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- Brasiliens Hightech-Mücken. Teil 2
Die guten Moskitos aus dem Genlabor
Brasilien ist das erste Land, das gentechnisch veränderte Oxitec-Stechmücken ohne Beschränkungen freilässt
Unsere Mücken stechen nicht! Genau wie die in der Umwelt vorkommenden männlichen Aedes aegypti-Mücken stechen die Aedes do Bem™ nicht und übertragen daher keine Krankheiten. Perfekt für Mensch, Umwelt und Ihre Haustiere! Eine innovative, sichere und hochwirksame Lösung zur Bekämpfung von Aedes aegypti.» So preist die Firma Oxitec auf ihrer Verkaufswebsite ihre «guten Aedes-Mücken» für jedermann und für nur 199 Reais, rund 40 Euro an. Das Wort «Gentechnik» sucht man dabei vergebens in der Produktbeschreibung und doch stammt «Aedes do Bem™» aus dem Genlabor.
Gänzlich ohne öffentliche Debatte hatte im vergangenen März die neue brasilianische Regierung den freien Verkauf der gentechnisch veränderten Oxitec-Stechmücken des Typs OX5034 erlaubt. Seitdem können die Gentech-Insekten von jedem, egal ob Unternehmen oder Privatperson, gekauft und in dem größten Land Südamerikas ganz nach Belieben freigesetzt werden. Ziel ist die lokale Ausrottung oder zumindest eine deutliche Verringerung der aus Afrika eingeschleppten Ägyptischen Tigermücke (Aedes aegypti) und damit ein Rückgang der von ihr übertragenen Viruskrankheiten wie Dengue, Gelbfieber, Zika und Chikungunya.
Laut Oxitec gehören bereits mehrere Großfirmen in Brasilien wie Petrobras und Siemens Energy zu ihren Kunden. Auch Lateinamerikas größter Fernsehsender O Globo bekämpft die Tigermücke aus Afrika in seinen Studios in São Paulo und Rio de Janeiro inzwischen mit der «guten Mücke» aus dem Genlabor.
Zusammenspiel mit Antibiotikum
Die patentierten Gentech-Mücken des ursprünglich an der Universität Oxford gegründeten und 2015 an den US-Gentechnikkonzern Intrexon Corporation verkauften Unternehmens Oxitec sind mit zwei zusätzlichen Genen ausgestattet: dem DsRed2-Markergen, das ein rot fluoreszierendes Protein herstellt, um die freigesetzten Labormücken von der natürlichen Population zu unterscheiden. Das zweite artfremde Gen ist der sogenannte Tetrazyklin-Transaktivator (tTAV), der den Tod der weiblichen Tiere noch im Larvenstadium programmiert.
Das tTAV-Gen basiert auf DNA-Sequenzen des Bakteriums Escherichia coli und des Herpes-simplex-Virus. Die damit genetisch manipulierten weiblichen Moskitolarven können sich nur im Beisein des Antibiotikums Tetrazyklin im Wasser entwickeln.
Die gleichfalls genmanipulierten Männchen hingegen überleben auch ohne Tetrazyklin und können das «Todesgen» über den Geschlechtsverkehr auf die wilde Mückenpopulation übertragen. Freigelassen sollen sie sich in Konkurrenz mit ihren natürlichen Artgenossen mit den Weibchen paaren und damit nur noch männliche Nachkommen produzieren, weil die zur Larvenentwicklung notwendigen Pfützen oder stehenden Gewässer in der Umwelt normalerweise frei von Tetrazyklin-Antibiotika sind. Das genmanipulierte OX5034-Genom wird dabei nach den Mendelschen Regeln an die Hälfte der männlichen Nachkommen vererbt, womit im Idealfall kontinuierlich die Aedes-aegypti-Population reduziert wird, bis sie schließlich inklusive der «guten Mückenmännchen» lokal gänzlich verschwunden ist.
Doch was ist, wenn Tetrazyklin doch stärker in der Umwelt und damit in Gewässern verbreitet ist als angenommen oder erhofft? Tatsächlich ist Tetrazyklin ein gerade auch in Brasilien häufig sowohl in der menschlichen als auch in der Veterinärmedizin sowie in der Massentierhaltung eingesetztes Breitbandantibiotikum. Außerdem wird es in der Garnelenzucht und im Obstbau angewendet. Schon lange ist darüber hinaus bekannt, dass Antibiotika von Mensch und Tier unverdaut ausgeschieden werden und so Boden und Wasser kontaminieren können. Für einige Forscher ist genau dies ein kritischer Punkt dieser von Oxitec verwendeten gentechnischen Methode.
Nur beschränkte Freisetzung in den USA
So ist auch nach Meinung der Umweltschutzbehörde EPA in den gleichfalls unter der Ägyptischen Tigermücke leidenden USA das Risiko des Überlebens und damit der Fortpflanzung von genetisch manipulierten OX5034-Weibchen aufgrund von Tetrazyklinen in der Umwelt zwar klein, aber nicht auszuschließen. Deshalb hat sie Versuchsfreisetzungen von Oxitec in Florida nur in Gebieten fern von möglichen Quellen des Antibiotikums erlaubt. In ihrer Risikobewertung aus dem vergangenen Jahr heißt es: «Die EPA kommt zum Schluss, dass die Genehmigung zur experimentellen Freisetzung von männlichen OX5034-Mücken keine unzumutbaren schädlichen Auswirkungen auf den Menschen haben wird, sofern solche Freisetzungen nicht innerhalb von 500 Metern von Abwasseraufbereitungsanlagen, kommerziellen Anbauflächen von Zitrusfrüchten, Äpfeln, Birnen, Nektarinen und Pfirsichen sowie von kommerziellen Rinder-, Geflügel- und Schweinehaltungsbetrieben stattfinden.»
