Görlitzer Park: Patriarchale Mentalität ist das Problem

Feministische Initiativen sind nach mutmaßlicher Vergewaltigung gegen mehr Polizeipräsenz. Sie fordern soziale Lösungen und Bildung

  • Thuy-An Nguyen
  • Lesedauer: 6 Min.

Für die einen ist der Görlitzer Park ein Treffpunkt, um nach der Arbeit Freund*innen zu treffen, gemeinsam zu grillen oder mit den Kindern im Freien zu sein. Andere machen um den berüchtigten Park in Kreuzberg lieber einen großen Bogen. Der Görlitzer Park wird zwar von der Berliner Polizei als ein kriminalitätsbelasteter Ort eingordnet, doch für die Anwohner*innen ist er zugleich ein Raum des alltäglichen Lebens. »Die Situation hier ist vielschichtig«, sagt David Kiefer von der Initiative Wrangelkiez United zu »nd«. Damit seien auch die damit verbundenen Lösungen, die es an diesem Ort brauche, vielschichtig.

Seitdem dort im Juli eine mutmaßliche Gruppenvergewaltigung an einer Frau bekannt geworden ist, ist eine erneute Debatte um die Sicherheitslage entbrannt. Die schwarz-rote Berliner Regierung zieht nun in Betracht, einen Zaun um den Park hochzuziehen und ihn nach Vorbild des Tempelhofer Feldes nachts abzuschließen. Zudem hat der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) für September einen Sicherheitsgipfel angekündigt, bei dem unter anderem die Lage am Görlitzer Park diskutiert werden soll.

David Kiefer, der die Nachbarschaftsinitiative Wrangelkiez United gegründet hat, blickt skeptisch auf die Lösungsvorschläge. Seine Initiative ist bislang nicht zum Gipfel eingeladen, auch nicht andere Nachbarschaftsinitiativen vor Ort wie der Kiezanker oder Bizim Kiez. Senatssprecherin Christine Richter bestätigt auf Anfrage des »nd«, dass nicht geplant ist, die Nachbarschaftsinitiativen zum Sicherheitsgipfel einzuladen. Man sei sich aber sicher, dass der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg »in engem und kontinuierlichem Austausch« mit den Initiativen stehe.

Rund um den Görlitzer Park spitzen sich verschiedenste soziale Probleme zu: Obdachlosigkeit, Drogen- und Kleinkriminalität, Gentrifizierung. Seit der mutmaßlichen Vergewaltigung tritt auch sexuelle Gewalt auf den Plan. »Soziale Probleme brauchen soziale Lösungen«, sagt Kiefer. Doch stattdessen werde über Parkschließungen und noch mehr Polizeipräsenz gesprochen. Das löse die Probleme nicht, sondern führe zu einer Verlagerung in benachbarte Wohngebiete, betont Kiefer. »Es ist besorgniserregend, dass die Politik immer mit den gleichen Ideen kommt. Im Görli und im Wrangelkiez gibt es so viel Polizei wie nie zuvor. Und die Probleme haben nicht ab-, sondern zugenommen«, sagt der Sozialarbeiter, der seit zehn Jahren im Wrangelkiez direkt am Görlitzer Park lebt.

Um die Situation vor Ort zu verbessern, sei es zentral, den Status von ehemals Geflüchteten zu legalisieren und ihnen eine Arbeitserlaubnis zu erteilen. Viele handeln aus finanzieller Not mit Drogen. Für diese Menschen müssten Perspektiven geschaffen werden, sagt der Sprecher von Wrangelkiez United. Zum anderen sei der massive Drogenkonsum ein Problem, insbesondere von Crack. »Da braucht es Forschung über die Ursachen für den starken Anstieg. Ein erster Weg wäre es aber, Konsumräume für Drogenabhängige zu schaffen und die Wohnsituation zu verbessern«, sagt Kiefer.

