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China steigt auf, Europa steigt ab
Für die Länder Lateinamerikas ist die Volksrepublik immer wichtiger geworden. Die Bedeutung der EU dagegen schwindet.
In zwei Jahrzehnten hat China in Lateinamerika das erreicht, wozu Europa 500 Jahre brauchte», meint Enrique Dussel Peters. Der mexikanische Ökonom und China-Spezialist warnt davor, das Verhältnis Lateinamerikas und der Karibik mit China auf das «alte Lied» des Rohstoffhungers zu verkürzen, wie das in Europa und den USA häufig noch geschieht.
Bei einer Anhörung im US-Kongress im März zog Generalin Laura Richardson, die Chefin des für Lateinamerika zuständigen Southern Command, die Rohstoffkarte ganz offen: «Diese Region ist voller Ressourcen, und mich besorgen die bösartigen Aktivitäten unserer Gegner, die das ausnutzen. Sie tun so, als ob sie investieren würden, dabei extrahieren sie nur.» Allerdings sagte sie auch, China weite seinen «wirtschaftlichen, diplomatischen, technologischen, informativen und militärischen Einfluss» auf dem Subkontinent aus.
Auch Moskau mischt in Lateinamerika mit, und das nicht nur auf Kuba, in Venezuela oder in Nicaragua. So feierte Boliviens Präsident Luis Arce Ende Juni die Unterzeichnung zweier Verträge über Investitionen in Höhe von 1,4 Milliarden Dollar: Zusammen mit dem bolivianischen Staatsbetrieb YLB wollen die Rosatom-Tochter Uranium One und Citic Guoan aus China zwei Lithium-Projekte vorantreiben. Zuvor hatte das chinesische Konsortium CBC Bolivien den gleichen Betrag zugesagt. Im argentinischen La Plata soll demnächst eine Batteriefabrik mit Know-How des ebenfalls chinesischen Unternehmens Tianqi Lithium ihren Betrieb aufnehmen, demselben Konzern, der am chilenischen Großproduzenten SQM einen Anteil von 24 Prozent hält.
Nach der Jahrtausendwende lieferten Brasilien, Argentinien und Paraguay vor allem Soja nach China, im Gegenzug überschwemmten billige chinesische Konsumgüter die lateinamerikanischen Länder. Die Handelsströme vervielfachten sich von zwölf Milliarden Dollar im Jahr 2000 auf 495 Milliarden im vergangenen Jahr – und sie diversifizierten sich. Bis 2035 wird eine Verdoppelung des interkontinentalen Handels prognostiziert. Für Brasilien, Chile und Peru ist China bereits der größte Handelspartner, andere Länder Südamerikas werden folgen. Nur für Zentralamerika und Mexiko sind die USA noch deutlich wichtiger.
Für den Mercosur (Argentinien, Brasilien, Uruguay und Paraguay) hat das Wirtschaftsforschungsinstitut Ifo soeben Folgendes ermittelt: Zwischen 2011 und 2021 sind die Exporte des Mercosur nach Europa um mehr als ein Viertel zurückgegangen, der chinesische Anteil an den Gesamtexporten stieg hingegen von 2000 bis 2018 rasant an: von zwei Prozent auf 26 Prozent. Ähnlich auf der Importseite: Nach einem steilen Anstieg führte der Mercosur schon 2019 mehr aus China ein als aus Europa.
Direktinvestitionen und Kredite von Entwicklungsbanken für den Bau von Infrastrukturprojekten kamen bald hinzu. Allerdings bewegen sich die Investitionen noch auf einem bescheidenen Niveau, auf dem ganzen Subkontinent im Mittel um die zehn Prozent, weit hinter der EU (36 Prozent) und den USA (34 Prozent, jeweils 2021). Die sozialen, politischen und kulturellen Beziehungen blühen hingegen auf: So gibt es schon mindestens 36 Konfuzius-Institute.
2013 lancierte Präsident Xi Jinpingdie «Belt and Road Initiative», bekannter als «Neue Seidenstraße», das größte Infrastruktur- und Investitionsprogramm mit Fokus auf den Globalen Süden. China bietet auch in Lateinamerika und der Karibik Technologie, Finanzierung, Arbeitskräfte und andere Dienstleistungen für den Bau von Häfen, Land- und Wasserstraßen oder Staudämmen an. In mehr als 20 Ländern wurden mit chinesischem Kapital – rund 100 Milliarden Dollar – über 200 Infrastrukturprojekte gebaut, wie Dussel Peters ermittelt hat (Stand: 2022).
Umweltschutz oder die Einhaltung von Menschenrechten werden allerdings selten thematisiert, auf die Rechte der lokalen Bevölkerung zählen noch weniger als bei Großprojekten mit westlicher Beteiligung. Skeptiker*innen warnen vor neuen neokolonialen Abhängigkeiten – ohne große Folgen, denn quer durch die politischen Lager setzt man auf China. Der rechtsliberale Präsident Luis Lacalle Pou aus Uruguay etwa strebt ein Freihandelsabkommen mit dem asiatischen Riesen an. Und für Brasilien sind die BRICS, die Wirtschaftsallianz, an der auch Russland, Indien und Südafrika beteiligt sind, schon lange ein deutliches Signal für eine multilaterale Weltordnung. Die EU will nun mit ihrer Investitionsoffensive «Global Gateway» dagegenhalten. In Lateinamerika aber möchte man sich nicht zwischen China oder dem Westen entscheiden, sondern mit allen gute Beziehungen unterhalten.
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