Chinastrategie der Regierung: Ein Papier, das Gräben vertieft

Wolfram Adolphi über die Chinastrategie der Bundesregierung

  • Wolfram Adolphi
  • Lesedauer: 3 Min.

Selbstverständlich weiß die Bundesregierung Bescheid. China übe – so formuliert sie es in ihrer Chinastrategie – »auf sämtliche Kernfragen unserer Weltordnung einen entscheidenden Einfluss aus« und müsse als »unverzichtbarer Akteur für die Lösung globaler Herausforderungen« gelten. Das klingt gut, und kurz leuchtet die Hoffnung auf, es werde ein Tor geöffnet zu einem Dialog, der diesen globalen Herausforderungen entspricht. Gab es nicht auch in der Sozialdemokratie und bei den Grünen einmal Leute, die erkannt hatten, dass – wenn die Menschheit fortleben will – sie aus dem Teufelskreis von Konkurrenz, Konflikt und Krieg, in den sie infolge der kapitalistischen Produktionsweise eingeschweißt ist, ausbrechen muss? Und wäre nicht der beispiellose Aufstieg Chinas ein trefflicher Anlass, wirklich Neues zu wagen?

Aber für einen solchen Dialog ist das Strategiepapier nicht gemacht. Chinesische Quellen kommen gar nicht vor. Die 61 Druckseiten sind nicht an China gerichtet, sondern nach innen. Die Bundesregierung will sich ihrer selbst vergewissern, nicht aber mit Ideen und fantasievollen Vorschlägen, die der veränderten Weltlage angemessen wären, von sich reden machen. Und so spiegelt diese Strategie nur den Mangel an Visionen und Zielprojektionen in der Regierung wider.

Vom Frieden zum Beispiel ist erst auf Seite zwölf zu lesen. Aber nicht etwa im Sinne gemeinsamer konkreter Anstrengungen, sondern nur in der abstrakten Floskel von der »Einhaltung des Völkerrechts« als »Grundlage des Friedens«. Ebenso abstrakt wird neun Seiten später festgestellt, dass China »als Ständiges Mitglied im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen besondere Verantwortung für Frieden und Sicherheit in der Welt« trage. Und nun? Wird die Bundesregierung also künftig mit chinesischen Friedensvorschlägen zum Krieg in der Ukraine aufgeschlossen und konstruktiv umgehen? Keine Antwort.

China sei – so ist in der Chinastrategie zu lesen – für Deutschland dreierlei: »Partner, Wettbewerber, systemischer Rivale.« Dominant freilich ist das Dritte, und das ist fatal. Die »systemische Rivalität« ist die Fessel alles anderen, weil sie die irrsinnige Vorstellung nährt, es sei im Ringen um die Lösung der Menschheitsprobleme noch Platz für einen »Wettbewerb«, bei dem das eine »System« als Gewinner vom Platz gehen kann und das andere als Verlierer... ja, was denn? Von der Bildfläche verschwindet?

Das erklärt die Bundesregierung nicht, denn selbstverständlich sieht sie sich als Teil des Gewinnersystems – und füttert entsprechend bedenkenlos den uralten Dünkel, wonach Deutschland »das Gute« verkörpere und China »das Böse«. Unablässig »mit Sorge« etwa sehe sie, wie China versuche, »die internationale Ordnung entlang der Interessen seines Einparteiensystems zu beeinflussen und dabei auch die Grundfesten der regelbasierten Ordnung, wie beispielsweise die Stellung der Menschenrechte, zu relativieren«. Es missfalle der Bundesregierung außerdem, wie China »das Verhältnis zu Russland« ausbauen will und schließlich gar »im Indo-Pazifik immer offensiver eine regionale Vormachtstellung« beanspruche: ausgerechnet dort, wo es doch »deutsches Interesse« sei, »globale öffentliche Güter nachhaltig zu schützen«, weshalb man die »sicherheitspolitische und militärische Zusammenarbeit zu engen Partnern« in dieser Weltregion »ausbauen« werde zur »Wahrung der regelbasierten internationalen Ordnung«. Mit »engen Partnern«. Gegen China.

Wolfram Adolphi

Wolfram Adolphi beschäftigt sich seit seinem Studium in den 1970ern Jahren mit der Geschichte und Gegenwart Chinas. Er hat zum Thema publizert, darunter das Buch »Mao. Eine Chronik«.

Eine »systemische Rivalität«, die stets den Keim des Krieges in sich trägt, ist keine zukunftsfähige Strategie. Der Westen hat zweihundert Jahre lang versucht, China seinen Interessen gefügig zu machen. Manchmal schien es, als sei es gelungen. Jetzt aber ist eine neue Zeit. Die Chinastrategie der Bundesregierung läuft dieser Zeit weit hinterher.

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