Ufo-Ausstellung: Wirklichkeit in der Schwebe

Mythen um unbekannte Flugobjekte sind kein neues Phänomen, wie eine Ausstellung der Kunstbibliothek zeigt

  • Noah Kohn
  • Lesedauer: 6 Min.
Die wohl bekannteste Vorstellung von einem Ufo ist die in Form einer Scheibe, auch fliegende Untertasse genannt.
Die wohl bekannteste Vorstellung von einem Ufo ist die in Form einer Scheibe, auch fliegende Untertasse genannt.

Am Ende eines Ganges der Kunstbibliothek schweben ein paar schwarze Objekte über dem Boden. Sie flimmern bläulich im grellen Licht der Deckenlampen – und entpuppen sich bei näherer Betrachtung als sechs an der Wand installierte Fernseher. Auf einem der Bildschirme ist Barack Obama zu sehen. Er ist in einer amerikanischen Talkshow als Gast zugeschaltet und spricht mit dem Moderator über unidentifizierte Flugobjekte, sogenannte Ufos. »Ich meine es wirklich ernst«, sagt der ehemalige US-Präsident mit finsterer Miene, »es gibt Filmaufnahmen und Aufzeichnungen von Objekten am Himmel, von denen wir nicht genau wissen, was sie sind.«

Die Videosequenzen an der Wand sind Teil der Sonderausstellung »Ufo 1665 – Die Luftschlacht von Stralsund«, die noch bis 27. August in der Kunstbibliothek unweit des Potsdamer Platzes angeschaut werden kann. Der Ausschnitt aus der »The Late Late Show« mit Obama ist aus dem Jahr 2021, und auch heute ranken sich Mythen und Spekulationen um die fliegenden Untertassen. Gibt es sie wirklich? Wenn ja, wie kommen sie auf die Erde? Handelt es sich dabei gar um außerirdische Raumschiffe mit Aliens an Bord? Oder sind es doch geheime Militäroperationen?

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Auf einem weiteren Bildschirm läuft eines von drei veröffentlichten Videos der US-Navy, das ein von Kampfjet-Piloten im Jahr 2015 aufgezeichnetes unbekanntes Flugobjekt zeigen soll. Solche Sichtungen sind keineswegs ein modernes Phänomen und genießen seit jeher in Medien und Öffentlichkeit eine besondere Aufmerksamkeit.

Genau da setzt die Ausstellung »Ufo 1665« an und präsentiert eine wundersame Himmelsbeobachtung aus der Neuzeit. Folgendes soll sich laut Ausstellungstext bei der sogenannten Luftschlacht von Stralsund zugetragen haben: »Am 8. April 1665, 14 Uhr, beobachten zeitgenössischen Berichten zufolge sechs Fischer beim Heringsfang vor Stralsund, wie sich Vogelschwärme am Himmel in Kriegsschiffe verwandeln, die sich donnernde Luftgefechte liefern. Auf den Decks wimmeln gespenstische Gestalten. Als ihnen gegen Abend über der Kirche Sankt Nikolai noch ›eine platte runde Form wie ein Teller‹ erscheint, ergreifen sie die Flucht.«

In rasender Geschwindigkeit verbreitet sich die Nachricht. Bereits zwei Tage nach den angeblichen Sichtungen berichten eine Flugschrift und eine Postzeitung über das Ereignis, allerdings unterscheiden sich die Berichte: Während das tellerförmige Ding über der Pfarrkirche in der Flugschrift erwähnt wird, ist in dem Zeitungsartikel keine Rede von einer Scheibe am Himmel. Im selben Jahr folgt zugleich die erste Grafik zu den Berichten der Fischer, erfährt der Besucher der Ausstellung: »Im linken oberen Viertel sehen wir den Vogelschwarm, der sich in eine Kriegsflotte verwandelt, im Hintergrund rechts die Fischer in ihrem Boot. Über der Kirchturmspitze hat sich die Scheibe in Position gebracht; allerdings sieht sie nicht aus wie ein Hut oder Teller, sondern wie ein Mondgesicht.«

Es folgt eine weitere Illustration: 15 Jahre nach dem Mirakel erscheint eine Auftragsarbeit von Johann Alexander Böner, die dem Betrachter suggeriert, es handele sich um eine Abbildung der Geschehnisse aus erster Hand – dabei schuf der Kupferstecher sein Bild auf Grundlage von Berichten und war selbst gar nicht dabei, als sich die »Luftschlacht« zugetragen haben soll. Die Ufo-ähnliche Himmelsscheibe mit Mondgesicht aus der ersten Darstellung hat nun kein Gesicht mehr, und auch sonst unterscheidet sich das Bild in der Anordnung der Elemente und der Perspektive von der Grafik aus dem Jahr 1665.

