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Daumen hoch für den Frieden
Seit 1. September veranstaltet der Linke-Ortsverband von Erkner donnerstags eine Mahnwache
In der Nacht zum Donnerstag schlagen in den am Schwarzen Meer gelegenen ukrainischen Hafenstädten Odessa und Mykolajiw russische Marschflugkörper und Drohnen ein. Sie treffen in Mykolajiw unter anderem Garagen und ein Wohnhaus. Die Geschosse töten einen Menschen und verletzen 18. Neun Verletzte müssen ins Krankenhaus eingeliefert werden, darunter fünf Kinder. Auf der anderen Seite wird in einer Ortschaft im Nordwesten der 2014 von Russland besetzten Halbinsel Krim eine Jugendliche durch eine Drohne getötet.
Mehr als 2000 Kilometer entfernt im brandenburgischen Erkner geht vom Park hinter dem Rathaus der Blick auf den Dämeritzsee. Bei herrlichem Sommerwetter sind einige Boote unterwegs. Die Gegend ist ein beliebtes Wassersportrevier. Auf der Friedrichstraße vor dem Rathaus bilden sich im Berufsverkehr sonst regelmäßig Staus. Heute jedoch kommen die Autos vergleichsweise gut durch. Es muss daran liegen, dass viele Familien in den Urlaub verreist sind.
Die Linke in Erkner profitierte in den vergangenen elf Monaten in einer Hinsicht von den Staus. Seit dem 1. September 2022 stellen sich die Genossen jeden Donnerstag ab 17 Uhr zu einer halbstündigen Mahnwache für den Frieden vor das Rathaus. Was ursprünglich als einmalige Aktion zum Weltfriedenstag gedacht war, entwickelte sich zu einem Engagement, für das es einen langen Atem braucht. Im stockenden Verkehr haben die Autofahrer Zeit, sich umzusehen und die Aufschrift auf dem Transparent zu lesen. »Panzer schaffen keinen Frieden«, steht darauf. »Viele Autofahrer reagieren mit Hupen, Zurufen und Daumen hoch«, erzählt Michael E. Voges, Vorsitzender des Ortsverbands. Dieser Zuspruch motivierte, die Mahnwachen im Wochenrhythmus fortzusetzen. Jeweils um die 18 bis 22 Menschen beteiligten sich bis Ende vergangenen Jahres. Nach einer Pause im Januar waren es dann etwas weniger. Diesen Donnerstag machen vier Männer und drei Frauen mit.
Auch ohne Stau gibt es positive Reaktionen. Zu Fuß kommt eine Frau vorbei und erkundigt sich, ob sie hier irgendetwas für den Frieden unterschreiben könne. »Nein, aber Sie können sich gerne dazustellen«, antwortet Voges freundlich. Dafür fehlt der Frau leider die Zeit. Sie müsse in zehn Minuten ihren Enkel abholen, sagt sie. Doch bevor sie weitergeht, reckt auch sie den Daumen hoch und erklärt: »Ich finde es gut, dass ihr das macht.«
Die Aktion gefällt freilich nicht jedem: Ein Mann baut sich vor der Mahnwache auf und will wissen: »Warum demonstrieren Sie nicht dafür, dass Russland seinen Angriff auf die Ukraine einstellt?« Der Mann bringt das in einem verärgerten Ton vor. Es ist offensichtlich, dass er den Verdacht hegt, er habe es mit Anhängern des russischen Präsidenten Wladimir Putin zu tun, die dessen Vorgehen rechtfertigen oder sogar unterstützen wollen. Das ist aber nicht der Fall. Die Genossen wünschen sich sehnlich, dass dieser Krieg aufhört. Das versucht Ursula Paape, die mit Voges die Doppelspitze im Ortsverband bildet, dem Mann begreiflich zu machen. Doch dieser hört ihr gar nicht richtig zu und geht davon.
