Radioleuchttürme im All

Um Wellen in der Raumzeit aufzuspüren, macht sich die Astronomie die Eigenschaften von Pulsaren zunutze

  • Ilka Petermann
  • Lesedauer: 5 Min.
Die Signale von Pulsaren können wahrscheinlich von Gravitationswellen aus fernen Galaxien beeinflusst werden.
Die Signale von Pulsaren können wahrscheinlich von Gravitationswellen aus fernen Galaxien beeinflusst werden.

Mit der Auswertung von Radiosignalen von Pulsaren ist es internationalen Astronomenteams unabhängig voneinander gelungen, mögliche Nachweise für extrem niederfrequente Gravitationswellen zu erbringen. Der Frequenzbereich, der mit bisherigen Detektoren so nicht zugänglich ist, könnte es erlauben, einen theoretisch beschriebenen stochastischen Gravitationswellenhintergrund nachzuweisen.

Gravitationswellen sind Wellen in der Raumzeit, die auf ihrem Weg durch einen Raumbereich die Abstände innerhalb des Bereiches stauchen und strecken. Sie entstehen immer dann, wenn Massen beschleunigt werden oder sich eine räumliche Verteilung von Massen ändert. Im Prinzip also auch, wenn wir hinter dem Eiswagen herrennen und im Becher zwei Eisbällchen zu einer einzigen Kugel zusammenschlecken. Aber nun ist es nicht gerade so, dass man Gravitationswellen als gute Ausrede gebrauchen kann, um die abendliche Joggingrunde wegen starken Gravitationswellengangs ausfallen zu lassen. Das auch »Schwerkraftwellen« genannte Phänomen hält sich ausgesprochen dezent im Hintergrund – was enorme technische Anforderungen an Detektoren stellt. So würde etwa der Durchgang einer Gravitationswelle durch unser Sonnensystem den Abstand von Sonne und Erde gerade einmal knapp um den Durchmesser eines Wasserstoffatoms ändern. Damit ein System nun überhaupt detektierbare Gravitationswellen aussendet, müssen die beteiligten Objekte enorme Massen und damit auch Dichten aufweisen – eine Eiskugel tut es also nicht, Neutronensterne und Schwarze Löcher müssen her!

Vor über 100 Jahren vorausgesagt

Nach ersten theoretischen Überlegungen der Mathematiker und Physiker Oliver Heaviside Ende des 19. Jahrhunderts und Henri Poincaré im Jahr 1905 war es Albert Einstein, der 1916 die Existenz von Gravitationswellen als Verzerrungen der Raumzeit voraussagte. Knapp hundert Jahre musste man dann aber warten, bis die erste Gravitationswelle detektiert werden konnte: 2015 gelang mit dem Laser Interferometer Gravitational-Wave Observatory, kurz LIGO, der erste direkte Nachweis einer Gravitationswelle. Das gerade einmal zwei Zehntelsekunden lange Signal stammte von zwei Schwarzen Löchern, deren Millionen Jahre dauerndes Umeinanderkreisen in einem gewaltigen Verschmelzen zu einem einzigen supermassereichen Schwarzen Loch endete.

Diese Art der Gravitationswellen, die auf das Umkreisen und Verschmelzen von sehr massereichen, kompakten Objekten zurückzuführen ist, ist bisher das einzige zweifelsfrei detektierbare Gravitationswellensignal. Wenn sich zwei dieser extremen Objekte (zwei Schwarze Löcher, zwei Neutronensterne oder ein Schwarzes Loch mit Neutronensternpartner) umkreisen, verliert das System über die Abstrahlung von Gravitationswellen kontinuierlich Energie. Jedes Paar produziert so seinen eigenen, zeitlich veränderlichen »Gravitationswellen-Fingerabdruck«, etwa in Abhängigkeit der beteiligten Massen und des anfänglichen Abstands. Durch den Energieverlust nähern sich die Partner immer weiter an, und ein Verschmelzen wird unausweichlich – bis dann ganz kurz vor der finalen Kollision die Gravitationswellen einen Frequenzbereich erreichen, den ein Instrument wie LIGO detektieren kann. Im Falle des ersten Signals waren es zwei Schwarze Löcher in 1,3 Milliarden Lichtjahren Entfernung, die es auf rund 29 und 36 Sonnenmassen brachten und zu einer einzigen »Kugel« von 62 Sonnenmassen verschmolzen – die übrige Masse wurde in Form von Gravitationswellen abgestrahlt. Allgemein gilt: Je schwerer die Partner sind, desto schneller läuft die Verschmelzung dabei ab. Zwei (im direkten Vergleich) »leichte« Neutronensterne lassen sich bei diesem Prozess deutlich mehr Zeit. Das zweite Gravitationswellensignal, das im Jahr 2017 aufgezeichnet wurde, ließ sich auf genau solch ein System zurückführen und dauerte deutlich über 100 Sekunden.

