- Politik
- Flucht
Vom Kirchenasyl in den Abschiebeknast
Stadt Viersen stoppt nach Protesten in letzter Minute Abschiebung kurdischen Paares nach Polen
Das Kirchenasyl ist eine Einrichtung, deren Unverletzlichkeit die deutschen Behörden bislang in der Regel respektierten. Die Ausländerbehörde der Stadt Viersen brach diese Regel. Der Vorfall, bei dem ein kurdisches Ehepaar am 10. Juli in einem Gemeindehaus in Nettetal-Lobberich (Nordrhein-Westfalen) festgenommen und in die Abschiebehaftanstalt im hessischen Darmstadt gebracht worden war, sorgte über die Region hinaus für Schlagzeilen. Nach heftigen Protesten revidierte die Stadt Viersen am Montagnachmittag faktisch in letzter Minute ihre Entscheidung, die sie noch Ende vergangener Woche als alternativlos verteidigt hatte. Das Ehepaar sei soeben aus der Abschiebehaft entlassen worden, sein Asylgesuch werde nun erneut geprüft, hieß es.
Das Paar sollte ursprünglich am Dienstag nach Polen abgeschoben werden. Es war aus dem Irak über Polen nach Deutschland geflüchtet. Die Hilfsorganisation Pro Asyl, das Ökumenische Netzwerk Asyl NRW und die Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche hatten dagegen am Montag in einer gemeinsamen Erklärung abermals scharf protestiert und die Stadt Viersen aufgefordert, die Abschiebung zu stoppen.
Noch am Montagnachmittag hatte das Verwaltungsgericht Düsseldorf einen Eilantrag gegen die Rückführung des Paares nach Polen abgelehnt. Wenige Stunden später die Kehrtwende: Die Eheleute durften die Abschiebehaft in Darmstadt verlassen – und haben die Gewissheit: Ihr Antrag auf Asyl wird in Deutschland geprüft, nicht in Polen, wo sie nach eigener Aussage Gewalt von polnischen Sicherheitskräften erlebt haben und unmenschlich behandelt worden seien. Sabine Anemüller (SPD), die Bürgermeisterin von Viersen, hatte die Abschiebung gestoppt.
Für Empörung bei der Evangelischen Kirche hatte die Tatsache gesorgt, dass die Mitarbeiter der Ausländerbehörde das Gemeindehaus unangekündigt durchsucht und dabei das Ehepaar festgenommen hatten. Die beiden hatten Ende Mai Zuflucht in der Gemeinde gesucht, weil ihnen die Abschiebung drohte. Dietlind Jochims, Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche, erklärte am Montag: »Der Bruch des Kirchenasyls in Nettetal betrifft uns als bundesweite Kirchenasyl-Bewegung mit. Ein gewaltsames Eindringen in einen kirchlichen Schutzraum und Gewalt gegen die dort Schutz suchenden Menschen widerspricht eklatant dem, worauf Kirchen und Staat sich bei allen inhaltlichen Differenzen zum Thema Kirchenasyl geeinigt hatten: Transparenz und das Suchen nach humanitären Lösungen.« Jochims forderte neben der umgehenden Entlassung des Paares aus der Abschiebehaft eine »gründliche Aufarbeitung dieses behördlichen Vorgehens«.
Am Montag hatte sich auch Christiane Böhm, Abgeordnete der Linksfraktion im hessischen Landtag empört über den Vorgang geäußert und die hessische Landesregierung von CDU und Grünen aufgefordert, die Abschiebung zu stoppen. »Dass die traumatisierte Ehefrau, die am Flughafen Düsseldorf kollabiert ist, nun im Abschiebeknast in Darmstadt einsitzt, zeigt deutlich, wie gnadenlos deutsche Stellen mit Geflüchteten umgehen«, erklärte Böhm. Nicht einmal ein herbeigerufener Notarzt habe die Frau behandeln dürfen, kritisierte sie.
Die Evangelische Kirche im Rheinland hatte vergangene Woche in einem Brief den Bruch des Kirchenasyls verurteilt. Am Freitag hatte das Ökumenische Netzwerk Asyl vor der Ausländerbehörde Viersen eine Mahnwache abgehalten und den Stopp der Abschiebung gefordert. In Nordrhein-Westfalen gibt es nach Angaben des Netzwerks derzeit rund 140 laufende Kirchenasyle. 98 Prozent davon hätten mit einer Bleibeperspektive für die Betroffenen beendet werden können. Die Räumung von Kirchenasylen sei äußerst ungewöhnlich. Die Viersener Behörde habe mit ihrem Vorgehen »eine rote Linie überschritten«, heißt es in einer Presseerklärung des Netzwerks. Die Stadt Viersen hatte noch am Freitag erklärt, die Ausländerbehörde müsse sich an die Vorgaben des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge und an Gerichtsentscheidungen halten.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.