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Jules Vallès: Sich anpassen? Niemals!

Jules Vallès war seiner Zeit weit voraus. Seine Trilogie »Jacques Vingtras« ist abgeschlossen, es geht um die Pariser Kommune

  • Enno Stahl
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Franzose Jules Vallès (1832–1885) war eine außergewöhnliche Schriftstellergestalt. In Deutschland gab es wenige Autoren wie ihn, die sich mit dem Schreiben nicht begnügen wollten, sondern auch politisch aktiv wurden. Am ehesten könnte man Vallès mit Georg Büchner, Georg Weerth oder Franz Jung vergleichen. Er kämpfte zeit seines Lebens für die soziale Revolution, war Mitglied der Pariser Kommune, konnte fliehen, wurde in Abwesenheit zum Tode verurteilt und konnte erst 1880 nach einer Generalamnestie aus dem englischen Exil nach Paris zurückkehren.

Aus seinem literarischen Schaffen sticht seine unverblümt autobiografische Roman-Trilogie »Jacques Vingtras« hervor. Sie erschien von 1879 bis 1886 in drei Bänden, der letzte erst postum; darin behandelt er seine Erlebnisse im Umfeld der Pariser Kommune. Die Trilogie wurde hierzulande mehrfach veröffentlicht, in Ost- wie in Westdeutschland, ganz große Beachtung aber fand sie nie. Der März-Verlag publizierte sie 1979 und hat das Werk nun neu aufgelegt; im Frühjahr wurde es mit »Die Revolte«, dem dritten Band der Reihe, komplettiert. Geblieben ist es bei der famosen Übersetzung Christa Hunschas, sie ist zeitlos gültig. Vallès’ ästhetisch herausragende Stilistik, seiner Zeit weit voraus, gibt Hunscha perfekt wieder: Das Gehetzte seines Tons, das Fragmentarische, das Atemlos-Hingeworfene – man kannte das so nicht in der Literatur des späten 19. Jahrhunderts. Ohne Vallès wäre ein Louis-Ferdinand Céline stilistisch nicht denkbar.

Im ersten Teil der Trilogie, »Das Kind«, behandelt der Autor seine harte Jugend. Die klassisch-philologische Ausbildung erfährt sein Alter Ego Jacques Vingtras als Tortur. Von seiner Mutter erleidet er schwere körperliche Gewalt. Zu essen bekommt er auch nicht viel. Im zweiten Band, »Die Bildung«, beschreibt er sein Leben als Bohemien in Paris. Geldnot, Hunger und Missachtung sind seine ständigen Begleiter.

Im dritten Teil, »Die Revolte«, geht es zunächst so weiter; Vingtras verdingt sich als Hilfslehrer in der Provinz. Doch er verliert auch diesen Job: »Da stehe ich von Neuem auf dem Pariser Pflaster, mit vierzig Francs in der Tasche, überworfen mit allen Fakultäten Frankreichs und Navarras. Wohin mit mir?« Immerhin gelingt es ihm nun, Antworten auf diese Frage zu finden.

Er arbeitet an einem Buch und schafft es, nach und nach in der Pressewelt Fuß zu fassen. Doch er bleibt ein Außenseiter. Er dient sich dem mächtigen Medienmogul Émile de Girardin an, der übrigens wirklich existiert hat – wie überhaupt alle Figuren, die in diesem Buch auftauchen, Klarnamen besitzen, mit Ausnahme von Vallès selbst. Dieser Girardin spricht unverblümt aus, was Sache ist: »Wir brauchen disziplinierte Leute, die gut taktieren und manövrieren können … Sie werden sich dem niemals anpassen, niemals!«

Nein, anpassen wird sich auch der wirkliche Vallès nicht. Dennoch arbeitet er für diesen einflussreichen Verleger, auch für den »Figaro«. Seine Kolumnen kommen als Buch heraus. Vallès ist nun eine bekannte Persönlichkeit der Linken und bringt eigene Zeitungsprojekte an den Start, mit denen er sich unter Napoleon III. mehrfach Festungshaft einhandelt. Die Luft brennt, der Aufstand ist nah.

Doch zunächst kommt es zum Französisch-Preußischen Krieg 1870/71, und mit diesem verliert sich der revolutionäre Elan und weicht einem rigiden Patriotismus. Aber im Gefolge der französischen Niederlage bricht sie los, die Revolution – und der Erzähler mittendrin. Allerdings sind ihm die Kräfte, die nun aufbranden, nicht geheuer. Es gibt Tote, und das bedauert Vingtras zutiefst, der einige Personen vor der aufgebrachten Masse rettet. Er selbst steht in verantwortungsvoller Position, wobei ganz und gar nicht klar ist, wer überhaupt das Sagen hat.

Die Tage der Kommune stellen sich bei Vallès als großes Chaos dar, auch sprachlich. Die äußere Erzählung tritt immer mehr zurück, zugunsten gehetzter Mitteilungen, bruchstückhafter Dialoge; kaum versteht man, wer gerade spricht oder handelt. Gerade das vermittelt sehr anschaulich die Sprunghaftigkeit der Ereignisse. Vingtras eilt von einem Ort zum anderen. Er versucht einen Überblick zu gewinnen. Aber alles zerfließt. Die Konterrevolution erhebt ihr Haupt. Sie siegt. Vingtras bleibt wie Vallès nur die Flucht.

Geblieben ist sein Werk, ein einzigartiger »Coming of Age«-Roman, der die Herausbildung eines revolutionären Charakters aufzeichnet – Vallès konnte nichts anderes werden mit seiner spezifischen Sozialisation. Dass zugleich die Sprache unfassbar modern ist für die Zeit der Entstehung, macht »Jacques Vingtras« zu etwas Außerordentlichem. In Frankreich gesteht man Vallès den hohen Rang als Schriftsteller schon lange zu; höchste Zeit, dies auch in Deutschland – nach mehreren weniger erfolgreichen Versuchen – nachzuholen.

Jules Vallès: Die Revolte. Jacques Vingtras, Bd. 3. A. d. Franz. v. Christa Hunscha. März-Verlag, 335 S., geb., 26 €.

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