- Politik
- Lehrkräftemangel
GEW-Landeschefin NRW: »Das System schlittert in eine Katastrophe«
GEW-Landeschefin Ayla Çelik über den Lehrermangel in NRW und Auswege aus der Misere
Überrascht es Sie, dass laut Statistik in Nordrhein-Westfalen nur noch jede vierte Lehrkraft männlich ist?
Das pädagogische Handlungsfeld ist vornehmlich weiblich. Das gilt ebenso für alle sorgenden Berufe. Dabei hat sich diese Entwicklung im Schulbereich verstärkt. Erklären lässt sich das durch die stärkere Berufstätigkeit von Frauen einerseits und ihre hohe Akademisierungsquote andererseits. Dazu ließ und lässt sich für Lehrer*innen Familie und Beruf einfacher miteinander vereinbaren als anderswo – was aufgrund der herrschenden Rollenbilder noch immer eher für Frauen ein wichtiger Faktor ist. Die Arbeitsbedingungen müssen sich ändern, damit wir mehr Menschen für den Beruf gewinnen. Wenn wir aber sehen, dass in NRW in einem Schuljahr fast 800 Lehrkräfte kündigen – davon sogar 286 verbeamtete – dann müssen alle Alarmglocken schrillen.
Ist der Lehrberuf unattraktiv für Männer?
Generell entscheiden sich immer weniger Menschen für den Beruf. Dazu kommen Abbrüche im Studium oder Referendariat bis hin zu Abgängen aus dem Berufsfeld. Insofern muss die Politik alles daransetzen, den Beruf attraktiver zu machen – für alle. Dazu zählen gute Arbeitsbedingungen, Perspektiven und Entwicklungsmöglichkeiten und eine faire Bezahlung auch im Seiteneinstieg. Dann gewinnen wir die dringend benötigten Fachkräfte – und eben auch mehr Männer.
Ist der Lehrermangel vorrangig der schwarz-gelben Vorgängerregierung anzulasten oder eher der aktuellen Landesregierung von CDU und Grünen?
Keine der Parteien hat sich in der Bildungspolitik in den vergangenen Jahren mit Ruhm bekleckert. Sicherlich ist es aber so, dass die Entwicklungen in der Pandemie, insbesondere im Schulbereich, eine große Belastung für alle Beteiligten waren: Für Lehrende, Lernende und die Angehörigen. Der Umgang mit den Lehrkräften in dieser herausfordernden Zeit von Seiten der Politik war nicht gerade eine Werbung für den Beruf. Momentan ist der Lehrkräftemangel das größte Problem. Schwarz-Grün begegnet dem mit mehr Belastung, mehr Abordnungen und der Einschränkung von Teilzeitmöglichkeiten. Das ist fatal, weil er junge Menschen abschreckt und ältere Kolleg*innen dazu treibt, den Beruf zu verlassen. Wir brauchen dringend Menschen, die unsere Kinder unterrichten.
Warum gibt es gerade an den Grundschulen kaum männliche Lehrer?
Sicherlich spielen dabei veraltete Rollenklischees über Männer und Frauen eine Rolle, insbesondere bei kleineren Kindern. Eine Erklärung ist hier sicherlich auch, dass die Verdienstmöglichkeiten an Grundschulen vor der Reform der Besoldung deutlich schlechter waren als am Gymnasium und es bis 2026 noch sind. Gesellschaftlich spielt das Bild des Mannes als »Familienernährer« immer noch eine große Rolle, weshalb Männer besser bezahlte Stellen suchen. Wir sind froh, dass wir mit unserem langen Kampf für eine faire und verfassungskonforme Besoldung endlich Erfolg hatten und auch Kolleg*innen an der Grundschule in der Stufe A13 besoldet werden – auch wenn der Plan der Landesregierung dafür nachjustiert werden muss. Ich hoffe, dass sich dann auch mehr Männer für den Beruf als Grundschullehrkraft entscheiden.
Was bedeutet es für die Kinder, wenn sie kaum männliche Lehrer haben?
Klar ist: Kinder brauchen auch neue männliche Role Models. Deshalb ist es wichtig, dass sich gesellschaftliche Vielfalt auch im Lehrer*innenzimmer findet. Gesellschaftliche Diversität ist für uns eine wichtige Ressource. Deswegen ist es beispielsweise für Kinder mit internationaler Familiengeschichte auch wichtig, Lehrkräfte zu haben, die selbst eine solche Geschichte haben. Auch Seiteneinsteiger*innen können mit unterschiedlichen Hintergründen und Erfahrungen eine Bereicherung für die Schüler*innen sein.
An Berufskollegs sind Lehrer präsenter ...
Grundständig ausgebildete Lehrkräfte werden dort einfach besser bezahlt als in Grundschulen. Zweitens geht es um Jugendliche und junge Erwachsene statt um Kinder. Auch hier sind traditionelle Rollenbilder sicher wirkmächtig. Drittens hängt es auch von der Ausrichtung des Kollegs ab. Gerade in technischen Bereichen dominieren Männer.
Was muss getan werden, um den Anteil von Lehrern wieder zu erhöhen?
Wir brauchen generell dringend mehr Lehrkräfte, ob Frauen oder Männer, ist hier erst mal zweitrangig. Denn der Lehrkräftemangel ist extrem. Die Lehrkräfte ächzen unter der Belastung, es fällt Unterricht aus – kurz: Das System schlittert in eine Katastrophe. Jede Verbesserung der Arbeitsbedingungen und der Bezahlung wird auch dazu führen, dass auch mehr Männer Lehrer werden.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.