Polizei in Leipzig will Handys zurückgeben

380 Geräte waren als »Gewaltmittel« beschlagnahmt

Überbleibsel nach dem nächtlichen Polizeikessel am »Tag X« in Leipzig.
Überbleibsel nach dem nächtlichen Polizeikessel am »Tag X« in Leipzig.

Am sogenannten »Tag X« am 3. Juni in Leipzig hat die Polizei rund 1000 Demonstrierende stundenlang eingekesselt. Auch Minderjährige waren von der Maßnahme betroffen. Anschließend wurden Handys und Speichermedien von insgesamt 380 Personen beschlagnahmt. Diese sollen nun zurückgegeben werden, teilte die Staatsanwaltschaft Leipzig dem sächsischen Sender MDR mit.

Mit der angekündigten und angemeldeten Demonstration sollte gegen das Urteil im sogenannten Antifa-Ost-Verfahren gegen Lina E. und drei weitere Aktivisten protestiert werden. Die Polizei behinderte die Versammlung jedoch von Anfang an massiv, angeblich wegen einer Vermummung von Teilnehmenden.

Offenbar wurden die Eingekesselten von der Polizei auch eingeschüchtert. Der MDR berichtet über einen Demonstranten, der aufgefordert worden sei, das Passwort seines Handys herauszugeben. »Wenn Sie uns nicht die PIN geben, werden Sie alle Kosten für die Entschlüsselung tragen. Es werden mehrere Hundert Euro auf sie zukommen«, wird ein Polizist zitiert. Das wegen schweren Landfriedensbruchs einbehaltene Handy sei ein »Gewaltmittel«.

Die sächsische Linke-Abgeordnete Juliane Nagel kritisiert das Vorgehen nach dem »Tag X« und vermutet, dass die Handy-Beschlagnahme dem Ausspähen linker Strukturen dient. »Zumal die Ermittlungsverfahren wegen besonders schweren Landfriedensbruchs gegenüber 1040 Menschen eine Farce sind«, sagt Nagel zu »nd«. Das Erpressen von PIN-Codes hält sie für eine illegale Polizeipraxis.

Dass Beschuldigte oder Verdächtige für derartige Ermittlungshandlungen zahlen müssen, ist allerdings nach Paragraf 465 Strafprozessordnung theoretisch möglich, allerdings nur, wenn das Verfahren auch mit einer Verurteilung endet. Das bestätigt der Berliner Rechtsanwalt Lukas Theune dem »nd«. Jedoch werde dies zur Entschlüsselung von Handys nicht praktiziert. Werde das Verfahren eingestellt, trage die Staatskasse ohnehin alle Kosten. Die massenhafte Beschlagnahme von Handys aus einem Polizeikessel sieht Theune als bundesweit einzigartig. Bekannt sei dies allenfalls aus Razzien wie beim G20-Gipfel, nach denen 26 Computer und 35 Handys in die Hände der Behörden gelangten.

Es ist nicht das erste Mal, dass die Polizei in Leipzig in großem Umfang digitale Geräte einkassiert. Nach einer Spontandemonstration im Gedenken an den in Dresden ermordeten Asylbewerber Khaled Idris Bahray mussten Anfang 2015 rund 150 eingekesselte Personen ihre Handys, MP3-Player, Speicherkarten und Laptops sowie iPods abgeben. Bei einer forensischen Spurensicherung suchten Ermittler darauf nach Fotos, aufgrund derer mögliche Straftäter ausfindig gemacht werden sollten.

Mit mindestens 42 Personen sei »zur Zugangserlangung Rücksprache geführt« worden, hieß es in der Antwort auf eine Kleine Anfrage von Juliane Nagel, 13 von ihnen hätten PIN-Codes freiwillig herausgegeben. Ein Viertel der Betroffenen habe zum Zeitpunkt der Antwort darauf verzichtetet, die Geräte nach einer Freigabe wieder abzuholen.

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