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Niger: »Dilemma für westliche Außenpolitik«
Afrika-Expertin Lisa Tschörner über den Putsch in Niger durch vom Westen aufgepäppelte Armee
Nach Mali, Guinea, Tschad und Burkina Faso seit 2020 nun also ein weiterer Putsch – in Niger. Was steckt dahinter? Innenpolitik?
Die Frage kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht abschließend beantwortet werden, da wir noch nicht genau wissen, was wirklich hinter dem Putsch steckt. Zwar hat Mittwochnacht eine zehnköpfige Gruppe von Militärs im öffentlichen Fernsehsender ORTN verkündet, dass sie der Regierung von Präsident Mohamed Bazoum ein Ende setzen würde. Und wie auch bei den jüngsten Militärputschen in Mali und Burkina Faso nannte der Sprecher der Gruppe die sich kontinuierlich verschlechternde Sicherheitslage sowie eine schlechte wirtschaftliche und soziale Regierungsführung als Grund für den Putsch. Am Freitagnachmittag präsentierte sich dann der ehemalige Chef der Präsidialgarde General Tchiani als neuer Präsident des »Nationalen Rats zur Rettung des Vaterlandes« und bekräftigte erneut diese Gründe, ohne jedoch darauf einzugehen, wie es nun weitergehen soll. Auffällig scheint zunächst in jedem Fall das weitgehende Schweigen der politischen Elite zu den Geschehnissen im Land.
Droht mit dem Putsch eine weitere Destabilisierung der ohnehin schon instabilen Sahel-Region?
Die Sicherheitslage in Niger war schon vor dem Putsch sehr angespannt. Dschihadistische Gruppen verüben besonders in den Grenzregionen zu Nigeria und Tschad im Südosten sowie zu Mali und Burkina Faso im Südwesten des Landes kontinuierlich Anschläge gegen Sicherheitskräfte und die Zivilbevölkerung. In einigen Gebieten haben lokale Ablegergruppen von Al-Qaida und des Islamischen Staates ebenso wie in Mali oder Burkina Faso quasistaatliche Strukturen aufgebaut. Sie erheben Steuern oder regeln lokale Konflikte. Eine Zunahme der politischen Instabilität in der Hauptstadt Niamey könnte von diesen Gruppen nun ausgenutzt werden, um ihren Einfluss im Land weiter auszubauen. Diese Dynamik haben wir bereits in Mali und Burkina Faso nach den Militärputschen beobachten können.
Was bedeutet der Putsch für Deutschland und andere westliche Partner. Bisher wurde Niger als letzter stabiler Partner in der Sahel-Region betrachtet?
Deutschland und andere westliche Partner haben zuletzt zunehmend auf die Ertüchtigung von Nigers Streitkräften gesetzt, um sie besser für den Kampf gegen dschihadistische Gruppen zu wappnen. Erst im Februar dieses Jahres hat die EU etwa ein mit vier Millionen Euro dotiertes militärisches Kooperationsprojekt beschlossen, an dem sich auch Deutschland mit der Entsendung von Soldatinnen und Soldaten beteiligt. Dass nun genau diese vom Westen aufgebaute Armee den demokratisch gewählten Präsidenten des Landes absetzt, zeigt die Grenzen dieses Ansatzes auf und stellt die westliche Außenpolitik vor ein Dilemma. Einerseits steht die Unterstützung autoritärer Regime im Widerspruch zu demokratischen Werten, anderseits besteht die Sorge, dass auch Niger sich nun wie sein Nachbarland Mali Russland zuwenden könnte, sollte der Westen seine militärische Kooperation einstellen.
Was sagen Sie zu Gerüchten, Russland stecke hinter dem Putsch?
