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Neuerscheinungen, annotiert: Dub, Weltraumpiraten, Wiglaf Droste, Ann Cotten und Clemens Schittko
Die Welt in Dub
Dub, die musikalische Praxis mit Echo und rhythmisierter Reduktion, kommt aus dem jamaikanischen Reggae und hat die Popmusik weltweit revolutioniert. Mit »Dub Konferenz« hat der Journalist Helmut Philipps die Geschichte dieser Musik, die mehr Technik als Stil ist, nachgezeichnet und mit Zeitzeugen gesprochen. Dub entstand als exklusives Bonusmaterial für DJ-Teams, für die Aufnahmestudios spezielle Soft-Wax-Schallplatten herstellten, die man nur wenige Male abspielen konnte. Mit diesen sogenannten Dubplates konnten sich die DJ-Teams voneinander abheben. Daraus wurden Anfang der 70er Jahre B-Seiten von Singles, als Instrumentalversionen von Reggae-Songs, und schließlich ganze Alben. Denn durch die Mehrspurtechnik in den Aufnahmestudios entwickelten sich »eigenwillige Rhythmus-Reduktionen: nackte Beats von Bass und Schlagzeug, angereichert mit Hall- oder Echoeffekten, durchsetzt von Vokaleinblendungen oder Melodiefetzen«, wie Philipps erklärt. Damit rückten die Studiotechniker und Produzenten in den Vordergrund, allen voran der Pionier Osbourne Ruddock, der als King Tubby weltberühmt wurde, gefolgt von seinem früheren Assistenten Lloyd James als King Jammy. Weitere Innovatoren waren Errol Brown, Joseph »Jo Jo« Hoo Kim und natürlich der geniale Musiker und Produzent Lee »Scratch« Perry, der in seinem selbst gebauten »Black Ark Studio« nicht nur Bob Marley, Max Romeo oder The Congos produzierte, sondern auch durch die Verbindung aller Studiogeräte unterschwellige »Ghost Sounds« kreierte. Ebenso epochal waren die »Flying Cimbals« (Fliegende Becken) von Bunny Lee, die rhythmisch geöffneten Hi-Hats beim Schlagzeug, die zischen und den Beat nach vorne »fliegen« lassen. Durch die fortschreitende Digitaltechnik wurde Dub in der Popmusik jedoch langfristig zum bloßen Klangeffekt für ambientartige Musik. Philipps resümiert etwas resignativ: »Spirituell, bekifft und Leerstelle – nichts davon wollte Dub je sein.«
Helmut Philipps: Dub Konferenz. 50 Jahre Dub aus Jamaika. Strzelecki Books, 282 S., br., 24,80 €.
Das Weltall umdrehen
Emmanuel Guibert wurde legendär als Erfinder der »Ariol«-Comics, in denen er die Erlebnisse eines Viertklässlers schilderte, der wie ein kleiner blauer Esel aussieht. Mathieu Sapin wurde bekannt mit seinem Entwurf des tumultarischen Schauspielers Gérard Depardieu als Comicfigur »Gérard«. Zusammen haben sie die Science-Fiction-Serie »Alldine & die Weltraumpiraten« ersonnen, die sich Kinder und Erwachsene gleichermaßen anschauen können. Alldine und ihre Freunde Lulu und Käpt'n Jack Breitkreuz kämpfen in kurzen Episoden gegen Supermuskelprotz und seinen Assistenten Doktor Knautsch, die die Herrschaft über das Weltall erreichen wollen. Die Handlung spielt mit der Metaebene. Etwa wenn Doktor Knautsch die fünf Sinne kidnappt (aber dabei den fünften vergessen hat) oder wenn er mit einer geheimen Methode die Bildfolge des Comicstrips durcheinanderbringt, sodass das Ende vor dem Anfang kommt. Einmal schafft er es sogar, die anderen Weltraumbewohner in ihren einzelnen Comicbildern zu isolieren. Sie verlieren ihre Farbe, sind nur noch schwarz-weiß und können nicht mehr als zwei Worte sagen. Doch die antiautoritäre Rebellin Alldine löst mit ihren Freunden all diese Probleme auf spielerische und witzige Art. Und als sie einmal durch das Weltall driften und auf einem Planeten aufzuschlagen drohen, ruft Käpt'n Jack Breitkreuz den Lesern zu: »Dreh das Heft nach oben, sonst werden wir abstürzen!« Und dann stehen auch die Sprechblasen auf dem Kopf - wer das Heft nicht dreht, kann auf der nächsten Seite nicht weiterlesen. Aber wenn man den Comic dreht, dann sind Alldine und ihre Freunde gerettet. Sie rufen voller Freude: »Uff!«, »Danke!«, »Du bist Spitze!«.