»Ja, auch das kommt vor«, bestätigt Voges. »Einmal hat uns eine Ukrainerin sehr emotional vorgeworfen, wir würden ihre Heimat im Stich lassen, wenn wir gegen Waffenlieferungen seien. Menschlich ist das natürlich verständlich. Aber wir glauben nun einmal nicht, dass Panzer Frieden schaffen.« Es brauche endlich ernsthafte Friedensverhandlungen.
Davon abgesehen verweisen Voges und seine unentwegten Mitstreiter darauf, dass sie hier ganz generell für den Frieden stehen und nicht nur wegen der Ukraine. Schließlich gibt es weltweit noch andere militärische Auseinandersetzungen. Es ist bitter, dass deutsche Firmen an Rüstungsexporten und damit am Leid der Zivilbevölkerung verdienen. Darum wollen die Sozialisten weiter jeden Donnerstag am Rathaus stehen – bis Frieden herrscht oder wenigstens die deutschen Rüstungsexporte aufhören. Ob sie manchmal das Gefühl haben, ihr Tun sei vergeblich? »Ich nicht«, betont die Stadtverordnete Elvira Strauß. Voges ergänzt: »Und wenn es vergeblich wäre, so müssten wir es doch tun.«
Anlass zum Schmunzeln gibt eine Aufforderung von Paape, sich mit dem Transparent in einer geraden Linie aufzustellen. Denn eine klare Linie scheint es sonst in der Linkspartei kaum noch zu geben. »Bei uns in Erkner schon«, versichert Paape bestimmt. Paape und Voges und die anderen sind »sehr unzufrieden mit dem Bundesvorstand«, wie sie sagen. Voges vermisst eine klare marxistische Positionierung. Einen Grund zur Spaltung sieht er indes nicht. Ideologische Auseinandersetzungen habe es in der Arbeiterbewegung schon vor 100 Jahren gegeben. Wenn nur eine konsequente Politik herauskommen würde, meint Voges. »Die Landtagsfraktion macht eigentlich einen ordentlichen Job«, lobt er. »Die kümmern sich, auch wenn sie nicht jeden Tag vor der Tür stehen können.«
Voges ist zugezogen. Er stammt aus Zehlendorf in Westberlin, war Amtsrichter und Anfang der 70er Jahre Sozialdemokrat. Inzwischen ist Voges pensioniert und Sozialist, wird diesen Samstag 72 Jahre alt. 41 Mitglieder zählt sein Ortsverband. Dazu kommen gut 20 Sympathisanten, die sich einbringen. Die Linksfraktion in Erkner besteht aus sieben Stadtverordneten und sieben sachkundigen Einwohnern. Die Mehrzahl von ihnen ist parteilos.
Friedenskundgebungen organisieren Linke an vielen Stellen in Brandenburg. Dass es aber anderswo eine derart kontinuierliche Mahnwache geben würde, ist Voges nicht bekannt. Landesgeschäftsführer Stefan Wollenberg fallen da nur Mahnwachen in Königs Wusterhausen ein. In Dahme-Spreewald erläutert der Kreisvorsitzende Michael Wippolt, es gebe mittlerweile die 53. Auflage. Man treffe sich donnerstags um 18 Uhr in der Bahnhofstraße von Königs Wusterhausen. Veranstalter sei ein Bündnis, an dem Die Linke beteiligt sei. Davon hat Bundesgeschäftsführer Tobias Bank auch schon gehört. Außerdem sind ihm die Mahnwachen in Brandenburg/Havel bekannt. Auch hier steht ein Bündnis dahinter. Weitere derart regelmäßige Friedensaktionen sind ihm nicht zu Ohren gekommen. Zumindest besinnt er sich auf die Schnelle nicht darauf. Bank betont, dass der Bundesvorstand zur Beteiligung an Friedensaktionen aufrufe und auch selbst solche Aktionen mitorganisiere. Wenn er es schafft, will Bank dieses Jahr wieder zum Hiroshima-Gedenktag an der Friedensglocke im Berliner Volkspark Friedrichshain kommen. Dort wird an die Opfer des Atombombenabwurfs am 6. August 1945 erinnert.
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