An der falschen Pipeline

Lehren aus dem Heizungskampf: Lasse Thiele erklärt, wie die Grünen von links kritisierbar sind.

  • Lasse Thiele
  • Lesedauer: 3 Min.

Die mächtigste rhetorische Waffen der Konservativen im gerichtlich verlängerten Kampf um das Gebäudeenergiegesetz ist der routinierte Vorwurf, die Grünen führten hier »Klassenkampf von oben«. Auch Linke finden berechtigte Gründe, dem zuzustimmen. Doch der Modus des Kulturkampfs verzerrt den materiellen Kern des Heizkonflikts wie auch der linken Auseinandersetzung mit den Grünen.

Klar: Die Grünen machen Fehler, lassen sich als nominell progressivste Ampelpartei in nahezu jeder relevanten Verhandlung über den Tisch ziehen. Die Grünen sind der Fehler, insofern sie als hyperstaatstragende, zentristische Partei in öffentlicher wie in Selbstwahrnehmung das Limit progressiver Politik in Deutschland verkörpern. Ihre klassenpolitisch keinesfalls unschuldige Orientierung an bürgerlicher Konsensfindung lässt die Interessen des ärmsten Drittels – und marginalisierter Gruppen überhaupt, siehe Asylpolitik – regelmäßig unter den Tisch fallen, Bauchschmerzbekundungen inklusive.

Doch beim Heizungsgesetz ist es etwas komplexer. Habecks Entwurf schrieb klimafreundlichere Heizungen vor, hätte aber via Modernisierungsumlage Mieten hochgetrieben. Eigentümerinnen sollten begrenzte Zuschüsse erhalten. So weit, so neoliberal-sozialdemokratischer Alltag. Klassenkampf von oben wurde von da an zugespitzt – durch FDP, Springer, CDU und Rechtsaußen. Von ihrer Empörungskampagne versprachen sie sich den lukrativen Dank der Gasindustrie plus neues Zündholz für den Kulturkampf gegen jegliche ökologische Politikversuche. Sie kämpften natürlich nicht für sozialere Energieversorgung, sondern primär für die Freiheitsrechte der Gasheizung und höhlten so ein ungerecht gestaltetes, aber im Grundansatz sinnvolles Heizungsgesetz sozial und ökologisch aus.

Mit der Suggestion, es seien die Grünen, die kürzlich den Klassenkampf von oben erfunden hätten, lenken diejenigen, die ihn schon immer anführten, den vertikalen Klassenkonflikt auf einen fast horizontalen Kulturkampf zwischen verschiedenen Mittelschichtmilieus um. Sie greifen die Grünen gerade nicht als bürgerliche Partei an, sondern – so Klimaaktivist Tadzio Müller – als Chiffre für alles Progressive. Das zielt bewusst an Kernkonflikte wie Kostenverteilung und Industrieprofiten vorbei. Die Projektion allen Klassenkampfs auf »die Grünen« jazzt bloß die rechte Imagination links-ökologischer Bündnisse zu Wahnvorstellungen einer jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung 2.0 hoch: rotverseuchtes Habeck’sches Hafermilchkapital gegen normales Volk. Für Linke ist also nichts dadurch zu gewinnen, rechten Diskursen hinterherzulaufen, die allein Grüne für sämtliche bürgerliche Politik in Haftung nehmen. Trotzdem versuchen es einige.

Stattdessen bräuchte es eine eigenständige linke Positionierung für ein sozialeres, ökologisch konsequenteres Gesetz – um den fossilen Interessen das entgegenzusetzen, was ihnen zentristische Grüne nicht entgegenzusetzen (ver)mögen. Sie blieb trotz ehrbarer Versuche, wie von Lorenz Gösta Beutin und Maximilian Becker im »nd«, bisher kaum wahrnehmbar. Und so wurde die Mietumlage zwar im letzten Entwurf begrenzt, aber Mieterinnen müssten der jubelnden Gasindustrie unnötigerweise weiter ihre teuren Produkte – Erdgas, Wasserstoff, Biogas – abnehmen.

Als Partei der liberalen ökologischen Modernisierung vertreten die Grünen im Dauerkonflikt mit fossilen Kapitalinteressen zaghaften, selektiven, widersprüchlichen Fortschritt. Linke müssen Konflikte mit beiden eingehen, die Aufteilung knapper Energien bedeutet dabei Dilemmata. Ziel muss eine Verschiebung nach links sein: konsequenter Fortschritt, auch ökologischer. Die denkbar schlechteste linke Positionierung dagegen besteht darin, sich mit den fossilen Kräften gegen die Grünen zu verbünden. Nicht zufällig beginnt exakt dort eine veritable Pipeline von links nach rechts, an deren Eingang eine prominente Immer-noch-nicht-Ex-Linkepolitikerin winkt – zur Freude der Gasindustrie, die umso ungestörter an ihren Pipelines verdienen kann.

Lasse Thiele

Lasse Thiele arbeitet im Konzeptwerk Neue Ökonomie am Thema Klimagerechtigkeit.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.