Großbritannien: Stimmungstest geht in die Hosen

Britische Konservative mit Niederlagen bei Nachwahlen

  • Ian King, London
  • Lesedauer: 3 Min.

Labour hat Grund zur Vorfreude auf die britischen Parlamentswahlen 2024: Zwei von drei als todsicher geltenden Tory-Wahlkreise – Selby und Ainsty in Nord-Yorkshire und Somerton und Frome im westenglischen Somerset – konnte die sozialdemokratische Labour-Partei bei den Nachwahlen für sich verbuchen. Den sensationellen Labour-Sieg in Selby schaffte Keir Mather, mit 25 jetzt der jüngste Unterhausabgeordnete. In diesem ländlichen und von vielen Pendlern bewohnten Wahlkreis hatte der bisherige Tory-Bannerträger Nigel Adams 2019 satte 60 Prozent der Stimmen geholt, sich aber lieber als »Boris Johnsons Macher« denn als Lokalmatador profiliert. Als sich seine Hoffnung auf einen Oberhaussitz auf Lebenszeit trotzdem zerschlug, trat Adams pikiert zurück und bahnte Labours Mather den Weg. Damit überwand der Labour-Jungstar die größte konservative Nachwahlmehrheit in der neueren Parteigeschichte. Auch Rishi Sunaks Wahlkreis befindet sich in Nord-Yorkshire.

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Nur im ehemaligen Boris Johnson-Wahlkreis Uxbridge und Süd-Ruislip konnte Rishi Sunaks Partei sich mit hauchdünner Mehrheit behaupten. Der vom Wahlvolk geohrfeigte Premier hofft tapfer auf einen Meinungsumschwung bis zu den Wahlen 2024. Vergebens?

In Somerton und Frome hatten die Liberalen bis 2015 das Mandat gehalten, waren jedoch nach der unbeliebten Koalition mit David Camerons Tories diskreditiert. Hier holte die örtliche Stadträtin und Landwirtin Sarah Dyke den Wahlkreis zurück, den vierten Nachwahlsieg für Ed Daveys Partei in dieser Wahlperiode. Der Rücktritt des Tory-Vorgängers David Warburton, der durch Kokainmissbrauch und Frauenbelästigung kompromittiert war, hat sicher zur Niederlage der Regierungspartei beigetragen.

Einziger Lichtblick für die Konservativen blieb das Ergebnis im West-Londoner Vorort Uxbridge. Hier haben die Tories am Anfang der Kampagne es nicht gewagt, den Parteinamen auf ihre Flugblätter zu drucken, sondern die durch Johnsons Rücktritt notwendig gewordene Nachwahl zum lokalen Volksentscheid im Autopendler-Vorort gegen die neue Saubere-Luft-Richtlinie des Londoner Labour-OB Sadiq Khan hochstilisiert. Dadurch sollen Besitzer alter, luftverpestender Benziner und Dieselautos, die die öffentliche Gesundheit gefährden, mit 12,50 Pfund (14,44 Euro) pro Tag zur Kasse gebeten werden – oder eben ein neueres Fahrzeug erwerben. In diesen größtenteils durch Brexit und Tory-Misswirtschaft verursachten Umwelt- und Finanzkrisen fehlt jedoch vielen das dazu nötige Geld. Sie schlugen auf den Labour-Sack statt auf die Tory-Gärtner.

Labour-Chef Starmer verspricht, über die Maut für Luftverschmutzer nochmals nachzudenken, frohlockt jedoch über den Sieg in Selby; Sir Ed Davey sieht ein neues liberales Morgenrot in Südwest-England dämmern. Sunak muss insgeheim seine fünf Wählerversprechen bereuen. Die Inflationsrate wird bis Jahresende nicht halbiert, das Wachstum nicht angekurbelt noch die Staatsschulden verringert, die Wartelisten für Operationen in überlasteten Krankenhäusern nicht reduziert werden und auch die Anzahl der Bootsflüchtlinge bleibt trotz aller Beschwörungen der rabiaten Innenministerin Suella Braverman hoch. Dass legale Einreisemethoden hier helfen könnten, scheut Braverman wie der Teufel das Weihwasser, weil sie sich als Sunaks allzu rechte Nachfolgerin profilieren will. Dass Flüchtlinge überhaupt Menschen sind, kommt vielen Konservativen nicht in den Sinn.

Fazit: Premier Rishi Sunak scheint bisher unfähig, die Wähler zu begeistern, aber Labour hat sie noch nicht von den eigenen Meriten überzeugt, so der mit den Sozialdemokraten sympathisierende linksliberale »Guardian«. Der Premier kann seine politische Linie nicht ändern, ohne sich endgültig zu blamieren, sondern höchstens sein Kabinett umbilden, genug Nieten sitzen drin. Starmer hat die Chance, seine allzu vorsichtige Finanz- und Sozialpolitik zugunsten von radikaleren Vorschlägen aufzulockern, die bei Parteilinken keine Mangelware sind. Auf zu den nächsten Wahlen!

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