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Europa hat Nachholebedarf
Das EU-Lateinamerika-Gipfeltreffen soll Geschäften den Boden bereiten und thematisiert Kolonialerbe
Wenn die Staats- und Regierungschefs aus der EU am Montag in Brüssel mit ihren Amtskollegen aus Lateinamerika und der Karibik zum EU-Celac-Gipfel zusammenkommen, werden sie an einem drei Meter hohen Turm aus Pappklötzen vorbeikommen, den mehr als 50 Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen errichtet haben. Der Turm soll die negativen Auswirkungen des umstrittenen Freihandelsabkommens zwischen der EU und den Mercosur-Ländern (Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay) auf die Umwelt, die Menschenrechte, die Beschäftigten und die kleinbäuerliche Landwirtschaft symbolisieren.
»Der EU-Celac-Gipfel soll die Kooperation zwischen Lateinamerika und der EU ausbauen. Die geplanten Handelsabkommen sind aber genau der falsche Weg. Sie führen zu mehr Abhängigkeiten, verschärfen die Deindustrialisierungstendenzen und treiben die Ausbeutung natürlicher Rohstoffe und den Ausbau von Monokulturen voran«, kritisiert Bettina Müller von der in Berlin ansässigen Umweltorganisation PowerShift.
Über das Freihandelsabkommen wird auf dem Gipfel eher am Rande gesprochen werden. Denn die 2011 als Gegeninstitution zur US-amerikanisch dominierten Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) gegründete Celac ist weder eine Wirtschaftsgemeinschaft noch verfügt sie über institutionelle Einrichtungen. Ihr einziges Organ sind die Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der 33 Mitgliedstaaten.
Zur Vorbereitung des Treffens – der letzte EU-Celac-Gipfel fand 2015 statt – reiste EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Mitte Juni durch Lateinamerika. Im Gepäck hatte von der Leyen die »Neue Agenda für die Beziehungen zwischen der EU und Lateinamerika und der Karibik«. Das 22-seitige Papier beginnt mit den Worten: »Die Europäische Union (EU) und Lateinamerika und die Karibik (LAK) sind natürliche Partner«. Und um diese Partnerschaft zu fördern, wurde mit der Global Gateway Initiative ein milliardenschwerer Fonds aufgelegt, mit dem die EU Investitionen in Lateinamerika und der Karibik ankurbeln und verlorenes Terrain aufholen will, wie etwa bei den für die Elektromobilität notwendigen Rohstoffe Kupfer und Lithium.
Konkrete Vereinbarungen sind von dem Gipfeltreffen kaum zu erwarten. Ein Erfolg wäre schon, wenn »ein ständiger Koordinierungsmechanismus zwischen der EU und der Celac« vereinbart wird, der »für Kontinuität und Folgemaßnahmen« sorgen soll, wie es in der EU-Agenda heißt. Allerdings dürfte um den Wortlaut der Abschlusserklärung des Gipfels heftig gerungen werden.
Dazu hatten die Celac-Staaten einen 21-seitigen Entwurf vorgelegt, in dem die EU aufgefordert wird, ihr Bedauern über die Sklaverei zum Ausdruck zu bringen. »Wir erkennen an und bedauern zutiefst das unermessliche Leid, das Millionen von Männern, Frauen und Kindern durch den transatlantischen afrikanischen Sklavenhandel zugefügt wurde«, heißt es in dem Text. Gleichzeitig sollen Maßnahmen ergriffen werden, »um die Würde der Opfer wiederherzustellen, einschließlich der Wiedergutmachung und der Entschädigung, um zu versuchen, unser kollektives Gedächtnis zu heilen«.
Vor dem Hintergrund, dass die Niederlande Ende Juni bei einer Veranstaltung zum 150. Jahrestag der Abschaffung der Sklaverei erstmals öffentlich um Verzeihung für das während der Sklaverei verübte Unrecht an Hunderttausenden Menschen gebeten hatte, wird die EU kaum um eine Stellungnahme herumkommen. Die Niederlande waren ab dem 17. Jahrhundert eine der größten Kolonialmächte. In mehr als 200 Jahren wurden geschätzt 600 000 Menschen versklavt und auf niederländischen Schiffen in die überseeischen Kolonien verschleppt, darunter auch in den heutigen Celac-Mitgliedstaat Surinam.
Gerungen wird auch um die Positionierung zum Ukraine-Krieg. Das Celac-Dokument fordert »eine ernsthafte und konstruktive diplomatische Lösung des derzeitigen Konflikts in Europa auf friedliche Weise, die die Souveränität und Sicherheit aller sowie den regionalen und internationalen Frieden, die Stabilität und die Sicherheit gewährleistet«. Dies ist nicht die klare Aussage gegen Russland als Aggressor, die die EU in der gemeinsamen Erklärung gerne sehen würde.
Einen Hinweis darauf, wer sich mit seinen Formulierungen am weitesten durchsetzt, könnte ein immer noch möglicher Auftritt des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj beim Treffen in Brüssel geben. Selenskyj war ursprünglich von der spanischen EU-Ratspräsidentschaft eingeladen worden, wurde aber auf Druck einiger Celac-Regierungschefs wieder ausgeladen. Es bleibt abzuwarten, ob es im letzten Moment noch zu einer Videobotschaft kommt.
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