Emmanuel Guibert & Mathieu Sapin: Alldine & die Weltraumpiraten. Teil 1: Nabelschau. A. d. Franz. v. Andreas Illmann. Schaltzeit-Verlag, 128 S., br., 14 €.
Hawaii verstehen
Ann Cotten, eine der sehr wenigen guten deutschsprachigen Dichterinnen der Gegenwart, hatte ein Arbeitsstipendium auf Hawaii, wo ihre Mutter geboren wurde. Cotten lernte Polynesisch und die Inseln kennen und damit auch die Geschichte und die Verbrechen des Kolonialismus. Hawaii wurde 1898 von den Vereinigten Staaten annektiert, zum Flottenstützpunkt ausgebaut und 1959 zum 50. Bundesstaat der USA erklärt. Cotten hat über ihren Aufenthalt in Hawaii das Buch »Die Anleitung der Vorfahren« verfasst, eine Collage aus reportagehaften Notizen, Gedichten und Reflexionen. Sie arbeitet als Freiwillige im Schlamm, um Kalo, eine stärkehaltige Wurzel, die, zerstoßen zu einem Brei das traditionelle Hauptnahrungsmittel in Hawaii ist, abzubauen. Und sie geht in die Uni-Bibliothek in Honolulu, die so kalt runtergekühlt ist, dass man Pullover trägt: »Es ist ein Übergang in eine andere Welt. Die Körper sitzen vor Laptops, zurückgelassen an den Tischen und sind so jung und perfekt wie Babyrobben, wie frisch geschlüpfte Schildkröten am Strand. Keep your distance«.
Ann Cotten: Die Anleitungen der Vorfahren. Suhrkamp, 158 S., 18 €.
Was man runterbricht
Wiglaf Droste hat sich in seinen späten Jahren vor allem als Sprach- und Gesellschaftskritiker verstanden, der unter anderem im Radio darauf hinwies, welche sprachlichen Unfälle in den Medien an der Tagesordnung sind. Eine Auswahl seiner sprachkritischen Glossen ist nun unter dem Titel »Vollbad im Gesinnungsschaum« erschienen. Da geht es um die »Roten Linien«, die angeblich ständig »überschritten« würden, um »Zeitfenster«, die sich wie von Geisterhand öffnen und schließen oder um die Karriere des Verbs »verarbeiten« – vom Betroffenheitsgequatsche hinein in das Blabla der Sportreporterwelt, in der Chancen »verarbeitet« werden sollen. Bedenkenswert auch, was alles »runterbricht« oder »wegbricht« und wer von den Medienleuten ständig »ömm« sagt: »Es sind nicht die Kassiererin oder der Tankwart, die das Land mit ›ömm‹ kontaminieren, es sind die sogenannten Profis, die den Grund- und Grunzton der öffentlichen Rede bestimmen«.
Wiglaf Droste: Vollbad im Gesinnungsschaum. Sprachkritische Glossen. Edition Tiamat, 302 S., br., 22 €.
Bier ohne Artaud
Clemens Schittko, einer der sehr wenigen guten deutschsprachigen Dichter der Gegenwart, hat seinen zehnten Gedichtband herausgebracht: »Artaud ist tot«. Bitte lesen und auswendig lernen! Auf Seite 108 findet sich das Gedicht »sich treu geblieben«: »Lyrik / verkauft / sich / nicht«. Und gegenüber auf Seite 109 das »Kneipengedicht«: »Und einmal fand ich mich / in einer Kneipe wieder / ich trank ein Bier / und wusste nicht, warum/ doch die Leute, / die mich umgaben, und ebenfalls ein Bier tranken, / schien mein Anblick nicht zu stören / und so habe ich einfach / weitergetrunken / bis ich wusste, warum ich / in dieser Kneipe war.«
Clemens Schittko: Artaud ist tot. XS-Verlag, 140 S., br., 18 €.
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