Die Menschen träumten schon damals davon, den Luftraum zu erobern. Futuristische Entwürfe von Luftschiffen aus dem 17. Jahrhundert beeinflussten dabei auch die mediale Erzählung der Ereignisse von Stralsund. So wie die Luftschiffe fantasievoll entworfen wurden, stellten sich Redakteure und Leser gleichermaßen die Flugapparate vor – mit dem Zeppelin-Luftschiff aus dem Jahr 1900 oder dem motorisierten Doppeldecker der Gebrüder Wright von 1903 haben die Entwürfe allerdings wenig gemein. Auch Expeditionen zu anderen bewohnten Planeten konnten sich die Menschen der Neuzeit schon vorstellen, jedoch kamen sie nicht darauf, dass Außerirdische womöglich die gleiche Idee haben und versuchen könnten, zur Erde zu reisen – wie es heute einige Menschen im Zusammenhang mit Ufo-Sichtungen vermuten.

Ähnlich wie die bildliche Vorstellung und die mediale Interpretation der »Luftschlacht von Stralsund« änderte sich auch die Anschauung in der Bevölkerung, was die Sichtung bedeuten könnte. Gläubige gingen davon aus, dass der allmächtige Gott Zeichen an den Himmel projizierte, zumeist als schlechtes Omen für bevorstehendes Übel. Das Luftgefecht von Stralsund wurde dabei als Vorbote anstehender Kriegszeiten gedeutet.

An ein Naturphänomen dachte keiner, obwohl es sich durchaus um eine atmosphärische Spiegelung gehandelt haben könnte. Dabei »wird das Licht so abgelenkt, dass außerhalb des Gesichtskreises befindliche Objekte über dem Horizont zu schweben scheinen«, erfährt der Laie in einem der vielen gewitzten Erklärtexte, die aus der Feder von Moritz Wullen stammen, Direktor der Kunstbibliothek und Kurator der Ausstellung. So kann es sein, dass die Heringsfischer wie bei einer Fata Morgana in der Wüste einer optischen Illusion aufsaßen – jedoch wusste man damals noch nicht um dieses physikalische Phänomen.

Auch der Gedanke, dass es sich bei der Geschichte um zweifelhaftes Seemannsgarn handeln könnte, kam den Bewohnern der Stadt Stralsund, die damals zu Schweden gehörte, wohl nicht. Aus heutiger Sicht verwunderlich, schließlich waren Seeleute bekannt dafür, mit den unglaublichsten Geschichten aufzuwarten; der eine oder andere soll ja auch Robben für bezaubernde Meerjungfrauen gehalten haben. Zudem klagten die Fischer am nächsten Morgen nach ihrer unglaublichen Sichtung über Schmerzen und sie zitterten am ganzen Körper, sodass sich den Besuchern von »Ufo 1665« eine weitere Frage aufdrängt: Waren die sechs Fischer alkoholisiert oder gar unter Einfluss anderer Rauschmittel und die kämpfenden Luftschiffe nur Hirngespinste?

Der Soziologe Robert Feustel, der zu »Kulturen des Rauschs seit der Renaissance« promoviert und publiziert hat, hält den Einfluss von Rauschmitteln für unwahrscheinlich, wie er auf Anfrage von »nd« schreibt: »Die Leute damals wussten schon, was Imaginationen sind und dass Stoffe Wirkungen haben. Und dass sechs Leute so dicht überlagernde drogeninduzierte Bilder gesehen haben sollen, wäre schon komisch«, so Feustel. »Klassischerweise werden unter Einflüssen von Stoffen übliche Dinge aktiviert: Der Teufel erscheint oder Ähnliches. Luftschiffe gehören nicht zum üblichen Repertoire drogistischer Bildwelten.« Der Dozent der Friedrich-Schiller-Universität Jena weist zudem darauf hin, dass Drogeneinfluss nicht zwangsläufig den Wahrheitsgehalt einer Aussage eliminiere. »Mythos und Drogen stehen sich nicht unversöhnlich gegenüber«, führt Feustel aus.

Was wirklich geschah, wird wohl für immer in den Wellen der Ostsee verborgen bleiben. Doch damals wie heute gelten bei Sichtungen von unbekannten Flugobjekten noch ähnliche Mechanismen: Augenzeugen, Medien, Überlieferungen, Bildmaterial und Vorstellungskraft entscheiden darüber, welches Bild Menschen von unbekannten Flugobjekten haben. Physikalische Grundsätze spielen dabei nur eine untergeordnete Rolle.

Die Kunstbibliothek befindet sich am Matthäikirchplatz 6 in 10785 Berlin. Die Ausstellung kann noch bis zum 27. August besucht werden. Öffnungszeiten: Di bis Fr von 10 bis 18 Uhr, Sa und So 11 bis 18 Uhr.

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