Unter den Konsument*innen gibt es Kiefer zufolge viele Menschen, die aufgrund der Flucht traumatisiert seien. Die lokalen Probleme, die sich um den Görlitzer Park manifestieren, reichen somit bis auf die Bundes- und EU-Ebene. »Die Handlungsträger sollten in der Lage sein, das an die entsprechenden Ebenen weiterzutragen.«

Die Vergewaltigung, die mutmaßlich durch eine Gruppe von Drogendealern begangen worden sein soll, bewertet das Netzwerk gegen Feminizide als einen extremen Fall. Es betont aber zugleich, dass im Görlitzer Park nicht mehr sexuelle Gewalt passiere als in anderen Parks. Eine Sprecherin des Kollektivs, die sich Reca nennt, verweist auf eine Recherche der »Taz«: Nur eine von acht in diesem Jahr gemeldeten Vergewaltigungen und sexuellen Übergriffen um den Görlitzer Park habe auch tatsächlich im Park stattgefunden. Sieben davon wurden in privaten Räumen im benachbarten Wohnviertel begangen.

»Sexualisierte Übergriffe werden oft gerade dort sichtbar gemacht, wo für harte staatliche Maßnahmen plädiert werden kann. Aber zum allergrößten Teil findet sexualisierte Gewalt im privaten Raum statt«, heißt es in einem kollektiven Statement des Netzwerks. Aus der Sicht der Feminist*innen vermischen sich in der Debatte um den Görli verschiedene Ebenen und die sexuelle Gewalt käme nun hinzu. Dabei würden feministische Stimmen gekapert, warnt Reca. »Medial wird patriarchale Gewalt ständig als ›Problem der Anderen‹ dargestellt, als passiere sie nur in ärmeren Klassen oder in migrantisierten Milieus. Das ist aber schlichtweg falsch und trägt lediglich zu Rassismus und Klassismus bei«, betont das Netzwerk gegen Feminizide.

Sexuelle Gewalt und Gewalt gegen Frauen seien Symptome eines Systems, das strukturell cis Männer, also Männer, denen bei der Geburt schon das männliche Geschlecht zugewiesen wurde, bevorzuge, sagt Reca. Das führe bei Frauen und queeren Menschen in Partnerschaften oft zu struktureller Abhängigkeit und Gewalt im privaten Raum – meist im Verborgenen.

Sexuelle Gewalt im öffentlichen Raum wie im Görlitzer Park passiere dem Netzwerk zufolge im Vergleich eher selten. Hierbei handle es sich jedoch nicht um partnerschaftliche Abhängigkeit, sondern um patriarchale Mentalität. »Bei Vergewaltigungen geht es oft nicht um Sexualität, sondern um Macht und Dominanz von cis Männern. Sexuelle Gewalt auszuüben, kann eine Form sein, Macht durchzusetzen«, sagt Reca. Diese Vorstellung gebe es in allen patriarchalen Gesellschaften, unabhängig von Kultur.

Aus der Sicht des Kollektivs kann da nur helfen, patriarchale Mentalität und Strukturen zu ändern. Das müsse bereits mit frühkindlicher Bildung anfangen, etwa durch egalitäre Erziehung. »Bei Jungs wird immer gesagt, es sei okay, wenn sie sich prügeln. Bei Mädchen dagegen gilt das nicht. Dabei sollten auch Frauen lernen, dass es in Ordnung ist, sich zu wehren«, sagt Reca. Auch das Aufklären über Sexismus an Schulen oder in öffentlichen Räumen könne dazu beitragen. »Antipatriarchale Bildung muss auf allen Ebenen passieren und darauf zielen, zu verhindern, dass potenzielle Täter zu Tätern werden.«

In der Debatte um die Sicherheitslage am Görlitzer Park erfolgt oft wie reflexartig der Ruf nach mehr Polizeipräsenz und -kontrolle. Mehreren zivilgesellschaftlichen Organisationen zufolge ist das verheerend. Die 2015 verhängte Null-Toleranz-Politik zur Eindämmung der Drogenkriminalität hatte verstärktes Racial Profiling zur Folge. Ähnlich statte die 2020 am Görlitzer Park eingeführte Brennpunkt- und Präsenzeinheit (BPE) die Polizei mit Sonderrechten aus, was teils zu gewalttätigen Razzien führt, sagt David Kiefer von Wrangelkiez United.

Selbst die Polizeipräsidentin Barbara Slowik mahnte nun an, dass die Polizei allein die Probleme im Park nicht lösen könne, sondern es bürgerliches Engagement brauche. Kiefer unterstreicht jedoch: »Engagement kostet Zeit und Geld. Es wäre sinnvoll, darüber nachzudenken, Teile der Gelder, die in polizeiliche Maßnahmen fließen, zu verlagern.«

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