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Die Kälteblase südlich von Grönland
Verlässliche Prognosen zu einem möglichen Zusammenbruch der Nordatlantikzirkulation sind aufgrund der wenigen Messdaten kaum möglich
Was ist los mit dem Golfstrom, Europas Standheizung, die in weiten Teilen des Kontinents für milde Winter sorgt? Seit Anfang des letzten Jahrzehnts beobachten Meteorologen südöstlich von Grönland, eben dort, wo der Golfstrom durchfließt, eine Abkühlung der Meeresoberfläche. Das ist besonders auffällig, weil sich der Rest des Planeten zunehmend erwärmt. Insbesondere die Arktis, wo das Thermometer annähernd dreimal so schnell klettert wie im globalen Mittel.
Letzte Woche sorgte nun eine neue Arbeit eines dänischen Forscherpaars für Schlagzeilen. Susanne Ditlevsen vom Institut für Mathematische Wissenschaften und Peter Ditlevsen vom Niels Bohr Institut, beides Einrichtungen der Universität Kopenhagen, haben im Fachblatt »nature communications« einen alarmierenden Artikel über einen in den nächsten Jahren oder auch nächsten Jahrzehnten bevorstehenden Zusammenbruch des Golfstroms veröffentlicht. Oder genauer: eines Zusammenbruchs der Atlantischen Meridionalen Umwälzzirkulation, auf Englisch AMOC abgekürzt (Atlantic Meridional Overturning Circulation), wie Geowissenschaftler das sich teils an der Oberfläche, teils in großen Tiefen befindliche Strömungssystem nennen.
Alarmierende neue Studie
Viele Medien haben sich in der Berichterstattung über die neue Studie auf die Jahreszahl 2025 gestürzt. Tatsächlich haben die Autorin und der Autor aber geschrieben, dass die AMOC und mit ihr der Golfstrom vermutlich irgendwann zwischen 2025 und 2095 zum Erliegen kommen werden. Zu diesem Schluss kommen sie nach der statistischen Untersuchung von Temperaturdaten aus dem Meer südlich von Grönland, die aufgrund des regen Schiffsverkehrs dort bereits seit 1870 vorliegen. Direkte Beobachtungen der Strömung gibt es hingegen erst seit 2004. Von denen wissen wir, dass in dieser Umwälzzirkulation etwa fünf Millionen Kubikmeter Wasser pro Sekunde nach Norden transportiert werden und mit ihnen sehr viel Energie. Diese wird im Norden an die Atmosphäre abgegeben und sorgt so für Europas im Vergleich zu anderen entsprechend polnahen Regionen mildes Klima. Der nordwärts gerichtete Strom spielt sich in den oberen etwa 1000 Metern des Ozeans ab, während Wasser in Tiefen zwischen 1000 und 5000 Metern aus dem Norden gen Süden bis weit über den Äquator hinaus zurückströmt.
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Angetrieben wird dieses gewaltige Strömungssystem vor allem durch das Gefrieren des Meerwassers im hohen Norden. Wenn sich auf dem Meer Eis bildet, bleibt das im Wasser enthaltene Salz zurück. Dadurch nimmt die Dichte des nicht gefrierenden Teils des Wassers zu, wodurch dieses in die Tiefe absinkt. An der Oberfläche entsteht auf diese Weise ein Sog, der neues Wasser – den Golfstrom – heranführt. Seit Langem wird von Wissenschaftlern befürchtet, dass dieser Motor durch den Einfluss von grönländischem Schmelzwasser abgewürgt werden könnte. Dieses ist Süßwasser und legt sich aufgrund seiner geringeren Dichte auf die Oberfläche des Meeres. Dort kann es in der kalten Jahreszeit einerseits leichter gefrieren, setzt dabei aber andererseits weniger Salz frei. Die Folge wäre, dass das Absinken abgeschwächt und eventuell ganz unterbunden würde.
Was die Geschichte lehrt
Derlei ist in den vergangenen Zehntausenden von Jahren wiederholt vorgekommen, wie seit den 1980ern bekannt ist. In den Sedimenten am Grunde des Nordatlantiks finden sich verschiedene Schichten von Geröll und Sand, die offensichtlich von großen Flotten schmelzender Eisberge abgeladen wurden. Aus anderen Untersuchungen ist bekannt, dass durch diese sogenannten Dansgaard-Oeschger-Ereignisse jeweils der Golfstrom zum Erliegen kam und das ohnehin eiszeitlich kalte Klima in Europa noch stärker abkühlte. Bekannt ist auch, dass die Übergänge relativ abrupt vor sich gingen und dass AMOC und Golfstrom jeweils lange brauchten, bis sie wieder ansprangen.
Das erklärt die Sorge, die sich viele Klimawissenschaftlerinnen und -wissenschaftler wegen des Golfstroms machen. Das Problem ist allerdings, dass er sich bisher nicht zuverlässig modellieren lässt und dass die nur bis 2004 zurückreichende Messreihe für seine Beurteilung zu gering ist. In der ist bis vor etwas mehr als zehn Jahren eine leichte Abnahme zu sehen, seitdem aber ein gleichbleibendes Transportvolumen, wie Eleanor Frayka-Williams, die an der Universität Hamburg und am dortigen Zentrum für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit über Ozeandynamik im Klimawandel forscht und lehrt, im Interview mit dem britischen Sender BBC berichtet.
Abkühlung als mögliches Indiz
Sie ist allerdings skeptisch, was den Ansatz ihrer dänischen Kollegen angeht, und sieht bisher aufgrund der kurzen Beobachtungszeit wenig handfeste Belege. Die abnehmende Temperatur könne etwa auch mit veränderten Winden zusammenhängen. Dem hält Stefan Rahmstorf, Ozeanphysiker am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, entgegen, dass die oben erwähnte Abkühlung vor Grönland, mit der indirekt auch in der dänischen Studie argumentiert wird, kein reines Oberflächenphänomen ist, sondern bis in etwa 1000 Meter Tiefe reicht.
Rahmstorf forscht bereits seit den 1990er Jahren über die AMOC und schreibt auf der Plattform »Realclimate.org«, dass er seine Meinung über die Stabilität des Strömungssystems in letzter Zeit etwas revidiert habe. Er hält nun die Wahrscheinlichkeit, dass es noch in diesem Jahrhundert zusammenbrechen könnte, für deutlich größer als zehn Prozent. Dem mag auch Frayka-Williams nicht widersprechen. Obwohl sie sich nicht auf eine Wahrscheinlichkeit festlegt, ist sie sich mit Rahmstorf einig, dass es ein reales Risiko für den Abbruch der AMOC-Zirkulation noch in diesem Jahrhundert gibt, sofern der Ausstoß von Treibhausgasen nicht schleunigst eingestellt wird.
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