Inflation: »Beispielloser Kaufkraftverlust«

Insbesondere Lebensmittelpreise sind im Juli erneut deutlich teurer geworden

Die Preise im Euroraum sind im Juli im Schnitt um 5,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum gestiegen. Das geht aus einer am Montag veröffentlichten Schätzung von Eurostat, der Statistikbehörde der EU, hervor. In Deutschland lag die Teuerungsrate bei etwa 6,5 Prozent. Am stärksten sind die Preise in der Slowakei mit 10,2 Prozent gestiegen. Insgesamt sei die Inflation jedoch rückläufig, wie aus den vorläufigen Zahlen der EU-Behörde hervorgeht. Gegenüber Juni dieses Jahres sei die Inflation um 0,2 Prozent zurückgegangen.

Dies liegt in erster Linie an den sinkenden Energiepreisen, die um etwa sechs Prozent gegenüber dem Vorjahr gefallen sind. Die Preise für Industriegüter und Dienstleistungen sind dagegen um knapp fünf Prozent teurer geworden. Insbesondere die Preise für Lebensmittel steigen weiterhin drastisch. Sie nahmen im Vergleich zum Vorjahr um etwa 10,8 Prozent zu.

Das bedeutet für Arbeiterinnen und Arbeiter einen hohen Reallohnverlust, wie aus einer jüngst veröffentlichten Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung hervorgeht. Die Ökonomen Thilo Janssen und Malte Lübker sprechen in ihrem Bericht von einem »beispiellosen Kaufkraftverlust«. Danach sind die Reallöhne in der Europäischen Union im vergangenen Jahr im Schnitt um etwa vier Prozent gesunken. In diesem Jahr rechnen die Ökonomen mit einem Verlust von 0,7 Prozent.

Um die Preissteigerungen in den Griff zu kriegen, erhöht die Europäische Zentralbank seit 2022 schrittweise die Leitzinsen. Dadurch sollen Kredite verteuert und die umlaufende Geldmenge im Vergleich zu Waren und Dienstleistungen reduziert werden. In der vergangenen Woche hatte die EZB den Leitzins erneut um 0,25 Prozent erhöht. Er liegt damit ab diesem Mittwoch bei 4,25 Prozent, so hoch wie zuletzt kurz vor der Finanzkrise 2008. Kritiker der Zinserhöhungen befürchten allerdings, dass die Zentralbank mit ihrem Kurs das Wirtschaftswachstum ausbremst.

Auch über die zugrunde liegenden Ursachen für die hohen Inflationsraten herrscht noch Uneinigkeit. Während der russische Angriffskrieg auf die Ukraine allgemein als Auslöser gilt, weil er vor allem die Energiepreise in die Höhe trieb, ändert sich dies aus Sicht der Zentralbank aktuell: »Steigende Löhne und starke Gewinnmargen werden zunehmend zu einem wichtigen Treiber der Inflation«, sagte Zentralbankpräsidentin Christine Lagarde auf der Pressekonferenz der EZB vergangene Woche und warnte damit erneut vor der sogenannten Lohn-Preis-Spirale.

Dass es eine solche Spirale gibt, weisen Janssen und Lübker von der Hans-Böckler-Stiftung in ihrer Studie zurück. Sie betonen die hohen Gewinnmargen im Handel als Hauptursache. »Unternehmen in vielen Sektoren konnten ihre Profite konstant halten, indem sie gestiegene Einkaufspreise an die Verbraucher weitergaben oder sogar darüber hinaus Extraprofite machten«, erklärt Janssen auf nd-Anfrage.

Die Lohnforderungen der Gewerkschaften sind dagegen moderat. Die Tariferhöhungen lagen mit knapp drei Prozent im Jahr 2022 deutlich unter der Inflationsrate, insbesondere bei Lebensmitteln. Um die Folgen der hohen Preise abzumildern, schlägt Janssen eine konsequente Umsetzung der EU-Mindestlohnrichtlinie und eine Stärkung der Tarifbindung vor. »Flächendeckende Tarifabschlüsse, die Reallohnverlusten etwas entgegensetzen, können nur da ausgehandelt werden, wo es in der Fläche gut organisierte Tarifparteien gibt«, erklärt er.

Zuletzt hatte die Partei Die Linke in ihrem Forderungskatalog »Unser Plan für ein gerechtes Land« mit Blick auf die hohen Inflationszahlen auch eine automatische Anpassung der Löhne an die jeweils geltende Inflationsrate gefordert. Diese sogenannte Indexierung gibt es etwa in Belgien. Sie sorgt dafür, dass in den meisten Unternehmen und im öffentlichen Dienst die Löhne automatisch an die Inflationsrate von Konsumgütern angepasst werden. Die Gewerkschaften können sich so stärker auf die Aushandlung von Reallohnsteigerungen konzentrieren.

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