Gravitationswellen durch Rotation

Als eine andere, bisher aber noch nicht experimentell bestätigte Quelle von Gravitationswellen gelten kompakte und schnell rotierende Einzelobjekte: Kleine Abweichungen der Kugelsymmetrie würden zu einem Abstrahlen von Gravitationswellen führen. Solange das Objekt eine konstante Rotation aufrechterhält, wäre auch die Frequenz der Gravitationswellen über lange Zeiträume konstant.

Und dann könnte es im Universum vielleicht ein wenig lebhaft werden – mit zahlreichen Gravitationswellen-Quellen, die man zwar nicht einzeln auflösen kann, die aber alle ein bisschen hier und da an der Raumzeit zerren. Eine Detektion jener extrem schwachen »stochastischen« (also zufällig verteilten) Gravitationswellen ist mit Instrumenten wie LIGO nicht ohne Weiteres möglich, doch Astronomen gingen im Laufe der letzten Jahrzehnte 25 »Lichter« auf – oder genauer: Radiosignale von Pulsaren. Pulsare sind extrem schnell rotierende Neutronensterne (einer der schnellsten, PSR J1748-2446ad, braucht für eine volle Umdrehung lediglich 1,4 Millisekunden), deren Magnetfeldachse von der Rotationsachse abweicht, wodurch Strahlung in einem engen Kegel, ähnlich einem Leuchtturm, emittiert wird. Liegt die Erde zufällig in einem solchen Strahlungskegel, kann das über sehr lange Zeiträume extrem gleichmäßige Signal, hauptsächlich im Radiowellenbereich, aufgezeichnet werden. Würde nun eine Gravitationswelle zwischen Erde und Pulsar vorbeiziehen – das Blinken des sonst so außerordentlich exakten Leuchtturms würde minimale Abweichungen erfahren.

Genau hier setzt das »International Pulsar Timing Array« (IPTA) an, das Astronomen aus Europa, Nordamerika, Australien und Indien zusammenbringt, um Daten der weltweit größten Radioteleskope zur Detektion von Gravitationswellensignalen heranzuziehen. Und statt eines einzelnen Pulsars werden dann auch gleich 25 der blinkenden Neutronensterne beobachtet, die über die gesamte Milchstraße verteilt sind und so einen »Gravitationswellendetektor« bilden, der weite Entfernungen in der Galaxis abdeckt.

Teleskopverbund findet Hinweise

Astronomen des europäischen und indischen Pulsar-Timing-Array haben nun Hinweise auf Gravitationswellen im Nanohertz-Bereich (was Wellenlängen in der Größenordnung von Lichtjahren entspricht) gefunden, wie sie von verschiedenen, weit entfernten verschmelzenden Schwarzen Löchern herrühren könnten. Ein wichtiger Teil der Daten stammte dabei von den fünf größten europäischen Radioteleskopen: dem Lovell-Teleskop in Großbritannien, dem Nançai-Radioteleskop in Frankreich, dem Sardinia-Radioteleskop auf der italienischen Insel Sardinien, dem Westerbork-Radiosyntheseteleskop der Niederlande und dem 100-m-Radioteleskop Effelsberg in Deutschland. Von Letzterem gibt es neben neuen Messungen zusätzlich noch Datenreihen der vergangenen 25 Jahre, was damit auch einen Blick auf Systeme mit sehr langen Umlaufzeiten erlaubt: So können etwa Gravitationswellen aufgespürt werden, die auf Doppelsternsysteme mit Umlaufzeiten von 30 bis 50 Jahren zurückzuführen sind.

Einige Unsicherheiten bleiben aber bei der sehr aufwendigen und komplexen Analyse der bisher gesammelten Daten. So gibt es etwa noch zahlreiche Rauschquellen, die bei der Suche nach einem Gravitationswellensignal berücksichtigt werden müssen, ebenso müssen zufällige, dem Ergebnis ähnliche Resultate mit Sicherheit ausgeschlossen werden. Dazu soll zukünftig das Netz an Pulsaren auf über 100 Exemplare erweitert werden. Zudem ist geplant, weitere Radioteleskope in das IPTA einzubinden.

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