Das bleiben in meiner Sicht bislang unhaltbare Spekulationen. Zwar war Bazoum einer der Präsidenten Afrikas, der sich dazu entschlossen hat, nicht zu Putins Russland-Afrika Gipfel zu fahren, der vergangene Woche in St. Petersburg stattfand. Und Befürworter des Putsches schwenkten nach der erklärten Machtübernahme des Militärs auch in nigrischen Städten Russlandfahnen. Aber daraus jetzt auf eine orchestrierte Aktion Russlands zu schließen, überschätzt in meinen Augen den Einfluss, den externe Akteure auf das innenpolitische Geschehen in afrikanischen Staaten haben. Ich kann mir allerdings gut vorstellen, dass die Putschisten, sollten sie an der Macht bleiben, antiwestliche Stimmungen im Land ausnutzen werden, um sich in der Bevölkerung Legitimität zu verschaffen.
Welche Optionen hat der Westen, wenn davon auszugehen ist, dass eine Mehrheit der Nigrer antiwestlich eingestellt ist und die Putschisten sich künftig an Moskau oder Peking halten?
Ich würde in Niger nicht von einer Mehrheit sprechen, die antiwestlich eingestellt ist. Noch am Mittwoch, als bekannt wurde, dass Teile der Präsidialgarde Bazoum und andere Regierungsmitglieder im Präsidentenpalast festgesetzt haben, kam eine Gruppe von prodemokratischen Demonstranten zum Präsidentenpalast, um ihre Solidarität mit dem Präsidenten zu bekunden. Sie wurde allerdings von der aufständischen Präsidialgarde mit Warnschüssen vertrieben. Niger hat auch eine starke Zivilgesellschaft, die eine bedeutende Rolle im Kampf für die Durchsetzung demokratischer Werte im Land spielt. Auch wenn es von den meisten Organisationen bislang keine offiziellen Stellungnahmen gibt, so zeigen sich viele Akteure, mit denen ich gesprochen habe, über die jüngsten Entwicklungen im Land schockiert. Für ihre Arbeit im Bereich der Förderung von Frieden und Menschenrechten, der Dokumentation von Gewalt oder aber der humanitären Hilfe sind diese Akteure auch weiterhin auf externe Finanzierungsquellen angewiesen. Hier könnten internationale Geber ihre Unterstützung weiter ausbauen.
Präsident Mohamed Bazoum, der Angehöriger der arabischsprachigen Minderheit im Land ist, war demokratisch gewählt. Wurde er vom Westen größer gemacht, als er tatsächlich war?
Dominante Narrative, wie die Darstellung Nigers als Stabilitätsanker in einer von Krisen erschütterten Region, laufen in meinen Augen immer Gefahr, die Komplexität von Situationen zu verkennen. Da Bazoum der erste Präsident Nigers ist, der durch einen friedlichen Regierungswechsel an die Macht gekommen ist, im Jahr 2021, haben westliche Länder große Hoffnung in die Zusammenarbeit mit ihm und seiner Regierung gesetzt. Gerade auch in Anbetracht des immer schwieriger werdenden Verhältnisses mit Nigers Nachbarn Mali und Burkina Faso. Zudem setzte Bazoum seit seiner Aufnahme der Regierungsgeschäfte auf einen deutlich prowestlichen Kurs.
Wie wurde Bazoums Politik im Land gesehen?
Sie war im Land selbst umstritten. Insbesondere der Ausbau der militärischen Kooperationen mit westlichen Partnern wie der alten Kolonialmacht Frankreich wurde von Teilen der Bevölkerung abgelehnt. Aber auch seine Politik zur Förderung der Geschlechtergerechtigkeit, beispielsweise durch Investitionen im Bildungssektor, oder aber seine offene Ablehnung der Polygamie sahen viele als unvereinbar mit der nigrischen Kultur und Tradition. Andere hatten wiederum die Hoffnung, dass Bazoum den Einfluss dschihadistischer Gruppen im Land eindämmen wird. Insbesondere sein Ansatz, neben dem Einsatz von militärischen Mitteln auch lokale Dialog- und Mediationsinitiativen zu fördern, wurde gerade von Teilen der Landbevölkerung in den von Gewalt betroffenen Regionen begrüßt.
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