Schrei aus der Tiefe

Die Installationen auf der 11. Höhler Biennale in Gera deuten die unterirdischen Räume auf unterschiedlichste Art aus

  • Peter Arlt
  • Lesedauer: 3 Min.
»Bin ich außen fragil, innen hohl?« fragt Künstler Christian Sachs mit seinem schreienden Glaskopf.
»Bin ich außen fragil, innen hohl?« fragt Künstler Christian Sachs mit seinem schreienden Glaskopf.

Ein makabres Vergnügen bereitete Bodo Ramelow in seiner Eröffnungsrede zur 11. Höhler Biennale, die den Titel »LandUNTER« trägt: Er sei vor die Wand gestellt worden, um dann unter die Erde gebracht zu werden. Und tatsächlich war das auch ganz wortwörtlich passiert, allerdings ohne, dass der thüringische Ministerpräsident sein Leben lassen musste. Den Schirmherren begeisterte, wie ihm Initiatorin und Kuratorin Gitta Heil die komplex gestaltete Reliefwand »Lied des Lebens« (1981) im Kultur- und Kongresszentrum Gera erklärte. In den unterirdischen Höhlern zeigte sich ihm dann, wie die 23 ausstellenden Künstlerinnen und Künstler aus dem In- und Ausland »über eine Welt in der Krise, eine Welt im Chaos reflektieren«.

Seit 2003 dienen die Geraer Höhler alle zwei Jahre als Ausstellungsort für zeitgenössische Installationskunst. Vom 16. bis zum 19. Jahrhundert erbaut, durchziehen die Keller, Nischen und Gänge die Unterwelt der Altstadt. Früher lagerte hier Biergebräu, das anstatt des schlechten Wassers vom Kleinkind bis zum Greis jeder trank. Der fast labyrinthische Charakter der Naturfelsen und unverputzten Gewölbe in unregelmäßigen Stollengängen kann durch die Beschränkung der »bespielten« Höhler von fünf auf zunächst drei und dann zwei zwar noch erahnt, aber nicht mehr wie zuvor erlebt werden. Doch weiterhin werden neugierige Besucher, bei Gefahr von Kopfnüssen, zum Bücken gezwungen, wenn sie zu den Installationen vordringen wollen. Diese sollen den Höhler-Standort einerseits bewahren, während ihnen andererseits die Aufgabe zukommt, ihn originell zu verwandeln.

Licht, Klang, Zeit, Bewegung und der innovative Einsatz von Materialien wie Karton, Papier, Weidenruten, Stahl, Glas, Schirm, Glaskugeln, Porzellan-Brötchen, Mulch, Steinzeugkeramik, Plastikverpackungen, Strandsand mit abgelagertem Müll, sowie auch LED- oder Klang-Installationen und Videokunst führen zu einer gestalthaften Zeichenfindung, die ein kritisches Zeitgefühl und historische Erfahrungen vermittelt. Manche Künstler agitieren in ihren Katalogerklärungen mit unerfüllbaren Intentionen. Werden bei ökologischen Problemen, dem Schwinden der Artenvielfalt oder dem Schicksal der Flüchtlinge mit Versiegelung der Höhler durch Bildflächen oder mit den Formen der Kindergartenzeichenwelt von Papierschiffchen Emotionen geweckt? Das ist durchaus fraglich.

Doch mit originellem Geistesblitz, mit verblüffender Ortsausdeutung und mit Materialkombinationen, Lichteinsätzen und Suggestion überzeugt die Biennale und prägt die Höhler-Installation als authentische Kunstform aus. Philipp Geist hat für die Eröffnung eine großartige Lichtinstallation geschaffen. Susanne Worschech gelang es, Tonkrüge voll mit scheinbar eisigen Kratern in Lebensräume für Pflanzen zu verwandeln. Claudia Katrin Leyh schreckt mit den die Räume besetzenden Geistern aus umgeformter Plastikverpackung. An die Geschichte der Höhler als Luftschutzräume und an »die verlorenen Seelen unter der Stadt« erinnert Karsten Kunert mit negativ gespiegelten Masken. Tief berührt der »Schrei« von Christian Sachs, ein aus vielen Glasstäben kunstvoll gestalteter Kopf auf einer Stele. Durch die äußere Schalenwand kann nach der Frage des Künstlers »Bin ich außen fragil, innen hohl?« die Struktur der Wand der Innenseite erblickt werden. Nach Heiner Müller entsteht der Mund mit dem Schrei, so ist es in seinem Stück »Germania Tod in Berlin« (1977) zu lesen. Er bezog sich auf das Shakespeare-Zitat »Die Zeit ist aus den Fugen« – auch seinerzeit, 13 Jahre vor dem Zerfall der DDR, war die Zeit im Osten Deutschlands aus den Fugen geraten.

Viele Förderer und Sponsoren, vor allem die Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen und die Sparkasse Gera-Greiz, welche zusammen den ersten Deutschen Installationskunstpreis ausgelobt haben, tragen diese besondere Kultur. Der Formtopos der Höhler, »helle Formen vor dunkler Wölbung«, wird mit dem abwechslungsreichen Material der Installationen und ihrer unerschöpflichen Ikonografie auf sehr unterschiedliche Weise realisiert. Das hält vieles offen für die Zukunft der Geraer Biennale.

11. Höhler Biennale »LandUNTER«, bis zum 13. Oktober in Gera

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