «nichts mehr einfalle».

30 Jahre ist das nun her. Doch aktiv Gebrauch gemacht vom Titel «Weltbühne» haben die Rechteinhaber nie – damit ist er üblicherweise wieder frei. Nach «Ossietzky» und «Blättchen», den ambitionierten, aber auch bescheidenen Nachfolgeprojekten der «Weltbühne», steht diese Tür nun offen für Idealisten im Geiste Ossietzkys und Tucholskys. Eine neue «Weltbühne» bräuchten wir tatsächlich.

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