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Der klare Blick von Thomas Plenert
Zum Tod des Kameramanns Thomas Plenert, der mit den großen Dokumentaristen filmte
Er gehörte zu denen, ohne die Kino nicht geht: Er lenkte mit seiner Kamera den Blick des Zuschauers und bestimmte, was der sehen sollte. Die Bilderwelten des Kameramanns Thomas Plenert blieben unbestechlich: scharf, genau, anteilnehmend. Und stimmungsvoll, nicht nur bei den vielen Landschaftsszenen, die er für den Spätromantiker Volker Koepp drehte: etwa in »Kalte Heimat« (1995), für den er den Deutschen Filmpreis erhielt. Eine hingebungsvolle Bestandsaufnahme des Lebens im früheren Ostpreußen, der heutigen russischen Enklave um Kaliningrad – mit viel, sehr viel Landschaft und wechselndem Wetter, wurde da von Plenert in ihrer Schönheit und Schroffheit und Gefährdung eindrücklich ins Bild gesetzt. Koepps Film »Herr Zwilling und Frau Zuckermann« (1998) wurde zum Publikumsliebling, nicht nur, weil die beiden jüdischen Protagonisten mit Witz und Melancholie über die Zeiten meditierten, sondern auch, weil Plenert ihnen mit Geduld und großer Sympathie einfach in ihre Gesichter sah.
Mit Koepp hat er über die Jahre viele Filme gemacht. Aber ebenso hat er mit anderen Könnern des Dokumentarfilms gearbeitet. Mit Jürgen Böttcher hat er »Rangierer« (1985) gedreht: eine winterliche Arbeitsnacht in einem Dresdner Rangierbahnhof, in der kein Wort gesprochen wird und man nur die rollenden Güterwaggons sieht (und hört – mit ihrem Geklirr auf den Schienen und Weichen), wie sie sich zusammenfügen zu neuen Zügen – zwischen ihnen die Rangierer, die die Abfolge der Waggons dirigieren und das Tempo bestimmen. Nüchtern, beinahe kalt sah Plenert zu. Ein schneidend scharfer Blick in eine besondere Arbeitswelt.
Böttchers »Kurzer Besuch bei Hermann Glöckner« (1985) ist ein Meisterwerk des filmischen Beobachtens, das die Besonderheit dieses Dresdner Künstlers einfängt: Wie da ein zartgliedriger Greis mit dünnen Fingern ein spitzwinkliges Gebilde faltet und zum Spiel mit der Phantasie einlädt. Zu nennen sind auch »Die Mauer« (1990), eine Langzeitbeobachtung zum Ende dieser Grenze und »Poters Stier (1984), Böttchers Experimentalfilm-Triptychon mit raffinierten Übermal-Bildern.
Mit einem anderen markanten Experimentalfilmer, Lutz Dammbeck, drehte Plenert unter anderem »Das Meisterspiel« (1998) und »Zeit der Götter« (1992) – Varianten über Architekturen und deren Missbrauch. Annekatrin Hendel engagierte ihn für ihre Dokumentarfilme, so für »Familie Brasch« (2018) über eine exemplarische DDR-Funktionärsfamilie.
Plenert hat aber auch Spielfilme gedreht. Lothar Warnekes »Die Beunruhigung« (1981) über die Krebserkrankung einer jungen Frau und »Eine sonderbare Liebe« (1984) über die komisch-melancholische Beziehung zweier älterer Menschen, die einen gemeinsamen Neuanfang probieren wollen, gewannen auch durch die Blicknähe Plenerts viel Zuschauerzustimmung.
Am vergangenen Samstag ist Thomas Plenert in Mecklenburg gestorben. Er wurde 72 Jahre alt. Wenn man jetzt sein Werk überblickt, bemerkt man mit Staunen, wie fleißig er war: in rund 45 Arbeitsjahren nahezu hundert Filme. Und keiner, in dem er aus Zeitdruck oder Budgetzwängen oder Produktionseile geschludert hätte. Auf ihn war immer Verlass. Er hatte eine solide Ausbildung erfahren: an den renommierten Filmhochschulen von Babelsberg und Łódź, dann arbeitete er bis zum Ende bei der Defa in Babelsberg. Er beherrschte perfekt (und liebte!) das Kinoformat, die große Leinwand. Munter sprang er zwischen allen Formaten der modernen Medien hin und her, nur die Miniplayer mied er.
Bei den heutigen Kürzest-Schnitten und der Atemlosigkeit der Einstellungen hat es seine Ästhetik schwer. Doch gerade seine Bilderwelten sind unverwechselbare, äußerst reizvolle Bestandteile einer zeitgenössischen Bildsprache. Und das bleibt.
Am 21. Juli läuft Helke Misselwitz' Film »Winter Adé«, für den Thomas Plenert die Kamera geführt hat, im Autokino Zempow, Wittstock/Dosse, Brandenburg
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