- Berlin
- Antisemitismus und Homophobie
Brandanschlag in Grunewald: Auch Tiergarten-Denkmal attackiert
Nach dem Abbrennen einer Bücherbox in Berlin-Grunewald ermittelt nun die Staatsanwaltschaft – und in Tiergarten wird eine ähnliche Tat gemeldet
Es war der gegenüberliegende Bäcker, der den Brand am frühen Samstagmorgen zuerst bemerkte. Viel zu retten gab es für die zwischen 4 und 5 Uhr eintreffenden Einsatzkräfte nicht. Von der Bücherbox am Mahnmal Gleis 17 steht nur noch das verkohlte Gerippe. Ein unbekannter Täter soll laut Polizeiangaben dabei beobachtet worden sein, wie er eine Kiste in die ehemalige Telefonzelle stellte und anzündete. Das Motiv ist ein antisemitisches. Von 1941 bis 1945 wurden vom Grunewalder Bahnhof aus mehr als 50 000 Berliner Jüd*innen in die Konzentrationslager im Osten deportiert.
»Wir haben immer wieder Vandalismus erlebt, aber das ist eine ganz besondere Form des Attentats«, sagt Konrad Kutt zu »nd«. Vor 14 Jahren hat der Pädagoge das Projekt »Bücherboxx« ins Leben gerufen, insgesamt 19 Stationen zum Büchertausch in Berlin und im polnischen Poznań gehen auf seine Initiative zurück. Das Exemplar am Gleis 17 stand seit 2012. Kutt scheint betroffen, aber zuversichtlich: »Ich denke schon, dass man ihn schnappen kann.«
Am Montagnachmittag sicherte die Polizei noch Spuren am Tatort. Kutt zufolge vermuten die Beamt*innen einen Zusammenhang zu einer anderen Tat, was die Behörden »nd« zunächst nicht bestätigen konnten. Schließlich ist es der Lesben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg, der von einem weiteren Brandanschlag, ebenfalls am frühen Samstagmorgen, berichtet. Zwei Zettel mit einem abgewandelten Bibelzitat, das queere Menschen verunglimpft, sollen demnach an einem Denkmal in Tiergarten angebracht worden sein. Auf das Monument, das im Nationalsozialismus ermordeten Homosexuellen gedenkt, soll ebenfalls ein brennender Gegenstand geworfen worden sein. Wie die Polizei »nd« am Dienstag mitteilt, hat nun die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen zur Bücherbox übernommen, nachdem zunächst noch der Staatsschutz zuständig war.
Für Hoffnung auf Ermittlungserfolg sorgt ein umfangreiches antisemitisches Pamphlet, das der Brandstifter am Tatort hinterlassen hat. Auf dem ausgedruckten Zettel wird laut Kutt von der Vernichtung der Jüd*innen in einem baldigen dritten Weltkrieg fantasiert. Hitler, heißt es, habe letztlich versagt. »Gerade weil der Text so verquer ist, kann ich mir vorstellen, dass man das gut rekonstruieren kann«, führt Kutt aus. Immer wieder fänden sich lateinische und griechische Konstruktionen sowie eigenwillige Abkürzungen. »Ich werde auch selbst einen Experten einschalten, um das Schreiben auf Parallelen zu anderen Texten untersuchen zu lassen.«
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Dem Täter attestiert Kutt »große kriminelle Energie«. Mit Brandbeschleunigern habe der Täter sichergestellt, dass der Schaden so verheerend wie möglich ausfalle. Der Verlust schmerzt den Initiator Kutt: In Erinnerung an die Deportationen war die Bücherbox mit thematisch abgestimmter Literatur bestückt. Mithilfe einer Solarzelle wurden ein Licht und eine Audiobox betrieben, dank der sich Besucher*innen hebräische Gesänge, historische Aufnahmen und Textbeispiele anhören konnten. »Mir kommen da die Tränen. Das war nicht einfach mal so hingerotzt«, sagt Kutt. Berufsschüler*innen hatten die Box gemeinsam mit dem Illustrator Rainer Ehrt gestaltet.
In Reaktion auf den Anschlag hatten sich die Anwohner*innen und Initiator*innen am Wochenende vor Ort zusammengefunden. Am kommenden Wochenende soll es weitergehen, wie Kutt ankündigt: »Ich werde noch einmal Leute zusammentrommeln.« Dem Pädagogen schwebt eine Veranstaltung mit Musik, Lesungen und kurzen Ansprachen vor – »eben mit den Mitteln, die wir seit jeher praktizieren«.
Für einen Neuanfang am Gleis 17 sammelt die »Bücherboxx«-Initiative Spenden. Unmittelbar mit dem Wiederaufbau beginnen will Kutt allerdings nicht. Als Mahnung soll die ausgebrannte Telefonzelle erst einmal so stehen bleiben, wie sie jetzt ist. »Die Leute sollen sehen, was durch Hass angerichtet werden kann«, sagt er. »Wir sind jetzt noch mit dem Trauern beschäftigt.«
Spenden für eine neue Bücherbox können mit dem Stichwort »BücherboXX« auf das Konto der Europäischen Akademie Berlin (IBAN: DE90 1009 0000 2112 1610 00) gezahlt werden.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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