In Brasilien hingegen gibt es eine solche Beschränkung nicht. Die Genehmigungsbehörde, die Technische Kommission für Biosicherheit (CTNBio), gab den OX5034-Mücken uneingeschränkt grünes Licht. Die Kommission habe damit das Vorsorgeprinzip nicht berücksichtigt, kritisiert der brasilianische Biologe José Maria Gusman Ferraz, der ehemals Mitglied der Biosicherheitskommission war. «Wir haben eine Technologie freigesetzt, die zu einer Veränderung der Umwelt führen kann», zitiert ihn das brasilianische Wissenschaftsmagazin «Pesquisa FAPESP».
Erste Feldversuche seit 2011
Das staatlich finanzierte Experiment unter freiem Himmel mit Gentech-Moskitos von Oxitec begann in Brasilien bereits 2011 im nordöstlichen Bundesstaat Bahia. Eingesetzt wurde OX513A, ein Vorläuferstamm von OX5034, bei dem auch die männlichen Nachkommen aufgrund von fehlendem oder mangelndem Tetrazyklin in der Umwelt absterben. Unter Aufsicht des Bundesgesundheitsministeriums und Beteiligung der Universität von São Paulo (USP) entließen die Forscher in den beiden rund 3000 Einwohner zählenden Vierteln Itaberaba und Mandacaru der Stadt Juazeiro am Rio São Francisco im Norden von Bahia sechs Monate lang mehr als 500 000 OX513A-Männchen pro Woche.
2013 wurde das Experiment auf die Stadt Jacobina im Landesinneren von Bahia mit rund 80 000 Einwohnern ausgeweitet. Es war der bis dahin weltweit größte Freisetzungsversuch mit OX513A. Über einen Zeitraum von 27 Monaten, zwischen Juni 2013 und September 2015, setzten die Forscher hier rund 50 Millionen transgene Mückenmännchen frei.
Laut Oxitec führten beide Feldversuche in Juazeiro und Jacobina zu einem Rückgang der Wildpopulation um mehr als 90 Prozent im Vergleich zu Kontrollgebieten. Doch bereits innerhalb eines Jahres nach der letzten Freilassung der «guten Mücken» hatte sich die natürliche Tigermückenpopulation wieder erholt. Um langfristig erfolgreich die Moskitos zu bekämpfen, sind also kontinuierliche Freisetzungen von OX513A-Mücken nötig.
Ein weiterer Kritikpunkt ist die von Oxitec und den beteiligten Forschern selten erwähnte Tatsache, dass sich unter den Millionen von freigelassenen, nicht Blut saugenden männlichen Gentech-Mücken möglicherweise auch ein geringer Prozentsatz von Weibchen befand. Denn die Geschlechtertrennung der winzigen Insekten geschieht im Labor quasi von Hand. Hilfreich dabei ist, dass die Weibchen bereits im Puppenstadium in der Regel größer sind als die Männchen. Doch besonders kleine Weibchen bleiben unentdeckt. Oxitec schätzt, dass unter 3000 zur Freilassung selektierten Gentech-Mücken ein blutsaugendes OX513A-Weibchen ist. Die Weibchen seien aber klein und schwach, mit geringen Fortpflanzungschancen in der Umwelt.
Genetische Veränderungen nachgewiesen
Globale Schlagzeilen machte der Jacobina-Feldversuch im Jahr 2019, als das Fachjournal «Nature Scientific Reports» die Studie eines zehnköpfigen amerikanisch-brasilianischen Forscherteams zu dessen Folgen veröffentlichte. Unter der Leitung des Genetikers Jeffrey Powell von der Universität von Yale begleitete das Team das Experiment in Bahia und untersuchte die in der Region vorkommenden Ägyptischen Tigermücken jeweils zwölf und 27 bis 30 Monate nach der Freisetzung auf genetische Veränderungen – und fand sie.
Zwischen zehn und 60 Prozent aller untersuchten Stechmücken von Jacobina trugen Gene der eingesetzten OX513A-Mücken in sich, die aus einer Kreuzung von zwei Aedes-aegypti-Stämmen aus Kuba und Mexiko entwickelt wurden. Die neu entstandene Population trage nun die Gene der kubanischen, mexikanischen und brasilianischen Varianten in sich. Es sei unklar, wie sich dies auf die Übertragung von Krankheiten wie Dengue oder andere Bemühungen zur Bekämpfung dieser Stechmücken auswirken könnte, warnten die Forscher. Die Schaffung von Hybriden «führe sehr wahrscheinlich zu einer robusteren Population als die Population vor der Freilassung». Es sei noch unklar, welche Folgen die Übertragung des fremden Erbguts auf künftige Mückengenerationen habe, resümierte Studienleiter Powell. «Das Entscheidende ist, dass etwas Unerwartetes passiert ist.»
Nachdem Oxitec die Studie in mehreren Punkten heftig kritisiert hatte, distanzierten sich sechs der brasilianischen Co-Autoren von ihr. Jeffrey Powell und seine Kollegen von der Yale University sowie der brasilianische Genetiker Aldo Malavasi indes blieben bei ihrer Bewertung.
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