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  • Doku »Rocco und seine Brüder – Radikale Aktionskunst aus Berlin«

Performancekunstpaket am Primärmedium

Das Berliner Kunstkollektiv »Rocco und seine Brüder« bricht Gesetze, um öffentliche Räume mitzugestalten. Eine ARD-Doku begleitet sie dabei

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 4 Min.
Genial illegal: Rocco und seine Brüder
Genial illegal: Rocco und seine Brüder

Hausfriedensbruch, Sachbeschädigung, Gefährdung des Straßen- oder Schienenverkehrs und ohnehin ein, nun ja, eher variables Unrechtsbewusstsein: dieses Kunstkollektiv bricht so lustvoll Gesetze, dass es im Dunstkreis bierschwangerer CSU-Stammtische mindestens als kriminelle Vereinigung gilt, schlimmer als die Mafia, das Gendern, ach was: Hitler himself. Die Filmemacher Lukas Ratius und Philipp Majer sollten Bayern daher künftig meiden, nachdem ihre Dokumentation über die Streetart-Legenden »Rocco und seine Brüder« auf der ARD gesendet wurde. Markus Söder ließe sie sonst womöglich in Beugehaft nehmen, um die Klarnamen der Protagonisten rauszurücken.

Das Pseudonym »Rocco und seine Brüder«, das sich die vier, fünf Berliner nach einem Drama des homosexuellen Kommunisten Visconti ausgesucht haben, dürfte Bayerns Bierzeltkönig noch rasender machen als der gleichnamige Doku-Film, in dem Ratius und Majer ihrem Rechtsverständnis nachspüren. 40 Minuten folgt das Duo dem (nicht verschwisterten) Kunstkollektiv durch, besser: unter die Hauptstadt. Und was sie dokumentieren, ist so wunder- wie strafbar, vorbild- und verwerflich.

Zu Beginn: ein »Performancekunstpaket« am »Primärmedium«, wie die Aktionskünstler ihre »illegale Zugumgestaltung« umschreiben. Ob Ratius und Majer »Roccos Brüdern« durch ein präpariertes Baustellenklo vorm Ordnungsamt in Berlins Kanalisation folgen, bleibt offen. Aber wenn die weltbekannte Graffiti-Crew mit Kopfkameras filmt, wie sie eine U-Bahn in 250 Sekunden blau grundiert und »Dixie Kings« drübersprüht, sind die Grenzen zwischen Kunst und kriminell so fließend, dass erkennbare Personen gut daran täten, außen vor zu bleiben.

Illegalität ist schließlich nicht nur Teilaspekt, sondern Selbstzweck der Ausdrucksform unbefugt veränderter Stadtlandschaften. Urbane Lebensräume, sagen die vermummten Brüder mit verzerrter Stimme mal in der Minigolfanlage, mal auf der Bundeskegelbahn, seien hermetisch versiegelte Besitztümer, an denen Staat und Kapital Eigentumsrechte besitzen, die künstlerische Interventionen meist in den Bereich der Gesetzwidrigkeit verschieben.

Wenn sie ihr Primärmedium mithilfe unzähliger Sprühdosen – aus besitzstandsbürgerlicher Sicht – beschädigen, ist das somit juristisch ebenso verboten wie all die anderen Performancekunstpakete an Sekundärmedien, denen wir bei der Entstehung zusehen. Ein Lieferauto von Amazon zum Beispiel, das als mobiles Mahnmal gegen Kommerz und Bezos zerstört in der Fußgängerzone landet. Oder Plakatwände, deren Konsumtipps mit Slogans wie »boykottairbnb« beklebt wurden, auch Adbusting genannt.

Damit erobern unkommerzielle Kunstkollektive käufliche Zonen zurück, was der Film in einer Mischung aus Musikvideo und Guerilla-Reportage bebildert. Unausgesprochen, aber offensichtlich fragen die zwei Filmemacher nämlich, wer eigentlich delinquenter handelt: eine Oberschicht (einfluss-)reicher Investoren, die kein noch so ausgefeilter Bebauungsplan daran hindert, aus Lebensräumen betonierte Folterkammern marktwirtschaftlicher Funktionalität zu machen, oder diejenigen, die sie durch radikale Kunst ab-, also aufzuwerten.

Die Antwort gibt ein Rechtssystem, das seit der Magna Charta vor fast 800 Jahren vor allem ein Ziel verfolgt: Eigentum an Herrschaftsgütern, Herrschaftsorten, Herrschaftswissen zu schützen. »Roccos Brüder« dabei zu beobachten, wie sie die legale Ungerechtigkeit tendenziell spendenfinanziert unterwandern, ohne daran zu verdienen, ist da nicht nur ein (viel zu kurzer, aber sehr, sehr großer) Spaß; es bietet den Besitzlosen dieser Eigentumsgesellschaft ein Forum, ohne deren Dialektik zu ignorieren.

Denn natürlich steht ein Zweifel im Raum: Wenn das alle machen? Wenn alle also das Pflaster mit politischer Botschaft – und sei sie noch so edel – aufreißen? Wenn sich alle herausnehmen, das Vorrecht formell legaler durchs Faustrecht allenfalls legitimer Aneignung zu ersetzen? Denn »natürlich ist das ein egoistischer Sport«, sagt Rocco über seinen »Spielplatz«, den er im »Wertesystem unserer Parallelgesellschaft« mitgestaltet und ARD-Zuschauern nun Anlass zur inneren Debatte über die Grenzbereiche von legal und legitim gibt. »Ich zwinge den Leuten ja meine Sicht der Dinge auf«. Mit Selbstkritik statt Ignoranz zwar, Humor statt Profitinteresse und Altruismus statt Egomanie, aber höchst dialektisch.

So sehr, dass die etablierte Urban Art Biennale des Weltkulturerbes Völklinger Hütte »Roccos Brüder« eingeladen hat. Was wiederum erklärt, wieso der Saarländische Rundfunk eine Berliner Aktionskunstbande porträtiert.

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